Arme Studenten an der Universität Wien vom 14. bis zum 18. Jahrhundert

1365–18. Jhdt.

Seit der Gründung der ersten Universitäten wurden diese vielfach als „Gegenentwürfe“ zur ständisch gegliederten Gesellschaft angesehen und inszeniert: Hier zähle weniger der Stand, in den jemand hineingeboren wurde, als vielmehr die persönlichen Fähigkeiten und Verdienste. Als Beispiel dafür dienten v. a. die armen Studenten. Die ihnen gewährten Gebührenbefreiungen wurden ebenso wie die an den Universitäten eingerichteten Stipendienstiftungen als bewusste Förderung interpretiert. Bei genauerer Betrachtung ergibt sich, dass diese „Förderung“ eher pragmatisch gedacht war. Zwar waren die Universitäten auf die Einkünfte aus diversen Taxen angewiesen, doch wiesen sie – gemäß dem herrschenden Konsens, dass Bildung ein Gottesgeschenk sei – arme Studenten nicht ab. Da die Gebühreneintreibung in diesen Fällen erheblichen Aufwand und geringen Erfolg bedeutet hätte, war es für die Hochschulen einfacher, darauf zu verzichten.

Darüber hinaus gab es keine speziellen Förderungen für „Arme“ (ein im Kontext der Universität zu hinterfragender Begriff). Im Laufe der Frühen Neuzeit änderte sich ihre Behandlung durch die Universität und sonstige Obrigkeiten: wurden sie im 16. und 17. Jahrhundert grundsätzlich geduldet, wenngleich auch weitgehend nicht beachtet, so wurde ab dem 18. Jahrhundert ihre Eignung für ein Universitätsstudium immer stärker in Frage gestellt.

Bei der Durchsicht der Matrikel der Universität Wien, in der neben den Namen auch die geleisteten Taxen verzeichnet sind, fällt auf, dass ein großer Teil der Immatrikulierten von den Taxzahlungen unter Hinweis auf ihre Armut dispensiert worden war. In den meisten Fällen wurde neben dem Namen ein p vermerkt, das den Betreffenden als pauper, als Armen kennzeichnete. Vereinzelt finden sich auch Begründungen wie „Nichts gezahlt, weil er nichts besitzt“ oder „Mit Bewilligung des Rektors nicht gezahlt“.
Diese armutsbedingte Zahlungsbefreiung ist gleichsam das Hauptcharakteristikum der studentischen Armen, die nach den Matrikelvermerken als pauperes bezeichnet werden.

Gebührenbefreiung von der Immatrikulation bis zur Promotion

Die Immatrikulationstaxe war nicht die einzige Gebühr, die von den pauperes nicht bezahlt werden musste. Die Universität legte darüber hinaus fest, dass sie weiters von der Zahlung der Kollegiengelder sowie der Prüfungs- und Graduierungsgebühren befreit werden konnten. Die Dispensierungen beschränkten sich nicht nur auf die Gebühren, sondern umfassten auch die Anschaffung standesgemäßer Kleidung für die Promotionszeremonie. Arme Absolventen anderer Universitäten, die in Wien um die Anerkennung ihres Grades ansuchten, wurden ebenfalls von den dabei fälligen Zahlungen befreit.
Allerdings betonen die Statuten der Universität, dass es sich bei diesen Dispensen nicht um endgültige Zahlungsbefreiungen handelte, sondern verpflichtete die pauperes, die ihnen erlassenen Gebühren nachzuzahlen, falls sie später zu Reichtum kommen sollten. Über die tatsächliche Handhabung dieser Regelung findet sich leider nichts in den Quellen.

Wer sind die pauperes?

Ebenso wenig finden sich in den mittelalterlichen Statuten genaue Definitionen, was unter einem pauper zu verstehen sei. Ein Vergleich des sozialen und finanziellen Umfeldes von Personen, die als pauperes immatrikuliert wurden, ergibt ein äußerst vielschichtiges Bild. Zu den studentischen Armen gehörten sowohl Personen, deren Geldmittel ständig knapp bemessen waren als auch solche, die nur zeitweise – z. B. wegen der Reisekosten zum Studienort – über (zu) wenig Geld verfügten. Da die Matrikel kaum Angaben zu den Familien der Studenten geben, können nur vereinzelt Aussagen über deren sozialen Status getroffen werden. Unter den als pauperes Immatrikulierten finden sich Vertreter verschiedener Schichten – vom (niederen) Adel bis hin zu bäuerlichen Familien. Das verbindende Element dieser heterogenen Gruppe war die Unfähigkeit, die von der Universität geforderten Gebühren aufzubringen. Diese Form der Armut darf nicht mit der gängigen Definition gleichgesetzt werden, nach der diejenigen als arm einzustufen sind, die nicht oder nur mühsam die Mittel für die täglichen Grundbedürfnisse aufbringen können. Studentische Arme waren von „Standesarmut“ betroffen, d. h. sie besaßen nicht das für ein standesgemäßes Studentenleben notwendige Budget.

Einführung von Richtlinien für die Einschätzung als pauper - Armutszeugnisse

Das Fehlen von Richtlinien für die Einschätzung als pauper führte dazu, dass der Rektor oder Dekan die Einstufung aufgrund der Eigenaussage und des äußeren Erscheinungsbildes des Studenten vornahm. Dies war eine zweischneidige Sache, da sie den Studenten zwar die Möglichkeit bot, ihre finanzielle Lage wesentlich ungünstiger darzustellen als sie tatsächlich war; andererseits waren sie von der für sie günstigen Einschätzung durch universitäre Amtsträger abhängig.
Da Wien als Studienort bei armen Studenten im Spätmittelalter sehr beliebt war (bis 1450 war fast die Hälfte der Immatrikulierten zumindest teilweise dispensiert), entgingen der Universität nicht unbedeutende Einnahmen. Ab 1450 wurde die Kontrolle offenbar strenger, da die pauperes-Immatrikulationen bis 1518 auf ein Sechstel der Gesamtzahl sanken. 1510 legte die Universität fest, dass nur jene Studenten Anspruch auf Gebührenbefreiung hätten, die nicht mehr als 10 Gulden an jährlichen Einkünften besaßen und dies mit schriftlichen Zeugnissen belegen konnten. Zum Vergleich: ein Schreiber im Wiener Bürgerspital, dessen Arbeit zu den am höchsten dotierten des Spitals gehörte, erhielt zu dieser Zeit 8 bis 10 Gulden Jahresbesoldung. Mit der Berufung der Jesuiten nach Wien, die kostenlosen Unterricht anboten, stieg der Anteil der pauperes wieder auf etwa die Hälfte.

Umgang der Obrigkeiten mit den pauperes

Die Universität ließ den armen Studenten keine spezielle Förderung zuteil werden. Sie beschränkte sich auf die Gewährung von Dispensen sowie auf die Einrichtung studentischer Armenhäuser, der sogenannten Kodreien. Bei der Bestreitung der sonstigen Lebenshaltungskosten war sie den Armen nur insofern behilflich, als für diese die Möglichkeit bestand, einen Platz in einer der zahlreichen Stipendienstiftungen zu erhalten. Jene pauperes, denen das nicht gelang, mussten sich ihren Lebensunterhalt selbst finanzieren. Insgesamt scheint die Universität den armen Studenten nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt zu haben, wie aus den regelmäßigen Aufforderungen durch die Stadt bzw. die Landesfürsten geschlossen werden kann, sich besser um die ihnen unterstellten Armen zu kümmern.
Die Stadtverwaltung scheint im Mittelalter kaum spezielle Probleme mit den pauperes gehabt zu haben. Immer wiederkehrende Konflikte waren in erster Linie gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Studenten und Stadtbewohnern. Entsprechende Verfügungen betrafen jedoch die Studenten im Allgemeinen.

In den Blickpunkt der habsburgischen Landesfürsten gerieten arme Studenten v. a. in zweierlei Hinsicht: Während der im 16. und 17. Jahrhundert immer wieder auftretenden Epidemien wurden u. a. auch Schulen als mögliche Ansteckungsherde angesehen und deshalb geschlossen. Ein weiterer Schwerpunkt der landesfürstlichen Verfügungen war der Schülerbettel bzw. sich die daraus ergebenen Missstände wie Vernachlässigung der Studien, „aggressives Betteln“, Störung der Nachtruhe oder Ausnutzung jüngerer Schüler, die für ältere „anschaffen“ mussten.
Dabei ist eine deutliche Änderung der landesfürstlichen Sichtweise auf die pauperes zu beobachten: Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts wurde das Studium Armer prinzipiell positiv gesehen. Deshalb wurde die Universität immer wieder gemahnt, auch für diese Gruppe die passenden Rahmenbedingungen zur Verfügung zu stellen.

Ab dem 18. Jahrhundert wurde das Studium der pauperes skeptischer gesehen. Nunmehr forderten die Landesfürsten verstärkt die (strengere) Prüfung der intellektuellen Eignung Armer. Auch im Zuge der Universitätsreformen unter Maria Theresia erging mehrfach die Aufforderung an die Universität Wien, das „ingenium“ armer Studenten zu prüfen und diese bei fehlender Eignung von der Universität zu entfernen – eine Bestimmung, die sich im Bezug auf die übrigen Studenten nicht findet…

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Ulrike Denk

Zuletzt aktualisiert am : 05.03.2024 - 20:59