Vertreibung von Lehrenden und Studierenden 1938

1938

Über 2.700 vorwiegend jüdische Angehörige der Universität Wien (ProfessorInnen, DozentInnen, Studierende und MitarbeiterInnen der Verwaltung) der Universität Wien wurden 1938 vertrieben. Die Vertreibung ging rasch und reibungslos vonstatten. Sie verlief nach dem gleichen Muster wie zuvor in Deutschland, nur wesentlich schneller innerhalb weniger Monate und unter reger Beteiligung der NS-nahen Studierenden, Beamten und Professoren.

1938 wurden an der Universität Wien im Zuge der nationalsozialistischen Neuorganisation der Universität rund 350 Lehrende (ProfessorInnen, Universitäts- und PrivatdozentInnen) verfolgt und vertrieben, davon über 200 aus "rassischen" und rund 130 auch aus "politischen" Gründen. Bereits in den ersten Tagen nach dem „Anschluss“ wurden einige unerwünschte Mitarbeiter verhaftet bzw. außer Dienst gestellt. Am 22. März 1938 wurden alle dazu berechtigten ordentlichen und außerordentlichen Hochschulprofessoren auf Hitler vereidigt, wobei Personen, die als „Volljuden“ oder „Mischlinge“ mit drei jüdischen Großeltern kategorisiert wurden bzw. bekannte politische Gegner waren, ausgeschlossen waren.
Die systematische Erfassung und „Säuberung“ des Lehrkörpers von politisch oder „rassisch“ missliebigen Personen erfolgte nach der Volksabstimmung am 10. April 1938 auf Basis von Listen, welche die Dekanate erstellten. Im Mai 1938 traten schließlich die Nürnberger Rassegesetze von 1935 und die Verordnung zur „Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums“ – das Gegenstück zum deutschen „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ von 1933 – in Kraft.
Die erste an der Universität Wien habilitierte Frau, die Romanistin Elise Richter, der Physiker und Nobelpreisträger Erwin Schrödinger (1938 Honorarprofessor der Wiener Universität), der Physiker Hans Thirring, die Chemiker Hermann Mark und Friedrich Feigl, der Mathematiker Kurt Gödel, der Zahnmediziner Bernhard Gottlieb und viele mehr wurden während der nationalsozialistischen Herrschaft ihres Amtes enthoben. Besonders bei einigen jungen Disziplinen, die sich in interdisziplinären Milieus am Rande oder außerhalb der universitären Strukturen zu entfalten begannen (z. B. Soziologie bzw. der Kreis um Karl Bühler und Charlotte Bühler in der Psychologie), hemmte diese Vertreibungswelle für viele Jahrzehnte die weitere Entwicklung in Österreich.
Der radikale personelle Verlust konnte nur ansatzweise aufgewogen werden, erst 1941 war die Nachbesetzung größtenteils abgeschlossen, was einigen anpassungswilligen, vor allem jüngeren Wissenschaftern massive Karrierechancen bot.

Von den 9.180 Studierenden der Universität im Wintersemester 1937/38 verließen 1938 42 Prozent die Universität - allerdings 23 Prozent nicht freiwillig. 2.230 Studierende wurden als Jüdinnen und Juden vertrieben. Den meisten gelang die Flucht, doch über 90 von ihnen wurden später im Zuge der Shoah ermordet.
Am 29. März 1938 wurde verfügt, dass bei der Inskription eidesstattlich zu erklären sei, dass man kein Jude ist, bzw. dass jüdische Studierende nicht mehr inskribieren durften. Bereits vorgenommene Inskriptionen wurden aufgehoben.
Jüdische Studierende wurden auch nicht mehr zu Abschlussprüfungen und Promotionen zugelassen.
Am 23. April - zwei Tage vor der feierlichen Wiedereröffnung der Universität - wurde ein Numerus clausus von zwei Prozent für jüdische Studierende eingeführt (ein Zehntel der bisherigen Anzahl). Die Namen der jüdischen Studierenden wurden von der Universität an die Gestapo weitergeleitet mit dem Ersuchen, dort zu überprüfen, ob nicht "einzelne in Haft genommen werden sollten".
Am 24. April wurde jüdischen Studierenden das Betreten der Universität verboten. Im Juni und Oktober wurden einige wenige jüdische Studierende unter demütigenden Rahmenbedingungen noch zu "Nichtarierpromotionen" zugelassen – bevor ihnen schließlich im Herbst 1938 Studium und Promotion generell verboten wurde.
Mit Wintersemester 1938/39 sank der Numerus Clausus für jüdische Studierende vorerst auf 1 Prozent, nach der Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938 waren sie generell vom Hochschulbesuch ausgeschlossen.
Im Dezember wurden schließlich noch alle Sondergenehmigungen für jüdische Professoren zurückgezogen, sodass die Hochschulen Ende 1938 als „judenfrei“ galten.

Etwa 200 jüdische Studierende, die kurz vor dem Abschluss ihres Studiums standen, konnten 1938 noch im Rahmen einer diskriminierenden „Nichtarierpromotion“ ihr Studium abschließen.

Einen „Sonderfall“ stellten auch die in der NS-Rassentypologie sogenannten „jüdischen Mischlinge“ dar, unter denen Studierende teilweise die Möglichkeit hatten, ihr Studium während der NS-Zeit fortzusetzen oder gar abzuschließen – jedoch stets unter diskriminierenden Rahmenbedingungen.

Zahlreiche jüdische AbsolventInnen wurden eines Doktorates für "unwürdig" erklärt; es wurde ihnen rückwirkend aberkannt.

Viele der Vertriebenen wurden später in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert und dort ermordet, andere mussten in der Emigration ein neues Leben beginnen oder sahen sich gezwungen, ihrem Leben selbst ein Ende zu setzen.

Druckversion

Katharina Kniefacz, Herbert Posch

Zuletzt aktualisiert am : 05.03.2024 - 20:59

Ja