Alfred Müller-Armack, Univ.-Prof. Dr. rer. pol.

28.6.1901 – 16.3.1978
geb. in Essen, Deutschland gest. in Köln, Deutschland

Nationalökonom, Kultursoziologe, CDU-Politiker, Mitbegründer der Sozialen Marktwirtschaft

Ehrungen

Ehrung Titel Datierung Fakultät
Ehrendoktorat Dr. jur. h.c. 1964/65 Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät

Die Ehrung wird 2022/23 aufgrund von Alfred Müller-Armacks Involvierung in den Nationalsozialismus als „diskussionswürdig“ eingestuft. Wissenschaftlich engagierte sich Müller-Armack 1933 für das nationalsozialistische Regime, von dem er erwartete, es könne als „starker Staat“ eine aus seiner Sicht bessere und stabilere Wirtschaftspolitik durchsetzen. Er trat der NSDAP bei, wobei er als Parteimitglied zwar passiv blieb, aber in einem emphatischen Pamphlet seine Hoffnungen auf die nun möglich werdende Wirtschaftsordnung formulierte.

Akademischer Werdegang

Der 1901 als Sohn eines Betriebsleiters der Firma Krupp geborene Alfred Müller (ab den 1920er-Jahren nannte er sich nach seiner Mutter Müller-Armack) studierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Gießen, Freiburg, München sowie Köln und promovierte 1923 zum Dr. rer. pol. (Dissertation: „Das Krisenproblem in der theoretischen Sozialökonomik. Versuch einer Neubegründung der absoluten Überproduktionslehre“). Er habilitierte sich 1926 an der Universität Köln für Wirtschaftliche Staatswissenschaften mit der Arbeit „Ökonomische Theorie der Kulturpolitik“. Er arbeitete als Privatdozent, ab 1934 als außerordentlicher Professor an der Universität Köln, ab 1938 in Münster und ab 1940 dort als ordentlicher Professor für Nationalökonomie und Kultursoziologie. Gleichzeitig war er Direktor des von ihm gegründeten Forschungsinstituts für allgemeine und textile Marktwirtschaft. 1950 Professor für Wirtschaftliche Staatswissenschaften und Leiter des Institutes für Wirtschaftspolitik an der Universität Köln.

1952 berief ihn BRD-Wirtschaftsminister Ludwig Erhard zum Leiter der Abteilung Wirtschaftspolitik sowie der Grundsatzabteilung im Bundesministerium für Wirtschaft, 1958–1963 war er Staatssekretär für europäische Angelegenheiten im Bundesministerium für Wirtschaft und Mitglied des Verwaltungsrates der Europäischen Investitionsbank.

1960 fungierte Müller-Armack als Vorsitzender des Konjunkturausschusses der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG).

Nach dem Kanzlerwechsel von Konrad Adenauer zu Ludwig Erhard 1963 schied er aus der Bundespolitik aus und kehrte als Professor an die Universität Köln zurück (bis zur Emeritierung 1970). Er blieb aber politisch aktiv als CDU-Stadtverordneter in Köln 1964, leitete 1964–1968 zusammen mit Franz Thedieck die Konrad-Adenauer-Stiftung und war 1966–1968 Aufsichtsratsvorsitzender der Rheinischen Stahlwerke in Essen. 1977 wurde er auch Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung, was er bis zu seinem baldigen Tod 1978 blieb.

Wissenschaftliche Leistung

Müller-Armack entwarf die Idee und den Begriff der „Sozialen Marktwirtschaft“ als einer in soziale Bindungen eingebetteten liberalen Marktwirtschaft. Seit Ende der 1940er-Jahre beschäftigte er sich vorwiegend mit Fragen der Wirtschaftsordnung und der Wirtschaftspolitik. Seine Schrift „Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft“ (1946) gilt als klassisches Werk, das grundlegend für das Verständnis aller politischen Stellungnahmen von Müller-Armack ist. In ihm analysiert er die Irrtümer von Wirtschaftsplanung und wirtschaftlichem Liberalismus und beschreibt die Grundsätze einer neuen, „Marktwirtschaft und Wirtschaftslenkung positiv verbindenden Wirtschaftspolitik“.

Die soziale Zentrierung marktwirtschaftlicher Politik bleibt der zentrale Punkt in allen politischen Stellungnahmen von Müller-Armack seit den 1950er-Jahren und gleichzeitig die Position, in der er sich von Ludwig Erhard und allen anderen Verfechtern der Sozialen Marktwirtschaft unterscheidet.

Von 1952 an hat Alfred Müller-Armack an der Verwirklichung der europäischen Integration maßgeblich mitgewirkt. Er war Mitglied der deutschen Delegation bei den Verhandlungen des EWG-Vertrags. Unter seinem Vorsitz fasste der Ministerrat 1962 grundlegende Beschlüsse über die Agrarpolitik und den Übergang zur zweiten Phase des gemeinsamen Marktes.

Nationalsozialismus

In der wissenschaftlichen Literatur wird Müller-Armacks aktive Rolle während der nationalsozialistischen Diktatur und seine positive Haltung zum NS-Staat unterschiedlich stark betont bzw. ausgeblendet und teils als anfängliche Begeisterung, teils als „Rückzug ins innere Exil“ beschrieben. Er war seit 1933 Mitglied der NSDAP sowie zahlreicher NS-Organisationen und verhielt sich linientreu, auch wenn ihm später von höherer Stelle mangelndes nationalsozialistisches Engagement attestiert wurde. In seinem Buch „Staatsidee und Wirtschaftsordnung im neuen Reich“ (1933) bekannte er sich rückhaltlos zur NS-Ideologie und schrieb etwa zum Thema „Staat und Volk“:

„Alles geschichtliche Leben, wie sehr es auch Wachstum und Weg in die Zukunft ist, bleibt wurzelhaft gebunden. […] Im Volk entdeckt man die Grundkraft der historischen Entwicklung. […] Volkstum läßt sich nicht vom Staat her begründen oder in seinem Inhalt bestimmen. Vielmehr ist, wie Adolf Hitler in seinem Buch 'Mein Kampf' klar ausgesprochen hat, das Volk gegenüber seiner staatlichen Organisation das Entscheidende. Erst ein aus dem Volkstum aufgebauter Staat gewinnt durch dieses die Kraft zu dauerhafter geschichtlicher Bildung.“

Im Abschnitt „Die Staatsidee und das Problem der politischen Führung“ hielt er fest:

„So sehr sich dieses Führerprinzip von den Wegen der formalen parlamentarischen Demokratie entfernt, so wenig kann es in einem tieferen Sinne undemokratisch sein […] Dass autoritäre Regierungsführung in ihrem Endsinne das Volk als Einheit formen will und von seinem künftigen Gesamtwillen die endgültige Bestätigung ihres Rechtes erhofft, berechtigt, um ein Wort Mussolinis anzuwenden, das neue Reich direkt als 'akzentuierte Demokratie' zu bezeichnen.“

Seine 1941 veröffentlichte Publikation „Genealogie der Wirtschaftsstile. Die geistesgeschichtlichen Ursprünge der Staats- und Wirtschaftsformen bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts“, eine religionssoziologische und religionshistorische Studie, ging dann in eine weniger völkische Richtung. Bis zum Ende des Nationalsozialismus erschienen keine größeren Arbeiten mehr von ihm.

Er war in der evangelischen Kirche stark engagiert, aber von seiner ersten Frau, die nicht den NS-Kriterien entsprach, ließ er sich nach sechs Monaten wieder scheiden, um nicht selbst zum Verfolgten der Rassenideologie des NS-Staates zu werden.

Nach Angaben des Journalisten Till Grefe ließ er gegen Kriegsende wegen der alliierten Bombenangriffe auf Münster das Herz-Jesu-Kloster im nahen Vreden-Ellewick für sich und das von ihm geleitete Universitätsinstitut für „kriegswichtige Aufträge“ beschlagnahmen, da er für das Rüstungskommando der Wehrmacht Möglichkeiten erkunden sollte, in den besetzten Gebieten Textilien herzustellen.

Ehrungen

Am 11. Mai 1965 wurde Alfred Müller-Armack im Rahmen des 600. Universitätsjubiläums das Ehrendoktorat der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien verliehen. Als Dekan der verleihenden Fakultät stellte Fritz Schwind den neuen Ehrendoktor vor:

„Er ist Ordinarius für Wirtschaftspolitik an der Universität Köln und Schöpfer der sozialen Marktwirtschaft. Er hat neben exakten und tiefschürfenden theoretischen Forschungen die Grundlagen für das System der sozialen Marktwirtschaft geschaffen und eine Fülle wissenschaftlicher Publikationen auf diesem Gebiet hervorgebracht, darüber hinaus auch die Probleme der Kultur- und Religionssoziologie intensiv bearbeitet. Als Staatssekretär hat er die Vereinigung des europäischen Marktes mit beeinflußt und damit weitgehend die wirtschaftlichen Grundlagen des heutigen Europas mitgeformt.“
(Die Sechshundertjahrfeier der Universität Wien. Offizieller Festbericht, Wien 1965, S. 47)

Zuvor war Müller-Armack schon 1962 mit dem Großen Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband ausgezeichnet worden. 1972 erhielt er den Ernst-Hellmut-Vits-Preis der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) in Münster, 1976 die Alexander-Rüstow-Plakette und die Ludwig-Erhard-Medaille.

Die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Münster vergibt seit 2002 den nach ihm benannten Müller-Armack-Preis an die besten Absolvent*innen des Studienganges Volkswirtschaftslehre, an der Universität Köln ist der größte Hörsaal im WiSo-Gebäude nach ihm Müller-Armack-Hörsaal benannt. In Köln sind ein Berufskolleg sowie eine Straße nach ihm benannt.

Werke (Auswahl)

  • Entwicklungsgesetze des Kapitalismus. Ökonomische, geschichtstheoretische und soziologische Studien zur modernen Wirtschaftsverfassung, Berlin 1932
  • Staatsidee und Wirtschaftsordnung im Neuen Reich, Berlin 1933
  • Genealogie der Wirtschaftsstile. Die geistesgeschichtlichen Ursprünge der Staats- und Wirtschaftsformen bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1941
  • Zur Diagnose unserer wirtschaftlichen Lage, Bielefeld 1947
  • Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft, Hamburg 1947
  • Das Jahrhundert ohne Gott. Zur Kultursoziologie unserer Zeit, Münster 1948
  • Dia­gno­se un­se­rer Ge­gen­wart, Gü­ters­loh 1949
  • Religion und Wirtschaft. Geistesgeschichtliche Hintergründe unserer europäischen Lebensform, Stuttgart 1959
  • Studien zur sozialen Marktwirtschaft. Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität Köln, 1960
  • Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik. Studien und Konzepte zur sozialen Marktwirtschaft und zur europäischen Integration, Freiburg 1966
  • Auf dem Weg nach Europa. Erinnerungen und Ausblicke, Tübingen 1971

 

Herbert Posch

Zuletzt aktualisiert am 23.01.2024 - 00:30

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