„Es wurde eine gefälschte Urkunde vorgelegt“
Da ein akademischer Grad Tür und Tor zu beruflichem und gesellschaftlichem Renommee öffnet, ist mitunter die Versuchung groß, sich diesen auf unrechtmäßige Weise zu sichern, wie diverse Plagiatsaffären der letzten Jahre zeigen. Daneben boomt auch der (illegale) Titelkauf, wie die Betreiber der als Spaßprojekt ins Leben gerufenen Website www.titel-kaufen.de berichten können: Trotz der offensichtlichen Unseriosität des Angebots verzeichnen sie zahlreiche Nachfragen.
Plagiate und unberechtigte Führung akademischer Grade sind jedoch keine Erscheinung der Gegenwart, sondern finden sich wohl seit der Entstehung der Universitäten. In Wien wurde bereits Ende des 15. Jahrhunderts ein derartiger Fall aktenkundig.
Im Sommersemester 1498 wurde ein gewisser Alexander Kymte aus Schottland in die Hauptmatrikel der Universität Wien eingetragen. Die von ihm bezahlte Matrikeltaxe von einem halben Pfund Pfennigen weist ihn als Doktor einer fremden Universität aus. Im selben Jahr wurde er wieder aus der Matrikel gestrichen. Der damalige Rektor Wenzel Mandel vermerkte dazu, dass Kymte am 7. Oktober exkludiert wurde und dass die Gründe dafür in den Akten vermerkt wurden. Welches Vergehen hatte zu seinem Ausschluss geführt?
Ein gefälschtes Doktordiplom
Möglicherweise hängt die Exklusion Kymtes mit einer im Universitätsarchiv erhaltenen Urkunde der päpstlichen Universität in Rom zusammen. In dem angeblich am 17. September 1486 ausgestellten Dokument wurde bestätigt, dass ein gewisser Alexander, der aus einer edlen schottischen Familie stammte, vom Mediziner Coronatus de Planca der Universität präsentiert und hier zum Doktor der Medizin promoviert wurde. Auf der Rückseite findet sich der zeitgenössische Vermerk, dass der genannte Alexander eine gefälschte Urkunde vorgelegt habe.
Nicht nur dieser Vermerk, sondern auch die im Text genannten Personen, die an der Zeremonie teilgenommen haben sollen, machen stutzig: Zwar gab es in den 80er Jahren des 15. Jahrhunderts einen Professor Coronatus de Planca an der Universität Rom, allerdings lehrte er nicht an der Medizinischen Fakultät, sondern war Professor für Römisches Recht. Die Namen der übrigen Lehrer finden sich nicht unter den damaligen Professoren der Universität.
Somit scheint es nicht unwahrscheinlich, dass es sich bei diesem Diplom tatsächlich um eine Fälschung handelt. War der angebliche Doktor der Universität Rom mit dem 1498 exmatrikulierten Alexander Kymte identisch?
Eine Untersuchung der Medizinischen Fakultät und eine Exmatrikulation
Auch wenn die Frage nicht mit hundertprozentiger Sicherheit bejaht werden kann, gibt es doch deutliche Belege dafür. Zwar sind die Rektoratsakten, auf die in der Matrikel verwiesen wurde, für diese Zeit nicht erhalten; dafür findet sich in den Geschäftsbüchern der Medizinischen Fakultät ein ausführlicher und sehr plastischer Bericht über diesen Fall.
Demnach wurde Rektor Mandel im September 1498 vom Wiener Stadtrat ersucht, die Qualifikation eines kürzlich nach Wien gekommenen Doktor Alexander aus Schottland zu überprüfen (in den Akten wird kein Familienname genannt). Dieser sei verdächtig, da von den Patienten, die er in großer Zahl anzulocken verstehe, mehr starben als gesund wurden.
Dieses Ansuchen wurde an die Medizinische Fakultät weitergeleitet, die in der Fakultätsversammlung vom 12. September die Vorladung des angeblichen Arztes beschloss. Bei seiner Vorsprache am folgenden Tag verblüffte dieser die versammelten Doktoren mit dem Ansuchen um Einschreibung in die Fakultätsmatrikel, obwohl eine Prüfung der von ihm ausgestellten Rezepte in erster Linie sein Unwissen und seine Inkompetenz verraten hatte. Er sei nicht einmal imstande, die Zutaten für die Medikamente korrekt zu schreiben, sondern verwende beispielsweise „camemila“ und „colockquinta“ anstelle der richtigen Bezeichnungen „camomilla“ (Kamille) und „coloquinda“ (Die Koloquinte ist ein giftiges Kürbisgewächs, deren getrocknetes Fruchtfleisch beispielsweise bei der Behandlung von Geschwüren, Asthma und Bronchitis oder rheumatischen Beschwerden verwendet wurde).
Auf die Aufforderung des Rektors, einen Nachweis für seine Graduierung vorzulegen, erklärte Alexander, dass sich das geforderte Dokument nicht in Wien, sondern in Pécs/Fünfkirchen befände und ersuchte um ein Frist von zehn Tagen, um es nach Wien bringen zu lassen. Nachdem er zunächst mit etlichen Ausflüchten versucht hatte, die Urkunde nicht vorlegen zu müssen, erschien er am 22. September vor der Fakultätsversammlung und übergab dem Dekan Johannes Tichtl die Urkunde. Dieser bemerkte hämisch, dass Alexander dabei über und über rot wurde. Die Prüfung des Dokuments ergab rasch, dass es sich dabei um eine Fälschung handeln musste, was von der Versammlung mit lautem Gelächter und von Tichtl mit der Aussage „Was soll ich viele Worte machen? Wie der Mann ist, so ist auch seine Urkunde“ kommentiert wurde. Die Doktoren begnügten sich jedoch nicht mit der Feststellung der Fälschung, sondern machten sich zusätzlich den Spaß, den ertappten Übeltäter über den „Canon“ des Avicenna zu prüfen und auf diese Weise seine fehlenden Qualifikationen offen zu legen.
Die Fakultät informierte den Rektor und das Konsistorium über die erwiesene Fälschung, worauf diese die Festnahme des Urkundenfälschers und Quacksalbers verfügten, was in der Stadt zu großem Aufsehen führte. Obwohl die meisten seiner ehemaligen Patienten sich von ihm distanzierten, gab es vereinzelt Fürsprecher wie den Adeligen Heinrich Prüschenk: Dieser ersuchte um die Freilassung Alexanders, da dieser seinen an Syphilis erkrankten Diener erfolgreich behandelt hatte. Auch hier konnte sich der Dekan einen weiteren Seitenhieb nicht verkneifen, indem er dem Beschuldigten eine „nicht üble“ Vorgangsweise attestierte, da er das Rezept eines unbekannten Doktors als das seine ausgegeben habe …
Am 25. September wurde der Fall vor dem Konsistorium verhandelt, wobei der Angeklagte gestand, an keiner Universität irgendeinen Grad erworben zu haben. Nachdem der Schuldspruch von der Universitätsversammlung bestätigt worden war, wurde Alexander vom Rektor aus der Universität ausgeschlossen und das Urteil an den Toren des Stephansdoms angeschlagen. Immerhin dürfte ihm das Schicksal anderer unbefugter Heiler erspart geblieben sein, die entweder öffentlich Buße tun mussten oder gar exkommuniziert wurden – die Akten berichten nichts über eine derartige Strafe.
Titelsucht und medizinischer Standesdünkel
Der Fall des angeblichen Dr. Alexander zeigt die hohe Wertschätzung, die die akademische Medizinerausbildung bereits genoss. Schließlich nahm Alexander das Risiko einer Straftat auf sich, um sich gegenüber anderen Heilern einen Vorteil zu verschaffen. Ob er tatsächlich eine medizinische Ausbildung hatte und wenn ja, welche, geht aus den Universitätsquellen nicht hervor. Immerhin dürfte er über eine gewisse Kenntnis der Arzneistoffe verfügt haben, auch wenn er diese buchstäblich nur vom „Hörensagen“ kannte, wie die von der Fakultät bemängelten Schreibfehler zeigen. Möglicherweise war er bei einem Bader oder auch bei einem Apotheker in die Lehre gegangen, bevor er beschloss, sich als Arzt auszugeben. Wie und weshalb es ihm aus seiner Heimat Schottland nach Wien verschlagen hatte, muss ebenfalls offen bleiben.
Von Seiten der Medizinischen Fakultät wird deren Anspruch auf die Kontrolle über sämtliche medizinische Berufe in der Stadt deutlich. Das Aufsichtsrecht war ihr 1469 von Kaiser Friedrich III. zuerkannt worden, die tatsächliche Umsetzung war jedoch mit Schwierigkeiten verbunden, da der Fakultät vielfach die Sanktionsmöglichkeiten fehlten. Schon deshalb waren die Doktoren in diesem Fall zur Mithilfe bereit, da sie sich der Unterstützung der Stadt sicher sein konnten.
Außerdem zeigt sich im Tonfall des Berichts, der teilweise nur mehr als gehässig bezeichnet werden kann, ein bereits deutlich ausgeprägter medizinischer Standesdünkel. Die Doktoren der Fakultät schätzten ihr Buchwissen deutlich höher ein als eventuelle praktische Kenntnisse und waren sich auch nicht zu gut, Konkurrenten lächerlich zu machen, wie es im Fall der Prüfung Alexanders geschehen ist.