Richard Schüller, Dr. Dr. h.c.
Wirtschaftswissenschafter, Sektionschef, Handelspolitiker
Ehrungen
Ehrung | Titel | Datierung | Fakultät | |
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Ehrendoktorat | Dr. rer. pol. h.c. | 1969/70 | Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät |
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- Nationalökonomie
Richard SCHÜLLER, geb. am 28. Mai 1870 in Brünn, Mähren/Österreich-Ungarn, gest. am 13. Mai 1972 in Washington/USA, war 1938 Honorarprofessor für Nationalökonomie an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.
Er wurde im Nationalsozialismus aus rassistischen Gründen verfolgt und am 8. April 1938 seines Amtes enthoben ("bis auf weiteres beurlaubt") und von der Universität Wien vertrieben.
Er konnte nach Italien, später nach London/Großbritannien und 1940 in die USA emigrieren.
Richard Schüller, Sohn von Sigmund Schüller (Textilfabrikant) und Erna, geb. Kohn, studierte ab 1887 an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien Rechtswissenschaften und promovierte 1892 zum "Dr.jur.". 1896 wurde er Vizesekretär des niederösterreichischen Gewerbevereins, 1898 Ministerialkonzipient im Handelsministerium und veröffentlichte 1899 "Die Wirtschaftspolitik der historischen Schule", mit der er sich im August 1901 an der Juridischen Fakultät der Universität Wien habilitierte.
1902 heiratete er im St. Pöltner Tempel Ernestine Rosenthal (1880–1968) und sie hatten drei Töchter: die spätere Wirtschaftswissenschafterin Ilse Mintz, geb. Schüller (1904-1978), die 1938 über die Schweiz in die USA emigrierte, die spätere Historikerin Susanne Schüller-Piroli, geb. Schüller (geb. 1906), die seit 1936 mit ihrem Mann in Rom/Italien lebte und die spätere Kunsthistorikerin Hilde Kurz, geb. Schüller (1910-1981), die 1937 mit ihrem Mann Otto Kurz nach Großbritannien emigrierte.
Der bereits damals an der Universität Wien starke Antisemitismus verwehrte dem bekennenden Juden eine Professorenlaufbahn, auch wenn er 1910 den Titel eines außerordentlichen Professors erhielt. Richard Schüller blieb in der Beamtenlaufbahn und wurde 1913 Ministerialrat im Handelsministerium und gehörte 1918 der Delegation für die Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk und Bukarest an und nahm auch 1919 an den Friedensverhandlungen von Saint-Germain teil. Er wurde 1919 Sektionschef der Handels- und wirtschaftspolitischen Sektion im Außenministerium und war auch in finanzpolitischen Fragen von maßgeblichem Einfluss. Handelspolitisch war er Freihandelszonen gegenüber positiv eingestellt und vertrat in seinem volkswirtschaftlichen Standardwerk "Schutzzoll und Freihandel" (1905) die Position, dass man Produzenten- und Konsumenteninteressen gegeneinander abwägen müsse: Durch Zölle sollten ausländische Billigeinfuhren behindert und die einheimischen Produktion geschützt werden, womit aber die inländischen Konsumenten durch höhere Preise belastet werden - Nutzen und Nachteil beider Effekte seien abzuwägen und je nach Grenznutzen zu entschieden.
Er war auch Mitglied des Wirtschaftskomitees des Völkerbundes (1927) und ab 1932 außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister der österreichischen Regierung beim Völkerbund in Genf und ein zentraler Akteur der österreichischen Handelspolitik. Auch wenn ihm eine volle akademische Karriere verwehrt war, lehrte er doch sein an der Universität Wien von 1902-1929 Handels- und Wirtschaftspolitik - ab 1910 als Titular-außerordentlicher Professor und ab 1927 als Honorarprofessor. Wichtige Funktionen seines Wirkens in Österreich waren seine Mitgliedschaft in der Nationalökonomischen Gesellschaft und seine Mitherausgeberschaft der "Zeitschrift für Nationalökonomie" 1930-1938.
1938 ließ sich Richard Schüller beurlauben, wurde aber im Nationalsozialismus "pensioniert" und von der Reichsstatthalterei immer mehr bedrängt, die ihn als "typischen Vertreter der kapitalistisch-freimaurerischen Tendenzen [der] maßgeblich an der Verstrickung Österreichs in die internationale Schuldknechtschaft beteiligt war" einschätzte, und er musste aus Österreich fliehen. Mit Hilfe seiner mittleren Totchter Susanne Schüller-Piroli und deren Mann konnte er illegal über die Alpen nach Italien flüchten und im November 1938 weiter zu seiner jüngeren Tochter nach London, England/Großbritannien emigrieren, wo er 1939-1940 die "Europe Study Group" am "Royal Institute for International Affairs" leitete bevor er 1940 als Visting Professor an der "New School for Social Research" in New York, NY, berufen wurde und dort bis 1952, mittlerweile 82jährig, lehrte. Daneben war er immer wieder publizistisch und beratend tätig (u.a. Vizepräsident der Amertrade 1945 und Verwaltungsrat bei der Thonet-Mundus 1948). Politisch war er sowohl in England als auch in den USA aktiv, etwa als Mitbegründer und Vorsitzender des "Austrian Committee", das den Krieg gegen NS-Deutschland unterstützte und den Kriegseintritt der USA und die Wiederherstellung der Selbständigkeit Österreichs forderte, aber auch in Otto Habsburgs "Military Committee for the Liberation of Austria", im "Free Austrian Movement" und im "Austrian Institute".
Am 28. Mai 1970 wurde ihm von der Universität Wien das Ehrendoktorat der Staatswissenschaften verliehen.
Er starb am 14. Mai 1972 in Washington/USA.
2009 wurde er in das "Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus an der universität Wien 1938" aufgenommen.
Archiv der Universität Wien/Nationale IUR, IUR Promotionsprotokoll M 32.3, 662, Senat S 71.5, Senat S 226.35, Senat S 304.1158, Personalstand 1937/38, 15; Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA)/Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA)/Unterricht Allgemein, Universität Wien, Karton 614, Personalakt Schüller Richard; STADLER II 2004 [1988], 429-432; Jürgen NAUTZ, Unterhändler des Vertrauens. Aus den nachgelassenen Schriften von Sektionschef Dr. Richard Schüller, Wien 1990; MÜHLBERGER 1993, 16; BLUMESBERGER 2002, 1232f., 766, 932f.; OLECHOWSKI/EHS/STAUDIGL-CIECHOWIC 2014, 356-358.
Zuletzt aktualisiert am 30.05.2021 - 07:39