Studierende und Lehrende als politische Akteur*innen im 19. und 20. Jahrhundert

1848–2009

Die Lehrenden und Studierenden der Universität Wien traten während des 19. und 20. Jahrhunderts in vielfältiger Weise als politische AkteurInnen auf. 

Während der Revolution 1848 übten sie – organisiert in einer eigenen Akademischen Legion und pubizistisch tätig – nachhaltigen politischen Druck aus. In den Jahrzehnten darauf nahm die Organisation in studentischen Korporationen rasch zu. Unterstützung fanden die zunehmend antisemitischen und deutschnationalen Burschenschaften auch bei Professoren wie gleichgesinnten Theodor Billroth, der 1873 mit seinen Forderungen nach einem „Numerus clausus“ für jüdische Studenten Aufsehen erregte. Zahlreiche Lehrende gestalteten auch die Politik in Regierung und Reichsrat mit.

Nach dem Ende der Monarchie und der Gründung der Republik Österreich entstanden entsprechend der politischen Parteien katholische, sozialistische, liberale sowie deutschnationale Studentenorganisationen, wobei sich deutschnationale und katholische Korporationen (Burschenschaften und CV) zur „Deutschen Studentenschaft“ zusammenschlossen, die – trotz Ausschluss eines großen Teils von Studierenden – 1923 als Vertretung aller Studierenden anerkannt wurde. In der Zwischenkriegszeit wurden katholisch- und deutschnationale Eliten tonangebend. Sie sorgten durch eigene Professorennetzwerke (u.a. „Bärenhöhle“) sowie gewalttätige Ausschreitungen ihnen nahestehender Studierender gegen jüdische, linke und liberale KollegInnen für die öffentliche Durchsetzung ihrer antisemitischen Interessen.

Austrofaschismus und Nationalsozialismus fanden in diesem Milieu willige HelferInnen (teilweise kooperierend, teilweise miteinander konkurrierend) und ambivalente ZuschauerInnen. Organisationen ihrer GegnerInnen wurden verboten, AkteurInnen im Widerstand bzw. VerteidigerInnen von Demokratie und Republik fanden sich in dieser Zeit kaum an der Universität. Beide Diktaturen entfernten die jeweiligen politischen GegnerInnen von der Universität. Die verbliebenen Lehrenden wurden auf die neuen politischen Regime eingeschworen und die Studierenden einer weltanschaulichen Schulung unterzogen. Dieses vergiftete Klima bildete den Hintergrund der Ermordung des Philosophieprofessors und Begründer des "Wiener Kreises" Moritz Schlick 1936 in der Universität durch einen ehemaligen Studenten. Nach dem „Anschluss“ 1938 wurde die Universität nicht nur von außen, sondern gleichzeitig auch von innen, von unten und oben übernommen. Zahlreiche Universitätsangehörige wirkten an der massiven Vertreibung ihrer KollegInnen mit und stellten sich bereitwillig in den Dienst der neuen Machthaber.

Die MitläuferInnen, AnhängerInnen, ProfiteurInnen und FunktionsträgerInnen des NS-Regimes wurden im Zuge der „Entnazifizierung" nur begrenzt zur Veranwortung gezogen und zunehmend rehabilitiert. Ebenso erstarkten in der Nachkriegszeit die katholischen und auch die deutschnationalen Studentenverbindungen wieder.

Die neugegründete Österreichische Hochschülerschaft wurde als demokratische Interessenvertretung aller Studierenden erstmals durch das Hochschulgesetz 1945 gesetzlich geregelt und durch die ersten ÖH-Wahlen am 19. November 1946 demokratisch legitimiert. Sie übernahm in der Zweiten Republik eine Vorfeldfunktion für die politischen Parteien – aus ihren Kreisen rekrutierten sich zahlreiche spätere SpitzenpolitikerInnen.

Ab den 1950er Jahren, verstärkt in den 1960er und 1970er Jahren wurden Studentendemonstrationen in Wien zu einem gängigen Mittel politischer Meinungsäußerung. Darin äußerte sich auch die wachsende Stärke linker, antifaschistischer Gruppierungen unter den Studierenden – etwa anlässlich der Borodajkewycz-Affäre 1965 oder anlässlich des Freispruchs von Franz Novak 1966, der als Mitarbeiter von Adolf Eichmann die Deportationstransporte in die Konzentrations- und Vernichtungslager organisiert hatte. Hatte bei dem Fall Borodajkewycz der Student Heinz Fischer eine wesentliche Rolle bei der Aufdeckung und Bekanntmachung gespielt – gegen rechte Studierende, die Borodajkewycz massiv unterstützten –, übernahm zu Beginn der 1980er Jahre die Wiener „Arbeitsgemeinschaft Kritische Medizin“ von Werner Vogt eine ähnliche Rolle bei der Aufarbeitung der NS-Psychiatrie v.a. um den angesehenen Kinderarzt Heinrich Gross.

Das Jahr 1968 verlief in Österreich deutlich ruhiger als in anderen europäischen Ländern (v.a. Paris und Berlin): Neben Solidaritätskundgebungen für Rudi Dutschke und Demonstrationen zu allgemeinen politischen Themen (u.a. das Schah-Regime in Persien) forderte die Studierendenbewegung in Wien vor allem mehr Mitbestimmung und Demokratisierung an den Universitäten. Die aufsehenerregendste Aktion „Kunst und Revolution“ (durch die Boulevardmedien als „Uni-Ferkelei“ verurteilt) wurde am 7. Juni 1968 im Neuen Institutsgebäude von Günter Brus, Otto Mühl, Peter Weibel, Oswald Wiener, Valie Export und anderen Aktionisten veranstaltet – Studierende waren daran nicht beteiligt.

Die Bildungsexpansion entfaltete sich vor allem in den 1970er Jahren unter der sozialdemokratischen Regierung Bruno Kreiskys. Der Schaffung eines eigenen Wissenschaftsministeriums unter Ministerin Hertha Firnberg (1970-1983) folgte die Öffnung der Hochschulen mit der Abschaffung der Studiengebühren 1972. Das 1975 erlassene Universitätsorganisationsgesetz (UOG) 1975 erweiterte den Kreis der universitären AkteurInnen, die Aufgabe und gesellschaftliche Funktion der Universität grundlegend und verordnete dem Hochschulsystem und damit auch der Universität Wien demokratischere Strukturen. Es schrieb die Mitbestimmung der Studierenden bei universitären Entscheidungen fest, im neuen ÖH-Gesetz (1973) wurde auch die Bundes-ÖH durch vollständige direkte Wahl demokratisiert.
Mit der Stärkung linker Studierendengruppen und Frauen als AkteurInnen rückten zunehmend auch gesamtgesellschaftliche Probleme in den Fokus, die sich neben Demonstrationen für Abrüstung und Frieden vor allem in der Teilnahme vieler Studierender an den Demonstration gegen den Bau von Atomkraftwerken (1977) und in der Besetzung der Hainburger Au (1984) – um den dort geplanten Bau eines Wasserkraftwerks zu verhindern – äußerten.

In Form von Demonstrationen, Streiks und Raumbesetzungen protestierten Studierende – teilweise auch unterstützt von Lehrenden – ab den 1980er Jahren mehrfach öffentlich in Fragen der Hochschulpolitik (Studiengebühren, Ausrichtung von Studien nach ökonomischen „Verwendungsprofilen“ u.a.). Das Audimax der Universität Wien entfaltete im späten 20. Jahrhundert als Ort studentischer Proteste – Besetzungen 1987, 1992, 1996, 2000 und zuletzt monatelang 2009 – eine widerständige Symbolkraft und wurde 2009 sogar namensgebend für die Protestkultur des „Audimaxismus“.

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Katharina Kniefacz

Zuletzt aktualisiert am 04.03.2024 - 20:47