Karl Gaulhofer, Dr.

13.11.1885 – 28.10.1941
geb. in Feldbach, Stmk., Österreich gest. in Amsterdam, Niederlande

Ehrungen

Ehrung Titel Datierung Fakultät
Denkmal Gaulhofer-Gedenkstein 1961 Philosophische Fakultät

Wortlaut des Gedenksteins aus 1961:

„Dem Andenken an den großen | Erneuerer der Leibeserziehung | Dr. Karl Gaulhofer | 13. Nov. 1885 - 28. Okt. 1941 | Leibesübungen müssen wieder organisch | in jedes Menschenleben eingebaut werden, | sie müssen also wieder Volkssitte werden. | Gaulhofer“,

seit 2017/18 kommentiert durch eine Zusatztafel mit dem Wortlaut:

„Karl Gaulhofer war ein einflussreicher Turnpädagoge | ("Natürliches Turnen", gemeinsam mit Margarete Streicher). | Er orientierte sich an völkischen Ideen der deutschnationalen | Eugenik der Zwischenkriegszeit sowie der NS-Zeit und war | darüber hinaus in völkisch-antisemitischen Vereinen aktiv. | 1938 trat Gaulhofer der NSDAP als Mitglied bei. Seit 1932 lehrte | er als Rektor an der Akademie für körperliche Erziehung in | Amsterdam und fungierte nach der militärischen Besetzung der | Niederlande zuletzt als Referent des Reichskommissars.
Institut für Sportwissenschaft der Universität Wien 2017“

Stipendien/Preise/Stiftungen Gaulhofer-Streicher-Gedenkstiftung und -Preis 1968 Philosophische Fakultät

Die Stiftung wurde 1969 geschaffen „zum ständigen Gedenken an die bedeutenden österreichischen Turnpädagogen Dr. Karl Gaulhofer und Dr. Margarete Streicher sowie an ihr großes Reformwerk“ (Präambel des Stiftungsbriefs von 1969) und war mit der jährlichen Vergabe jährlich eines Gaulhofer-Streicher-Gedenk-Preises für den besten und die beste Student*in des Instituts für Leibeserziehung der Universität Wien und im Rahmen einer Gaulhofer-Streicher-Feier zu verleihen.

2009 wurde die Stiftung aufgelöst, seit 2013 wird auch der Gaulhofer-Streicher-Preis nicht mehr verliehen.

Die Ehrung wird 2022/23 aufgrund von Karl Gaulhofers Involvierung in den Nationalsozialismus als „diskussionswürdig“ eingestuft. Karl Gaulhofer trat nach dem „Anschluss“ im März 1938 der NSDAP bei, der er als führender Eugeniker schon vorher nahegestanden hatte. Im selben Jahr rief er zur politischen Leibeserziehung auf, für die „Zucht“ und „Typus“ die Grundlage bilden sollten. Gaulhofer begrüßte den Einmarsch der deutschen Truppen in die Niederlande ausdrücklich und wurde nach der deutschen Besetzung der Niederlande Referent beim Reichskommissar. Nach seinem Tod verfasste 1941 einer seiner Schüler, Karl Schindl, einen Nachruf auf Gaulhofer, in dem er ihn als „Kämpfenden für das Dritte Reich“ würdigte.

Karl Gaulhofer, geboren 1885 in Feldbach an der Raab, trat 14jährig dem deutschnational und antisemitisch ausgerichteten Turnverein „Jahn“ bei, der dem „Deutschen Turnerbund“ angehörte, dessen Leitgedanken „Zurück zu Jahn, es gibt kein besseres Vorwärts“ und „Rassenreinheit, Volkseinheit, Geistesfreiheit“ waren. Dort kam er als Turner, Vorturner, Wettturner, Turnwart, mit den Themen Rassenhygiene und Deutschnationalismus in Kontakt. Nach der Reifeprüfung (Matura) studierte er ab 1903 an der Universität Graz, legte 1904 die Lehramtsprüfung im Turnen ab und absolvierte 1904/05 seine Militärdienstpflicht als Einjährig-Freiwilliger. Er studierte danach weiter an der Universität Graz Lehramt Mathematik und Naturgeschichte, legte 1908 die Lehramtsprüfung ab und promovierte 1909 in Biologie/Botanik (Nebenfach: Physik) zum „Dr.phil.“. Die doppelte Qualifikation in Biologie (Vererbungslehre) und Sport waren für Gaulhofers späteres Wirken als Reformpädagoge und bei der Entwicklung des „Natürlichen Turnens“ von großer Bedeutung.
Anschließend arbeitete er für fünf Jahre als Lehrer für Turnen, Mathematik, Naturgeschichte, Chemie, Physik, Geographie und biologische Übungen, Mineralogie und Geometrisches Zeichnen an der neu erbauten Realschule in Bruck an der Mur.
1914-1918 diente er als Offizier mehrfach ausgezeichnet im Ersten Weltkrieg, nutzte den Stellungskrieg am Isonzo aber auch, um seine Turntheorie anhand der Werke von Guts Muths, Jahn und weiterer Turntheoretiker und -praktiker weiter zu entwickeln.

Verantwortlicher für das Schulturnen

Anfang 1919 wechselte er von der Realschule in Bruck an das Unterrichtsministerium in Wien als Referent für körperliche Erziehung (1921 Ministerialrat), war damit der höchste staatliche Funktionär für Schulturnen und initiierte bis 1932 von dort aus die inhaltliche und organisatorische Neugestaltung des österreichischen Schulturnens als „Natürliches Turnen“ und konnte die Reformen als Fachinspektor für den Turnunterricht auch in die Praxis transferieren. Die ebenfalls angestrebte Schaffung einer Professur für Leibeserziehung an der Universität Wien konnte er aber damals noch nicht realisieren, wirkte aber auch als Lehrbeauftragter am Institut für Turnlehrerausbildung an der Universität Wien mit.

Gaulhofer erreichte:

  • die Reform der Ausbildung für Turnlehrerinnen. Diese wurde von vier auf acht Semester erweitert, als universitäre Ausbildung anerkannt und war mit einem verpflichtenden 2. wissenschaftlichen Fach zu belegen.
  • Neue Lehrpläne für alle Schultypen.
  • Schaffung von Turnplätzen, Spielplätzen, Heimen und Übungsstätten.
  • Einführung von Skikursen und Wandertagen an höheren Schulen
  • Neuorganisation des Schulärzt*innenwesens.

Die Turnreform stockte in Zeiten der Wirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre in Österreich, aber auch seine deutschnationale Überzeugung schränkte im konservativ christlich-sozial dominierten Unterrichtsministerium seine weiteren Handlungsmöglichkeiten in Österreich ein.

Politische Positionen

Karl Gaulhofer war Mitglied der 1919 gegründeten deutschnationalen, antisemitischen und antiliberalen „Deutschen Gemeinschaft“ die den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich anstrebte und wurde 1938 Mitglied der NSDAP. Im selben Jahr verfasste er auch den Aufsatz „Politische Leibeserziehung“. Er bezeichnet sich selbst in Briefen an seine Mitstreiterin Margarethe Streicher als „seit jeher theoretisch und praktisch Antisemit“ (Vgl. Thomas Mayer, In: Krüger, M. 123f). Er war außerdem Gründungs- und Vorstandsmitglied im deutschnationalen und eugenischen Verein „Österreichischen Bund für Volksaufartung und Erbkunde“ (ÖBVE), einem der aktivsten und erfolgreichsten eugenischen Vereine um 1930. Er hielt Vorträge und popularisierte Eugenik auch an den Schulen. In seiner Funktion im Unterrichtsministerium sorgte er 1928 für die Aufnahme von „Rassenhygiene“ und Eugenik in die Turnlehrpläne für Mittelschulen.

Rektor der Akademie für körperliche Erziehung in Amsterdam

Sein intensiver Austausch mit dem niederländischen Turnlehrverein in Nachfolge der Olympischen Spiele in Amsterdam 1928 führte dazu, dass er 1932 als Rektor an die Akademie für körperliche Erziehung (Academie voor lichamelijke opvoeding) nach Amsterdam berufen wurde. In Amsterdam leitete er die Akademie, unterrichtete Pädagogik, Soziologie und Leibeserziehung. Nach der Machtergreifung des Nationalsozialismus in Österreich plante er auch eine Rückkehr nach Österreich, die sich aber nicht realisieren ließ, und er begrüßte 1940 den Überfall und die Besetzung der Niederlande durch das Deutsche Reich. Eine nach dem Ende seines Vertrages in Amsterdam für 1943 geplante Rückkehr ins nationalsozialistische Österreich fand nicht mehr statt, da er bereits am 28. Oktober 1941 in Holland an einem Herzanfall verstarb.

„Natürliches Turnen“

Karl Gaulhofer hatte seine Reform des Schulturnens als „Natürliches Turnen“ gemeinsam mit Margarethe Streicher 1930/31 in zwei Bänden veröffentlicht, 1942 folgte der dritte Band. Darin wurde das gesamte Übungsgut in die vier Großgruppen: Ausgleichsübungen, Formende Übungen, Leistungsübungen und Bewegungskünste gegliedert. Das „Natürliche Turnen“ war eine Synthese verschiedener zeitgenössischer Strömungen und u.a. von der modernen nordischen Schulgymnastik inspiriert.

Gaulhofer und Streicher vertraten mit dem „Natürlichen Turnen“ eine ganzheitliche Auffassung der Leibeserziehung und fanden internationale Beachtung. Sie wollten weg vom „kinderfeindlichen Subordinationsturnen“ nach Adolf Spieß hin zu einer Bewegungserziehung vom Kinde aus, die sich an alle wenden sollte, nicht nur an Sportler*innen, wobei das „natürliche“ der Bewegung – im Sinne von unabhängig von Kultur – im Zentrum stand womit auch die Autonomie der Kinder gefördert werden sollte.

Während in anderen vom Nationalsozialismus befreiten Ländern nach 1945 diese Denkschule nach Kriegsende nicht weiter betrieben wurde, blieb sie im wiedererstandenen Österreich unter Federführung seiner Schüler und seiner Mitstreiterin Margarethe Streichers als autochthone Entwicklung prägend für die Sportwissenschaften und den Schulsport bis in die 1970er Jahre.

Werke (Auswahl)

  • Karl Gaulhofer u. Margareta Streicher, Das Neue Schulturnen, Weinheim 1928 (²1962).
  • Karl Gaulhofer, Kulturgeschichte der menschlichen Bewegung, Wien 1930.
  • Karl Gaulhofer, Die Fußhaltung. Ein Beitrag zur Stilgeschichte der menschlichen Bewegung. Band 1. Kassel 1930 (²1969).
  • Karl Gaulhofer u. Margareta Streicher, Natürliches Turnen. Gesammelte Aufsätze 1. Wien 1931 (²1949).
  • Karl Gaulhofer u. Margareta Streicher, Natürliches Turnen. Gesammelte Aufsätze 2. Wien 1930 (²1949).
  • Karl Gaulhofer u. Margareta Streicher, Natürliches Turnen. Gesammelte Aufsätze 3. Wien 1942 (²1950).
  • Karl Gaulhofer, Politische Leibeserziehung, in: Treibt Leibesübungen. Zeitschrift und Mitteilungen des Hochschulinstitutes für Leibesübungen Wien, 1 (Oktober 1938), 2–5.

Ehrungen

Gedenkstein

In den 1960er Jahren war bereits auf dem Gelände des Instituts für Leibeserziehung in Wien 9., Sensengasse, dem Vorläufer des heutigen Institutes für Sportwissenschaft, ein Gedenkstein für Karl Gaulhofer errichtet worden, der bei der Übersiedelung des heutigen Zentrums für Sportwissenschaft auf die transferiert wurde:

„Dem Andenken an den großen | Erneuerer der Leibeserziehung |
Dr. Karl Gaulhofer | 13. Nov. 1885–28. Okt. 1941 |
Leibesübungen müssen wieder organisch | in jedes Menschenleben eingebaut werden, | sie müssen also wieder Volkssitte werden. | Gaulhofer“

2017 wurde auf Initiative der Zentrumsleitung Sportwissenschaft dieser Gedenkstein problematisiert, und anstelle einer ebenfalls empfohlenen Entfernung eine zeithistorische Kontextualisierung vorgenommen in Form einer 2018 angebrachten Zusatztafel:

„Karl Gaulhofer war ein einflussreicher Turnpädagoge | („Natürliches Turnen“, gemeinsam mit Margarete Streicher). | Er orientierte sich an völkischen Ideen der deutschnationalen | Eugenik der Zwischenkriegszeit sowie der NS-Zeit und war | darüber hinaus in völkisch-antisemitischen Vereinen aktiv. | 1938 trat Gaulhofer der NSDAP als Mitglied bei. Seit 1932 lehrte | er als Rektor an der Akademie für körperliche Erziehung in | Amsterdam und fungierte nach der militärischen Besetzung der | Niederlande zuletzt als Referent des Reichskommissars.
Institut für Sportwissenschaft der Universität Wien 2017“

Gaulhofer-Streicher-Gedenkstiftung und -Preis

1969 wurde auf Initiative seines Schülers und Nachfolgers Prof. Hans Groll, MinR. Ferdinand Zdarsky und FI Helene Tollich die „Gaulhofer-Streicher-Gedenkstiftung“ mit Sitz an der Universität Wien gegründet mit dem Zweck, jährlich einen Gedenk-Preis für den besten und die beste Student*in des Instituts für Leibeserziehung der Universität Wien zu vergeben und zu dessen Verleihung eine Gaulhofer-Streicher-Feier zu veranstalten (aus dem Stiftungsbrief), die Mitglieder der Entscheidungskommission wurden auf Lebenszeit ernannt, umfassten neben den Proponenten auch Margarete Streicher selbst und mussten „geprüfte akademische Leibeserzieher, die in positiver Beziehung zum Lebenswerk Gaulhofers und Streichers stehen“ sein (aus dem Stiftungsbrief). Die Stiftung bestand bis 2009 (nach der Auflösung wurde das verbliebene Stiftungsvermögen und der Stiftungszweck an die Dr.-Ladislaus-Vajda-Stiftung der Universität Wien übertragen).

Straßenname

Im März 1968 beschloss der Wiener Gemeinderat, eine Verkehrsfläche in Wien 20, Brigittenau, nach Karl Luitpold Gaulhofer in „Gaulhofergasse“ zu benennen. Bei der Überprüfung der Wiener Straßennamen durch eine historische Kommission wurde 2011/2013 der so Geehrte als „Fall mit Diskussionsbedarf“ eingestuft.

Daraufhin beschloss die Universität Wien 2013, den Gaulhofer-Streicher-Preis nicht mehr zu vergeben.

Archiv der Universität Wien, Rektorat GZ 151 ex 1969/70 (=S 204)

Herbert Posch

Zuletzt aktualisiert am 23.01.2024 - 01:02

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  • Gaulhofer-Gedenkstein

    Gaulhofer-Gedenkstein aus den 1960er Jahren, mit dem Institut 1973 transferiert auf die Schmelz, samt erläuternder Zusatztafel von 2017.

    BestandgeberIn: Universität Wien
    2018