Entwicklung der Studierendenfrequenz im 19. und 20. Jahrhundert

1829–1971

Die Reformen unter Leo Thun-Hohenstein als Unterrichtsminister bewirkten einen Aufschwung der Universität Wien zur führenden Hochschule Österreich-Ungarns. Der Zugang neuer sozialer Gruppen zum Universitätsstudium – darunter Frauen und Personen jüdischer Konfession – führte ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer Vermehrung der akademischen Konkurrenz. Der Anstieg der Studierenden- und AbsolventInnenzahlen, der sich bis ins 20./21. Jahrhundert – mit Unterbrechung der Weltkriege – relativ kontinuierlich fortsetzte, war mit dem akademischen Arbeitsmarkt und Debatten um Überfüllung und Mangel eng verbunden. Dieser wurde durch den Staat als traditionell größter Arbeitgeber für AkademikerInnen dominiert. Im Zuge einer Professionalisierung kamen auch neue akademische Berufe hinzu.

Vor der Reform

Seit der Einrichtung des administrativ statistischen Dienstes in Österreich im Jahr 1829 (heute: Statistik Austria) liegen für die österreichischen Universitäten Zahlen der Studierendenfrequenz vor. An der Universität Wien waren zu diesem Zeitpunkt – im Sommersemester 1828/29 – bereits 3.705 Studenten inskribiert. Gemeinsam mit den Universitäten in Graz, Innsbruck, Prag, Olmütz und Lemberg sowie dem Lyzeum in Salzburg zählte sie damals insgesamt 10.588 Studenten und stellte damit die größte Universität dar, an der in den 1830er Jahren zwischen einem Drittel und fast der Hälfte aller Universitätsstudenten Österreichs studierten. Im Sommersemester 1839/40 erreichte die Universität Wien ihren zwischenzeitlichen Höchststand von 5.749 Studenten.
Die 1840er Jahre brachten einen plötzlichen Rückgang: Waren im Sommersemester 1841/42 noch 5.420 Studenten an der Universität Wien eingeschrieben (Österreich: 11.468), waren es im Jahr darauf nur noch 3.143 (Österreich: 8.883). Als unmittelbare Folge der Revolution im März 1848 sanken die Zahlen neuerlich drastisch ab und erreichten im Sommersemester 1849/50 den Tiefststand von 1.557 inskribierten Studenten (Österreich: 6.335).

Anstieg der Studierendenzahlen in Folge der Thun-Hohensteinschen Reformen

Blieb die Frequenz an der Universität Wien zwischen 1850 und 1860 noch relativ gleichbleibend bei etwa 2.500 Studierenden, wuchs sie dann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis in die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg stetig: Von 2.401 Studenten im Wintersemester 1859/60 verdoppelte sich die Zahl zunächst binnen 20 Jahren auf 4.823 im Wintersemester 1880/81. Bis zum Wintersemester 1899/1900 wuchs die Zahl – etwas langsamer – auf 6.320 Studierende, stieg im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts dann jedoch nochmals sehr rasch um fast ein Drittel auf 9.090 Studierende im Wintersemester 1909/10. Insgesamt vervierfachten sich die Studierendenzahlen also fast in einem Zeitraum von 50 Jahren. Die starke Zunahme der Studierendenzahlen hatte verschiedene Gründe.

Die Medizinische Fakultät und die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät spielten hinsichtlich der Studierendenzahlen lange Zeit die größte Rolle innerhalb der Wiener Universität. Der Arbeitsmarkt für Ärzte, Anwälte, Richter und juristisch ausgebildete Beamte für dem höheren Verwaltungsdienst wurde durch den Staat dominiert. Durch die Thun-Hohenstein’schen Reformen erlangte nun vor allem die Philosophische Fakultät eine deutliche Aufwertung: Sie wurde zu einer wissenschaftlichen Lehr-und Forschungsstätte ausgebaut und ihre AbsolventInnen erhielten generell nicht nur die Möglichkeit eines vollwertigen wissenschaftlichen Doktorates in den Geistes- und Naturwissenschaften, auch die Ausbildung zum Beruf des Gymnasiallehrers wurde nun in die Universität integriert und fand vorrangig an dieser Fakultät statt. Die Philosophische Fakultät vergrößerte ihren Anteil an den Studierenden von 384 (16 % aller Studierenden der Universität Wien) 1859/60 auf 3.275 (36 %) im Jahr 1909/10. Die Nachfrage nach AkademikerInnen nahm im ausgehenden 19. Jahrhundert im öffentlichen Dienst, bei den freien Berufen und der Wirtschaft zwar zu, jedoch nicht im gleichen Maße wie die Zahl der AbsolventInnen.

Die Thun-Hohenstein’sche Bildungsreform, im Zuge derer 1850 die „Maturitätsprüfung“ als Abschluss des Gymnasiums und zugleich als Voraussetzung für ein Universitätsstudium eingeführt wurde, zog auch die Gründung zahlreicher Gymnasien und Realschulen nach sich. Zusammen mit dem allgemeinen Bevölkerungswachstum führte das größere Bildungsangebot auch zu steigenden Schüler- und Maturantenzahlen, die wiederum vermehrt an die Universitäten Österreich-Ungarns strömten. Die Reformen des 19. Jahrhunderts ermöglichten auch neuen sozialen Gruppen den Zugang zu einer universitären Ausbildung. Insbesondere stieg der Anteil der Studierenden aus der Mittelklasse stark an. Mit dem Staatsgrundgesetz 1867 wurde die Gleichberechtigung für männliche Bürger jüdischer oder protestantischer Konfession gesetzlich ermöglicht, womit sie auch Zugang öffentlichen Ämtern erhielten. Als größte Hochschule in der österreichischen Reichshälfte – etwa 50 % aller Studienabschlüsse – zog die Universität Wien Studierende aus dem gesamten Habsburgerreich, besonders aus Galizien, an. Um die Jahrhundertwende kamen außerdem Frauen als neue Konkurrenz an der Universität hinzu. 1897 wurden Frauen erstmals zum Studium an der Philosophischen Fakultät, 1900 an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien zugelassen. In den Diskussionen um die Zulassung zum Studium spielte auch die wachsende Konkurrenz am akademischen Arbeitsmarkt eine wesentliche Rolle. Unter anderem wurde das Schreckgespenst des weiblichen Arztes oder Anwalts als Argument gegen die Studienzulassung von Frauen angeführt. Außerdem wurde im ausgehenden 19. und im 20. Jahrhundert angesichts der heraufbeschworenen „Überfüllung“ und sinkenden Qualität der akademischen Ausbildung wiederholt die Einschränkung bzw. der Ausschluss jüdischer Studierender durch einen rassistisch motivierten Numerus clausus gefordert.

Expansion und fortschreitende Verwissenschaftlichung führten im ausgehenden 19. Jahrhundert auch zu einer „Gründerzeit“ für neue Institute, Seminare und Lehrstühle an der Universität Wien, die einen modernen Wissenschaftsbetrieb möglich machten, aber auch mit dem gleichzeitigen Anstieg der Hörer(Innen)zahlen zu einem stark wachsenden Raumbedarf führte. Eine wesentliche Neuerung auf räumlicher Ebene war das neueröffnete Hauptgebäude der Universität Wien an der Ringstraße 1884, das jedoch von Anfang an nicht allen Instituten Platz bot. Bis 1915 entstanden daher zahlreiche Institutsgebäude in unmittelbarer Nähe des Hauptgebäudes.

Ende der Monarchie und Erste Republik

Der Aufschwung der Universität Wien wurde durch den Ersten Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie unterbrochen: Die Universität beschloss 1914, die Hälfte des Hauptgebäudes in ein Lazarett umzubauen. Von 9.205 HörerInnen im Sommersemester 1913/14 (7 % Frauen) sank die Anzahl der Studierenden infolge des Krieges und der Einberufung männlicher Studierender und Lehrender um rund die Hälfte.

Unmittelbar nach Kriegsende waren im Wintersemester 1918/19 an der Universität Wien bereits wieder 10.554 Studierende (15 % Frauen) eingeschrieben, da mehrere Maturajahrgänge, die in den Jahren zuvor kriegsbedingt nicht inskribieren hatten könnten, nun gleichzeitig an die Universitäten kamen. Nach dem Zerfall des Habsburgerreichs verkleinerte sich jedoch der Einzugsbereich der Universität stark, zumal auch die Inskriptionsbedingungen für Studierende aus anderen Nachfolgestaaten verschärft wurden. Trotz eines vorübergehenden Rückgangs der Studierendenzahl Mitte der 1920er Jahre, der auch durch steigende Studiengebühren begründet war, wurde im Wintersemester 1932/33 mit 12.870 Studierenden (26 % Frauen) der höchste Stand der Zwischenkriegszeit erreicht.

Nachdem sich auch der vor allem staatliche akademische Arbeitsmarkt infolge des Zerfalls des Habsburgerreiches deutlich verkleinert hatte und Stellen der öffentlichen Verwaltung zur Verbesserung der Staatsfinanzen in der Ersten Republik massiv abgebaut wurden, führte insbesondere die hohe Anzahl akademischer Abschlüsse (1919/20 insgesamt 1.205 Promotionen) wieder zu einer öffentlichen Diskussion über „Akademikerschwemme“. Gepaart mit antisemitischem Gedankengut, das traditionell unter den Universitätsangehörigen weit verbreitet gewesen war und sich nun nochmals verstärkte, führten die nun wieder verstärkten Überfüllungsdebatten zu Angriffen auf jüdische KollegInnen. Deutschnationale, katholisch-nationale sowie nationalsozialistisch gesinnte Lehrende und Studierende forderten wieder verstärkt die Vertreibung jüdischer Studierender von österreichischen Universitäten bzw. die Einführung eines Numerus clausus für diese. Insgesamt waren an der Universität Wien im Jahr 1934 etwa 19 % aller Studierenden jüdischer Konfession. Die antisemitische Propaganda stellte diesen Anteil freilich weitaus höher dar.

Einbruch der Studienzahlen während Austrofaschismus, Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg (1933-1945)

Das austrofaschistische Regime griff massiv in die Organisation der österreichischen Universitäten ein. Nach dem Verbot des Nationalsozialistischen Studentenbundes sowie aller sozialistischen und kommunistischen Studierendengruppen wurden politisch unerwünschte Studierende diszipliniert und erhielten zum Teil Studienverbote. Die austrofaschistische Politik hatte insgesamt einen Rückgang der Studierenden um ca. 25 % zur Folge: von 12.870 im Wintersemester 1932/33 auf 9.180 im Wintersemester 1937/38 – etwa so viele, wie vor dem Ersten Weltkrieg.

Dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich im März 1938 folgte ein noch deutlicherer Rückgang: Über 2.700 vorwiegend jüdische Angehörige der Universität Wien wurden 1938 entlassen und vertrieben. Insgesamt etwa 2.200 Studierende sowie 320 ProfessorInnen und DozentInnen wurden aus rassistischen bzw. politischen Gründen verfolgt. Vom Wintersemester 1937/38 zum Folgejahr sank die Studierendenzahl innerhalb eines Jahres von 9.180 auf 5.351 um fast 42 % wobei ca. 23 % als Jüdinnen und Juden ausgeschlossen wurden.
Die Zahl der HörerInnen nahm auch nach 1938 weiterhin kontinuierlich ab. In den Kriegsjahren wurden männliche Studierende, aber auch vermehrt Lehrende der Universität Wien zum Dienst in die Wehrmacht eingezogen. Durch die nationalsozialistische Politik und die Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges erreichte die Zahl der Studierenden im Wintersemester 1944/45 den historischen Tiefststand des gesamten 20. Jahrhunderts mit 3.446. Infolge des Wehrdienstes der männlichen Studenten waren über 50 % des übriggebliebenen HörerInnen der Universität Wien Frauen.

Die Zweite Republik (bis 1970)

Im April 1945 wurde das Universitätsviertel durch sowjetische Soldaten befreit. Bereits im Wintersemester 1945/46 inskribierten wieder 9.014 Studierende an der Universität Wien, da – wie bereits nach dem Ersten Weltkrieg – wieder mehrere Maturajahrgänge gleichzeitig an die Universität kamen. Die Anzahl der Promotionen stieg wieder auf ca. 1.000 bis 1.200 jährlich. Die 1945 begonnene „Entnazifizierung“ wurde ab 1947 durch verschiedene Amnestien für ehemalige Nationalsozialisten nur noch unvollständig durchgeführt. Nach dem „Nachkriegsboom“ 1945 bis 1950 ging die HörerInnenzahl der Universität jedoch deutlich zurück auf 6.141 Studierende im Wintersemester 1953/54, was sich auch in einer auffallend niedrigen Zahl der Promotionen äußerte. Nach einem Tiefsstand von 495 Promotionen im Studienjahr 1958/59 stiegen die Promotionszahlen erst 1965/66 wieder über 1.000 jährlich.

Die Studierendenzahl erreichte erst Ende der 1950er Jahre wieder den Stand während der Ersten Republik. So waren im Wintersemester 1960/61 14.103 HörerInnen (davon etwa 35 % Frauen) an der Universität Wien eingeschrieben. Bis 1970 nahm die Anzahl kontinuierlich auf ca. 19.000 Studierende zu. Um die steigende Zahl der Inskriptionen zu verwalten wurde zudem ab Wintersemester 1968/69 die Matrikelnummer für österreichische Studierende eingeführt und die Studierendenverwaltung auf EDV umgestellt. (AHStG 1. Durchführungsverordnung, BGBl. Nr. 300 vom 19. Juli 1967)

Den Reformen der 1970er Jahre, die eine Öffnung und Demokratisierung der Universitäten durchsetzten, folgte dann ein explosionsartiges Wachstum hin zur „Massenuniversität“. Im Wintersemester 1971/72 verzeichnete die Universität Wien erstmals über 20.000 Studierende (20.129) - mehr als die Hälfte aller Studierenden an österreichischen Universitäten. Die Anzahl der Promotionen im selben Studienjahr erreichte mit 1.156 jedoch lediglich den Stand der Zwischenkriegszeit.

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