„Ratio Studiorum“

Die jesuitische Unterrichtsmethode
1599–1773

Seit der Mitte des 16. Jahrhundert gab es im Jesuitenorden Bestrebungen, eine einheitliche Studienordnung für die Jesuitenschulen und Universitätskollegien in allen Provinzen des Ordens zu erlassen. Im Jahre 1599 wurde unter dem Titel „Ratio atque Institutio Studiorum Societatis Jesu“ die gültige Fassung in Kraft gesetzt. Sie blieb bis zur Aufhebung des Ordens 1773 in Geltung.

Die Ratio studiorum enthält „Regulae“ für alle am Bildungswesen Beteiligten (Provinzial, Rektor, Studienpräfekten, Professoren, Studierende, Schüler) sowie einen Thesenkatalog der scholastischen Theologie und Regeln für Prüfungen, Prämienvergabe etc.

Das jesuitische Lehrgebäude umfasst das sechsjährige Gymnasium (Grammatik, Humanität, Rhetorik) als Vorbereitung auf den dreijährigen „philosophische Kurs“, in dem Theoretische und Praktische Philosophie (Logik, Physik, Mathematik, Metaphysik, Ethik) vor allem nach Aristoteles gelehrt wurden. Das ideale Ziel des Studiums war die dritte Stufe, sie umfasste das theologische Fachstudium, das nach Thomas von Aquin in vier bis sechs Jahren zu absolvieren war.

Einübung gottgefälliger Tugenden statt Wissenschaft

Die Studienordnung regelt die konsequente Vermittlung der christlichen Lehre und die Erziehung für das jenseitige Ziel. Die Professoren sollten ihre Schüler „zum Dienst und zur Liebe Gottes und zur Übung gottgefälliger Tugenden begeistern“. Dazu gehörten Fleiß, Bescheidenheit, Gehorsam, Frömmigkeit, Sittenreinheit etc. Die ursprüngliche Unentgeltlichkeit des Unterrichts sollte möglichst viele begabte, auch arme Schüler in die Jesuitenschulen bringen, wo Belohungen („praemiae“) als Ansporn zu guten Leistungen dienten. Das Jesuitentheater war ebenfalls Teil des schulischen, erzieherischen Programms. Auf Erholungsphasen („recreatio“) sowie gemeinsame kirchliche Feiern und Jahresfeste wurde Wert gelegt.

Die Unterrichtsmethode bestand in Vorlesungen („praelectiones“), Diktaten, Wiederholungen („repetitiones“) täglichen Schulübungen in Form von philosophischen Streitgesprächen („disputationes“), Fragestunden, Wettkämpfen, Deklamationen und strengen Prüfungen, in denen auch die Jahresgesamtleistung beurteilt wurde. Gravierende Mängel dieses Systems wurden vor allem im Laufe des 18. Jahrhunderts scharf kritisiert. Dazu gehörten das weitgehende Fehlen des selbständigen Forschens und gezielte Hinführung zu kreativem Denken, wodurch kaum wissenschaftliche Innovationen bzw. Weiterentwicklungen zustande kamen. Patres, die allzu sehr „zu Neuerungen geneigt oder allzu freien Geistes“ waren, sollte der Provinzial vom Lehramt entfernen. Dies alles führte letztlich zur Erstarrung und weitgehenden Ablehnung des jesuitischen Lehrsystems.

Kurt Mühlberger

Zuletzt aktualisiert am : 12.11.2014 - 14:56