Kunstgeschichte an der Universität Wien – Die Entstehung einer akademischen Wissenschaft

1847–20. Jhdt.

Die Institutionalisierung der Kunstgeschichte begann in Wien sehr früh: 1847 wurde Rudolf Eitelberger von Edelberg Privatdozent, 1852 erhielt er eine außerordentliche, 1863 eine ordentliche Professur für „Kunstgeschichte und Kunstarchäologie“ an der Universität Wien, wo er bis zu seinem Tod 1885 unterrichtete. Wien zählte damit zu den ersten Orten, an denen eine akademische Ausbildung im praktischen wie wissenschaftlichen Umgang mit kunsthistorischen Werken und Quellen stattfand. Einzigartig ist jedenfalls, dass bereits im 19. Jahrhundert, ab 1879, ein zweiter Lehrstuhl für Kunstgeschichte eingerichtet wurde, auf dem zunächst Moritz Thausing, ab 1885 Franz Wickhoff und seit 1909 Joseph Strzygowski wirkten. Eitelbergers Lehrstuhl wurde erst 1897 mit Alois Riegl wiederbesetzt, dem 1909 Max Dvořák, 1922 Julius von Schlosser  und 1936 Hans Sedlmayr folgten.

Institutionelle Vernetzung und methodischer Pluralismus

Als eines der profiliertesten und innovativsten kunsthistorischen Seminare genoss das Wiener Institut bald einen Ruf, der sich im historischen Etikett „Wiener Schule“ niedergeschlagen hat. Die Wiener Kunstgeschichte eröffnete methodische und vor allem thematische Perspektiven, die bis heute interessant geblieben und teilweise wieder aktuell geworden sind. Trotz aller Verschiedenheit der Ansätze und Interessen ihrer VertreterInnen gibt es einige charakteristische Merkmale: Da ist zum einen die prinzipielle Offenheit gegenüber dem Gegenstand des Faches, den man andernorts schon früh durch Stil-, Gattungs-, Epochen- und Kunstbegriffe eingegrenzt hat. Eine Schlüsselrolle spielte hierbei die enge Verkoppelung mit Museen und dem Denkmalamt. Dem Bundesdenkmalamt (1853 als K.k. Centralkommission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale gegründet), das einen wesentlichen Beitrag zur kunsthistorischen Erschließung Mittel- und Osteuropas leistete, standen drei bekannte Wiener Lehrstuhlinhaber (Riegl, Dvořak, Demus) als Präsidenten vor. Eitelberger war Gründungsdirektor des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie (1863, heute MAK), Thausing Direktor der Albertina, unter den späteren Ordinarien waren Günther Heinz Kurator am Kunsthistorischen Museum und Hermann Fillitz dessen Direktor. Diese symbiotische Beziehung hat zur thematischen Horizonterweiterung über den Katalog kanonischer Kunstwerke hinaus beigetragen, wie auch zur besonderen Affinität für die Objekthaftigkeit und Materialität des Werkes. Forscher wie Wickhoff, Strzygowski und Riegl haben systematisch neue Regionen und Medien für das Fach erschlossen (Sachkultur, Spätantike, die frühe Buchmalerei, Barock, Islam, Asien, usw.) und damit Grundlagen dessen gelegt, was später als „Weltkunstgeschichte“ modern geworden ist. Ein enges Verhältnis bestand auch mit dem 1854 gegründeten Institut für Österreichische Geschichtsforschung (IÖG), das Gelehrte wie Thausing, Wickhoff, Riegl und Dvořak bis hin zu Artur Rosenauer ausbildete. Der dreijährige Lehrgang für Archivare inkludierte ab 1874 auch das Fach Kunstgeschichte. Damit verbunden ist ein anderes prägendes Merkmal der Wiener Kunstgeschichte, nämlich das Interesse an historischen Quellentexten. Die systematische Edition und Analyse historischer Schriften über Kunstwerke und KünstlerInnen ist eng mit den Namen Eitelberger und Schlosser verbunden. Diese methodische Pluralität verlief in der Praxis nicht immer ohne Reibungsverluste und führte, verstärkt durch persönliche Unverträglichkeiten, zwischen 1911 und 1933 sogar zur räumlichen Trennung der beiden Lehrstühle in zwei rivalisierende, von Strzygowski bzw. Dvořák und Schlosser geleitete Institute. Komparatistisch-formalistische sowie geistesgeschichtliche bzw. quellenkundliche Ansätze standen sich damit gegenüber. Erst 1936 übernahm Sedlmayr den nunmehr einzigen Lehrstuhl im „wiedervereinigten“ Institut.

„Drittes Reich“ und „Neuanfang“

Zur „Wiener Schule“ zählte auch eine bedeutende Generation prominenter ForscherInnen, die in den 1930er Jahren systematisch ausgegrenzt oder ins Exil gezwungen wurden. Hierzu gehörten Namen wie Frederik Antal, Ernst Gombrich, Ernst Kris, Otto Kurz, Otto Pächt, Fritz Saxl, Hans Tietze und Johannes Wilde. Hermann Bessemer und Josef Bodony wurden im KZ ermordet. An diese Vertriebenen und Ermordeten erinnert ein Denkmal vor dem Institut. Aufzählungen wie diese machen – vom persönlichen Leid der Betroffenen ganz abgesehen – den immensen und irreparablen Verlust an wissenschaftlicher Bedeutung und akademischer Anziehungskraft deutlich, den die Wiener Kunstgeschichte über das eigentliche Institut hinaus hinzunehmen hatte, ein Verlust, von dem sie sich, wie überhaupt die gesamte deutschsprachige Wissenschaft, vielleicht nie wieder ganz erholt hat. Vielen, denen die Flucht ins meist angelsächsische Ausland gelang, wurde das Gastland zur neuen Heimat. Für die Etablierung der Kunstgeschichte vor allem in Großbritannien und Amerika haben sie einen bedeutenden Beitrag geleistet. Die Zahl der Rückkehrer*innen war nach 1945 gering. Die Unmöglichkeit, die Uhren nach dem Geschehenen wieder zurückzudrehen, illustriert ein Brief des nach England emigrierten Otto Pächt an seinen ebenfalls von den Nationalsozialisten verfolgten Heidelberger Kollegen August Grisebach von 1949. Die Barrieren für eine Rückkehr – auch und vor allem die atmosphärischen – werden hier klar benannt. 1946 berief man als neuen Ordinarius den Dvořák-Schüler Karl Maria Swoboda, der seit 1930 bereits außerordentlicher Professor gewesen war und zwischen 1934–1945 an der Deutschen Universität Prag gelehrt hatte. Pächt kehrte 1963 dann doch als Institutsvorstand nach Wien zurück – ein wesentlicher Beitrag dazu, die Wiener Kunstgeschichte international wieder sichtbar zu machen. Mit der gleichzeitigen Ernennung des ebenfalls aus dem englischen Exil zurückgekehrten Otto Demus zum Ordinarius bekam die nun im Neuen Institutsgebäude (NIG) hinter der Universität am Ring beheimatete Wiener Kunstgeschichte nach drei Jahrzehnten wieder einen zweiten Lehrstuhl. Der Mittelalter-Schwerpunkt der „Ottonen“ sowie des 1964 ernannten Extraordinarius Gerhard Schmidt (1924–2010, Ordinarius ab 1968) verhalf der Wiener Mittelalterforschung in den 1960er und 1970er Jahren zu einem internationalen Ruf, zu dem auch Hermann Fillitz (ab 1974 Nachfolger von Pächt) maßgeblich beigetragen hat.
Seit 1998 ist das Institut für Kunstgeschichte am Campus der Universität Wien beheimatet.