Wilhelm Winkler, tit. o. Univ.-Prof. Dr. jur.

29.6.1884 – 3.9.1984
geb. in Prag, Tschechische Republik gest. in Wien, Österreich

Ehrungen

Ehrung Titel Datierung Fakultät
Ehrendoktorat Dr. rer. pol. h.c. 1965/66 Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät

Funktionen

Dekan*in Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 1950/51

Winkler, Sohn eines Musiklehrers, besuchte in Prag das Gymnasium und studierte anschließend an der Deutschen Universität, wo er 1907 zum Dr. jur. promovierte. Anschließend stand er von April 1907 bis August 1909 im richterlichen Vorbereitungsdienst in Prag, wobei er in diesem Zeitraum auch den einjährigen Militärdienst ableistete. Danach war er Konzeptsbeamter des statistischen Landesbüros von Böhmen. Winkler rückte am 26. Juli 1914 in den Ersten Weltkrieg ein und war an der serbischen und italienischen Front stationiert, wobei er zum Oberleutnant befördert und am 2. November 1915 schwer verwundet wurde. Bis Juni 1916 im Spital wurde er anschließend Leiter der Heeresstatistischen Abteilung im wissenschaftlichen Komitee für Kriegswirtschaft des österreichisch-ungarischen Kriegsministeriums, um nach Kriesgsende, ab 1919, als statistischer Fachberater bei den Friedensverhandlungen in St. Germain zu fungieren. Bereits im Dezember 1918 war er zum Leiter des statistischen Dienstes im deutsch-österreichischen Staatsamt für Heerwesen avanciert. Im Juli 1920 begann er – vorerst als Konzeptsbeamter – eine langjährige Tätigkeit im Bundesamt für Statistik, wo er ab 1923 als Regierungsrat Leiter der Volkszählungsabteilung war.

1921 konnte er sich an der Universität Wien für Statistik habilitieren und im Jahr darauf die Leitung (als Vorstand) des neu gegründeten Instituts für Statistik der Minderheitsvölker zu übernehmen. Der nächste Aufstieg in der universitären Hierarchie erfolgte 1927 mit der Verleihung des Titels eines ao. Prof. Zwei Jahre später wurde er wirklicher Extraordinarius, 1932 tit. o. Prof. Trotz seiner nunmehrigen Anstellung an der Universität Wien war er weiterhin Leiter der bevölkerungsstatistischen Abteilung, zuletzt als Hofrat.

Im autoritären Ständestaat engagierte er sich nach Rathkolb für die Regierung, wobei sich allerdings keine näheren Informationen dazu finden. Exner zufolge war er "loyaler Anhänger" des Regimes. In jedem Fall konnte er aber seine Funktion im Bundesamt für Statistik weiter ausüben und leitete etwa 1934 die österreichische Volkszählung. In politischer Hinsicht war Winkler ursprünglich aber als deutschnational einzustufen, wie er sich nach Rathkolb zu den Anhängern der "nationalen Sache" zählte. Nichtsdestotrotz stand Winkler dem Nationalsozialismus keineswegs nahe und distanzierte sich – vermutlich (auch) aufgrund seiner Eher mit einer Jüdin – davon.

Seine Ehe war auch verantwortlich für die Maßregelungen, die ihm nach dem "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich widerfuhren. Eine gewisse Rolle spielte vermutlich auch seine Nähe zum Austrofaschismus. In seiner Funktion als Extraordinarius wurde er per 22. April 1938 "bis auf weiteres beurlaubt". Eine Wiederaufnahme seiner Lehrtätigkeit sollte ihm während der NS-Zeit verwehrt bleiben. Gemäß Winklers eigenen Angaben folgte der Beurlaubung mit Dekret vom 28. Mai 1938 die Pensionierung als Extraordinarius, und im August 1938 die fristlose Entlassung als Abteilungsleiter im Bundesamt für Statistik. Allerdings existiert im Bestand "Berufsbeamtenverordnung" des Österreichischen Staatsarchivs ein Schreiben des Reichsstatthalters, wonach er auf Grund des § 3 der Berufsbeamtenverordnung (stellvertretend für "rassische" Gründe bzw. "jüdische Versippung") als ao. Prof. mit Ende Juli 1938 in den Ruhestand versetzt werde [Anm.: Die Berufsbeamtenverordnung war am 28. Mai 1938 noch nicht in Kraft]. Denkbar wäre, dass das Schreiben aufgrund der (vermutlich) vorhergehenden Pensionierung nicht mehr in Kraft trat bzw. nicht mehr an Winkler versandt wurde. Neben dem Verlust seiner Anstellungen war er aber noch anderen Schikanen ausgesetzt: Er berichtete von "wiederholte[n] Hausdurchsuchungen", die er auf eine "üble[n] Nachbarschaft" zurückführte, wie auch Vorladungen bei der NSDAP und der Gestapo. Vier seiner – zwischen 1921 und 1926 geborenen – Kinder war die Aufnahme bzw. Weiterführung ihres Studiums verwehrt, wie er auch von einem "Auslandsverbot" berichtete. Winklers geistig behinderte Tochter Gertraud – seit 1932 in der Heil- und Pflegeanstalt Gugging bei Wien – wurde mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit im Rahmen der NS-Euthanasie ermordet.

Zwar setzten sich 1942 die "wirtschaftswissenschaftlichen Professoren der Fakultät" für Winklers Wiederverwendung ein, diese Bemühungen scheiterten allerdings. Von einem Publikationsverbot war er zwar nicht betroffen, allerdings war er insofern stark eingeschränkt, als er im Inland keinen Verlag mehr fand.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges meldete er sich umgehend im Rektorat der Universität Wien, um seine Rückkehr in die Wege zu leiten. Die Wiederaufnahme in den Dienststand erfolgte per 6. September 1945, wiewohl Winkler bereits im Sommersemester 1945 wieder Vorlesungen an der Universität Wien abhalten konnte.

Nur wenige Wochen nach seiner offiziellen Rückkehr beantragte das Dekanat der juridischen Fakultät nach Beschluss des Professorenkollegiums Winklers Ernennung zum Ordinarius. Eine positive Erledigung ließ aber auf sich warten. Im Juni 1946 erneuerte das Kollegium bzw. das Dekanat den Antrag, woraufhin die Ernennung ein halbes Jahr später zustande kam: Winkler war mit Rechtswirksamkeit vom 1. Jänner 1947 o. Prof. Nach 64 Jahren bestand somit wieder ein Ordinariat für Statistik an der Universität Wien, wobei Winkler diese Aufwertung auch als eine Form der Wiedergutmachung für seine Verfolgung im Nationalsozialismus betrachtete.

Äußerst negativ begegnete er indes der weiteren Institutstätigkeit von Felix Klezl-Norberg (1885-1972), der während der NS-Zeit Winklers Posten innegehabt hatte. Laut Exner existieren aber keinerlei Hinweise, wonach Klezl, der als Anhänger des autoritären Ständestaats galt und nicht der NSDAP beigetreten war, gegen Winkler intrigiert habe. Für die widerwillige "Zusammenarbeit" machte Winkler übrigens Othmar Spann und Hans Mayer verantwortlich, die 1918 beide als seine Trauzeugen aufgetreten waren und von denen er sich mittlerweile entfremdet hatte. Der Konflikt trat etwa 1955 deutlich zu tage, als Winkler – unter Hinweis auf Klezls Anbiederung an den NS, letztlich aber erfolglos – gegen dessen Ernennung zum Honorarprofessor an der Universität Wien berief.

Winkler lehrte indes ab 1948 auch als Honorarprofessor an der Hochschule für Welthandel. Drei Jahre später hatte er insofern einen Erfolg zu verbuchen, als ihm die inoffizielle Einführung eines "Lehrganges für Diplomstatistiker" gelang, der auf mathematische Statistik fokussierte. Das Unterrichtsministerium hatte diesen zuvor wiederholt abgelehnt. Im Studienjahr 1950/51 war er Dekan der juridischen Fakultät. Nach Absolvierung des Ehrenjahres (1954/55) trat er mit 30. September 1955 in den dauernden Ruhestand, wiewohl er weiterhin als Honorarprofessor lehrte.

Winklers Arbeitsschwerpunkte lagen in den Bereichen der Bevölkerungsstatistik und der Logik der statistischen Verhältniszahlen. Zu seinen wichtigsten Werken zählen "Berufsstatistik der Kriegstoten der österreichisch-ungarischen Monarchie (1919), "Die statistischen Verhältniszahlen" (1923), "Statistisches Handbuch der europäischen Minderheiten" (1931), "Grundriß der Statistik" (2 Bände, 1931-33), "Grundfragen der Ökonometrie" (1951) und "Demometrie" (1969).

Er war u. a. Gründer und Präsident der Österreichischen Statistischen Gesellschaft und seit 1926 Mitglied des Internationalen Statistischen Instituts, Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der ungarischen statistischen Gesellschaft Budapest, der Mexikanischen Geographischen und statistischen Gesellschaft, des Kuratoriums des Österreichischen Instituts für Konjunkturforschung, Ehrenmitglied der Deutschen Statistischen Gesellschaft (1954) und der Royal Statistical Society, Ehrendoktor der staatswirtschaftlichen Fakultät der Universität München (1959) und der Staats- und Wirtschaftswissenschaften der Universität Wien (1966). Außerdem war er Träger des Österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst I. Klasse. Als er 1966 Ehrenmitglied des Internationalen Statistischen Instituts wurde, war er einer von nur sieben Wissenschaftlern bzw. der einzige im deutschen Sprachraum, der diese Auszeichnung erhielt.

Archiv der Universität Wien, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, Personalakt Wilhelm Winkler.
Österreichisches Staatsarchiv/Archiv der Republik, Bundeskanzleramt, Bestand „Berufsbeamtenverordnung“ (BBV).

Andreas Huber

Zuletzt aktualisiert am 03.09.2021 - 09:56

Druckversion