Von der Kapitaltheorie zur Einkommenssteuer

1884–21. Jhdt.

„Woher und warum empfängt der Kapitalist jenen end- und mühelosen Güterfluß? Diese Worte enthalten das theoretische Problem des Kapitalzinses. Es wird
gelöst sein, wenn die geschilderte Tatsache des Zinsenbezugs erklärt sein wird.“
Eugen Böhm-Bawerk

Böhm-Bawerk gehört zu den bedeutendsten Vertretern der Österreichischen Schule der Nationalökonomie. Er entwickelte eine neue Theorie des Kapitals und des Kapitalzinses. Als Finanzminster führte Böhm-Bawerk in Österreich die progressive Einkommenssteuer ein. Er beeinflusste das ökonomische Denken des ganzen 20. Jahrhunderts von Rudolf Hilferding bis Friedrich August von Hayek.

Eugen Böhm-Bawerk, Ökonom

Böhm-Bawerk (1851–1914) war österreichischer Finanzminister und lehrte Nationalökonomie an der Universität Wien.

Böhm-Bawerk wurde in Brünn (Mähren) geboren und studierte von 1868–72 Rechts- und Staatswissenschaften an der Universität Wien. Nach Studienaufenthalten in Heidelberg, Leipzig und Jena promovierte er 1875 in Wien. Bis 1880 war er im Niederösterreichischen Finanzdienst tätig. 1880 heiratete er die Schwester des Nationalökonomen Friedrich von Wieser und habilitierte sich im selben Jahr in politischer Ökonomie. Von 1881 bis 1889 lehrte er an der Universität Innsbruck, wo er auch an seinem Hauptwerk Kapital und Kapitalzins arbeitete. 1889 wurde er Ministerialrat und später Sektionschef im Österreichischen Finanzministerium. In drei Kabinetten war Böhm-Bawerk Finanzminister, erstmals 1895, dann 1897–1898 und 1900–1904.

1899 wurde er auch Mitglied des Herrenhauses. Als Finanzminster strebte er einen ausgeglichenen Haushalt an und führte die progressive Einkommenssteuer in Österreich ein. Nachdem der dritte und letzte Band von Karl Marx´ Kapital 1894 erschienen war, publizierte Böhm-Bawerk eine Kritik der Wert- und Preistheorie von Marx: Zum Abschluß des Marxschen Systems (1896). Nach seiner Tätigkeit als Finanzminister kehrte Böhm-Bawerk in die Wissenschaft zurück und übernahm eine Professur an der Universität Wien. Maßgebliche spätere Ökonomen und Politiker saßen als Studenten in seinem Seminar, so Ludwig von Mises, Joseph Schumpeter, Otto Bauer, Otto Neurath und Rudolf Hilferding. Von 1911–1914 war Böhm-Bawerk auch Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

1884

Böhm-Bawerk gehört mit Friedrich von Wieser zur zweiten Generation der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, die der Nationalökonom Carl Menger mit seiner Grenznutzentheorie begründet hatte. Um Tausch zu erklären entwickelte Menger im Gegensatz zu den von Smith, Ricardo und Marx vertretenen (arbeitstheoretischen) Theorien der objektiven Bewertungen eine Theorie der subjektiven Bewertungen. Demnach bewerten Menschen den Gesamtvorrat eines Gutes nach dem sogenannten Grenznutzen, i.e. nach der Bedeutung, die die Befriedigung des für sie am wenigsten wichtigen Bedürfnisses durch eine konkrete Einheit dieses Gutes hat. Auf Basis dieser subjektiven Werttheorie entwickelt Menger eine Preistheorie, die im Vergleich zu einer auf einer objektiven Werttheorie basierenden, erklärungskräftiger ist.

In seinem Hauptwerk Kapital und Kapitalzins lieferte Böhm-Bawerk eine Theorie des Kapitals und des Kapitalzinses im Rahmen von Mengers Theorie des Grenznutzens. Böhm-Bawerk erklärte darin auch die zentrale Rolle der Zeit in der Produktion und entwickelte eine Theorie der „Produktionsumwege“. Die zwei ersten Bände von Kapital und Kapitalzins erschienen 1884 und 1889. Ein dritter Band des Werkes erschien erst 1921 aus dem Nachlass von Böhm-Bawerk.

Der Wert und die Wirkung seiner Theorie

Böhm-Bawerks Hauptwerk ist ein zentraler Beitrag zum Verständnis des Kapitals und der Kapitalerträge. Carl Mengers Grenznutzentheorie hatte die Ökonomie auf eine neue Basis gestellt und damit eine Revolution in der Nationalökonomie ausgelöst. Es war das Verdienst Böhm-Bawerks, eine Kapitaltheorie auf dieser neuen Basis zu entwickeln.

Böhm-Bawerks Theorie stand in Widerspruch zur marxistischen Theorie des Kapitals und löste eine starke und im ganzen 20. Jahrhundert anhaltende Kritik des Marxismus aus. Berühmt hierfür wurde die Debatte von Eugen Böhm-Bawerk mit dem Austromarxisten Rudolf Hilferding, der 1904 die marxistische Werttheorie zu retten versuchte. Die 3. und 4. Generation der Österreichischen Schule der Nationalökonomie (Ludwig von Mises, Gottfried Haberler, Fritz Machlup, Friedrich August von Hayek) stützte sich auf Böhm-Bawerks Kritik des Sozialismus.

Böhm-Bawerks Kapital und Kapitalzins steht in einer Reihe mit den bedeutendsten Theorien des Kapitals der letzten 150 Jahre. Ein weiteres wichtiges Verdienst Böhm-Bawerks war seine Tätigkeit als österreichischer Finanzminister und hier insbesondere die Einführung der progressiven Einkommenssteuer in Österreich, die mit der Steuerreform 1896 in Kraft trat. Obwohl Böhm-Bawerk diese Reform vorbereitete, war er zum Zeitpunkt ihrer Implementierung gerade nicht mehr Minister. Die Einführung einer progressiven Einkommenssteuer galt als revolutionär, da in ihr eine gewisse Abkehr von den bis dahin geltenden Prinzipien gesunder Fiskalpolitik gesehen wurde.

„Eugen Böhm-Bawerk erklärt durch die Höher-schätzung gegenwärtiger ‚genussreifer Güter’ und die Geringschätzung künftig erreichbarer Güter sowie durch die zeitliche Dimension der Produktion, durch das Einschlagen von ‚Produktionsumwegen’, den Kapitalzins.“
Georg Winckler, Professor für Volkswirtschaftstheorie und Volkswirtschaftspolitik und Rektor der Universität Wien 1999–2011