Friedrich Reuter, o. Univ.-Prof. Dr. med.

30.5.1875 – 18.10.1959
geb. in Wien, Österreich gest. in Wien, Österreich

Funktionen

Senator Medizinische Fakultät 1945/46–1946/47

Reuter besuchte das Franz-Josefs-Gymnasium in Wien und studierte anschließend Medizin in Zürich (zwei Semester) und Wien, währenddessen er auch als Schriftführer und Demonstrator am Institut für gerichtliche Medizin in Wien tätig war. Am 18. März 1899 promovierte er. Von Oktober 1899 bis zum März 1901 war er Assistent am Pathologischen Institut in Graz, anschließend bis Oktober 1909 aktiver Militärarzt, wobei er dem Garnisonsspital 1 zugeteilt war. 1905 habilitierte er sich für gerichtliche Medizin und begann im November 1909 als Assistent am Institut für gerichtliche Medizin und Landesgerichtsarzt aller Wiener Gerichte. Drei Jahre später, 1912, wurde Reuter zum Extraordinarius ernannt und erhielt einen Lehrauftrag für Unfall-Sachverständigen-Tätigkeit, 1916 auch für Gerichtsmedizin für Juristen. Zugleich erfolgte seine Ernennung zum Prosektor der Gemeinde Wien wie auch zum ständigen beeideten Gerichtsarzt. Während des Ersten Weltkrieges war er bei Militärgerichten sowie im Wiener Militär-Sanitätsamt tätig.

1915 folgte die Ernennung zum Stabsarzt der Reserve und im November 1919 jene zum Ordinarius für gerichtliche Medizin in Graz – mit einem Lehrauftrag sowohl für Mediziner/innen als auch für Juristen/‑innen. Reuter sollte sein Ordinariat in Graz, wo er zugleich Vorstand des gerichtlich-medizinischen Instituts und Museums war, von November 1919 bis September 1935 ausüben. Vier Mal, in den Studienjahren 1922/23, 1927/28 und von 1933 bis 1935 hatte er das Amt des Dekans inne. 1935 kehrte er als Ordinarius nach Wien zurück und war damit Nachfolger von Albin Haberda.

Reuter wurde unmittelbar nach dem "Anschluss", am 16. März, verhaftet, in das "Braune Haus" in der Hirschengasse gebracht und anschließend in das Polizeigefangenenhaus Roßauerbrücke überstellt, wo er bis 26. März in Schutzhaft verbringen musste. Am 23. März war Reuters Wohnung von Beamten der Gestapo durchsucht worden. Grund für seine Verhaftung war eine "seinerzeitige[r] Schmähung des Führers" gewesen. Um welche Bemerkung(en) es sich genau handelte, bleiben die Akten schuldig. In der Folge konnte Reuter jedenfalls – im Übrigen als Einziger des Instituts für gerichtliche Medizin – den Diensteid nicht ableisten, und suchte über Aufforderung des Dekanats selbst um Versetzung in den Ruhestand an. Diese wurde durch das Unterrichtsministerium schließlich per Ende Mai 1938 bestätigt. Die strenge Maßregelung Reuters – er wurde von Marchet als "absoluter Gegner des Nationalsozialismus" bezeichnet – ist neben (denunzierten) Bemerkungen gegen Hitler und anderen antinationalsozialistischen Aussagen auf seine Affinität zum Austrofaschismus zurückzuführen. So soll er sich bei einem Gespräch über die Todesstrafe wie folgt geäußert haben: "Von den braunen Bestien können nicht genug aufgehängt werden." In einer Vorlesung habe er zudem nach einem Frauenmord – der Täter war u. a. Mitglied der HJ gewesen – verlautbart, "der Jugendliche habe in der HJ die entsprechende Vorbildung zum Mord erhalten". Ob der Berufung "durch Prof. Arzt (im Original gesperrt, Anm.)" 1934 sah ihn Marchet zudem "als ausgesprochene[n] Systemgünstling". Eine Bestätigung für Reuters Nahverhältnis zum Ständestaat sah man auch darin, dass er in Graz als Dienststellenleiter der Vaterländischen Front fungiert hatte. Da Reuter als Dekan, so das Urteil der Ortsgruppenleitung, "Relegierungen, Urteilsfällungen vom Unterrichtsministerium der Disziplinarkommission bekannt zu geben" hatte, habe er sich "viele Feinde" zugezogen. Trotz dieser recht eindeutigen Fakten zeigen Reuters Mitgliedschaften in politischen Organisationen ein wesentlich differenzierteres Bild: So gehörte er sehr wohl klerikalen bzw. austrofaschistischen Organisationen wie der Christlichsozialen Partei (1927–1933) und den Ostmärkischen Sturmscharen (als Offizier bzw. Landes-Sanitätschef für Steiermark und Generalinspektor des Sanitätswesens) an, andererseits hatte er auch Mitgliedschaften in deutschnationalen bzw. völkischen Bewegungen wie der Großdeutschen Volkspartei (1919–1925) und dem Alldeutschen Verband (1920 bis zur Auflösung in Österreich) vorzuweisen. In einem Gutachten der Kreisleitung Graz-Stadt hieß es denn auch, Reuter sei "ursprünglich im nationalen Lager" beheimatet gewesen, habe "dann aber den Weg zum System gefunden und sich [...] als schärfster Vertreter der Dollfuss-Schuschnigg-Regierung gezeigt". "Durch Denunzierungen" habe "er vielen Parteigenossen Schaden zugefügt", u. a. sei er auch gegen seine eigene Tochter – Parteimitglied seit Mai 1936 – vorgegangen.

Diese ehemaligen Mitgliedschaften zeigten demnach keine positiven Folgen für Reuters Beurteilung und er wurde im September 1938 gemäß § 4 der Berufsbeamtenverordnung entlassen. Aufgrund der Beendigung des Ruhestandsverhältnisses verlor Reuter auch seinen Anspruch auf Pension, die man ihm zugleich entzog. Im November 1938 gewährte man ihm bzw. seiner Familie aber einen vorläufigen Versorgungsgenuss – für die Zeit vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember 1938.

Über seine berufliche Tätigkeit während der NS-Zeit herrscht keine letztendliche Klarheit. Im Personalstandesblatt vom 6. August 1945 ist lediglich seine Tätigkeit als "prakt. Arzt vom 11. 4. 44–13. 3. 45" als "Betriebs- und Revierarzt bei Wagner [sic!]/Biro" angeführt. Allerdings findet man in manchen biografischen Lexika den Hinweis, Reuter sei im Nationalsozialismus weiter als praktischer Arzt tätig gewesen (so etwa: Kürschners deutscher Gelehrtenkalender, 1950). Im Reichsärzteregister findet sich der nicht ganz eindeutige Hinweis vom 12. April 1944, dass er "niedergelassen[er] Allg. Prakt. u. hauptamtl. Betriebs- u. Rev. A." sei – im 13. Wiener Gemeindebezirk sowie in "Stadlau u. Vosendorf [sic!]". Eine Tätigkeit als praktischer Arzt nach seiner Inhaftierung findet sich auch in Galls Nachruf zu Reuter.

Seine Bemühungen ab 1942, einen Ruhegenuss zu erlangen, zeigten – auch mit Unterstützung der Fakultät – aber keinen Erfolg, auch, weil teilweise Aufhebungen von Maßnahmen gemäß § 4 der Berufsbeamtenverordnung nur bis 31. März 1940 möglich gewesen waren. Der Unterhaltsbeitrag wurde indes bis Ende 1944 weiter bewilligt.

Die Wiedereinsetzung Reuters nach Kriegsende erfolgte ob dessen Schädigung durch den Nationalsozialismus außerordentlich schnell. Am 9. Mai 1945 betraute ihn das Dekanat wieder mit der Leitung des Universitätsinstituts für gerichtliche Medizin und 1945/46 sowie 1946/47 war er Senator der Medizinischen Fakultät. Seine Wiedereinsetzung in den Dienststand erfolgte offiziell per 6. September 1945. Da Reuter kurz nach Kriegsende das 70. Lebensjahr vollendete, trat er mit 30. September 1946 in den Ruhestand, konnte auf Antrag der Fakultät sein Lehramt aber zumindest im Studienjahr 1945/46 noch ausüben. Nach der Ernennung zum Honorarprofessor hielt er im folgenden Studienjahr die Vorlesung aus Gerichtlicher Medizin für Juristen. Seiner Initiative ist es schließlich zu verdanken, dass das Wiener Institut um eine chemische Abteilung zum Zwecke toxikologischer Untersuchungen erweitert wurde.

Neben seiner Tätigkeit an der Universität Wien war Reuter von Juni 1945 bis Februar 1946 Stadtrat und Leiter des gesamten Gesundheitswesens der Gemeinde Wien und von April 1946 bis 1949 Leiter des Volksgesundheitsamtes im Bundesministerium für soziale Verwaltung. 1948 unternahm er zum Studium des Sanitätswesens eine Reise nach England und in die USA. Im Studienjahr 1950/51 hielt er an der Universität Wien Gastvorträge über gerichtliche Medizin für Juristen.

Reuter war u. a. auch Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für gerichtliche und soziale Medizin, ordentliches Mitglied der Kaiserlich-Leopoldinischen Akademie deutscher Naturforscher in Halle und Präsident der Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundheit, und später sozialhygienischer Referent des Bundesministeriums für Soziale Verwaltung. Er war Inhaber des Großen Silbernen Ehrenzeichens der Republik Österreich.

Reuter arbeitete v. a. auf den Gebieten der Gynäkologie und der Gerichtlichen Medizin, insbesondere über Erstickung, Verbrennung, Vergiftungen und traumatische Erkrankungen des Gehirns wie auch der Wirbelsäule und des Rückenmarks. Eines seiner wichtigsten Werke ist "Das Lehrbuch der gerichtlichen Medizin" (1933).

Archiv der Universität Wien, Medizinische Fakultät, Personalakt 602.
Bundesarchiv Berlin, DS, Mikrofilm B 38.
Österreichisches Staatsarchiv/Archiv der Republik, Bestand Unterricht, Personalakt Friedrich Reuter.
Österreichisches Staatsarchiv/Archiv der Republik, Gauakt Friedrich Reuter.
Österreichisches Staatsarchiv/Archiv der Republik, Bundeskanzleramt, Bestand „Berufsbeamtenverordnung“ (BBV).

Andreas Huber

Zuletzt aktualisiert am 15.04.2022 - 15:57

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