Ernst Boehringer, Dr. Dr. h.c.

18.8.1896 – 11.1.1965
geb. in Ingelheim, Deutschland gest. in Ingelheim, Deutschland

promovierter Chemiker und Industrieller, Miteigentümer der „CH. Boehringer Sohn“ (CHBS) (heute: Boehringer Ingelheim), Gründer eines pharmazeutischen Grundlagen-Forschungsinstituts in Wien in den 1960er, leistete wichtige Anreize zur Entwicklung des Wirtschaftsstandortes Wien

Ehrungen

Ehrung Titel Datierung Fakultät
Ehrenbürger*in civ.h.c. 1961/62 Philosophische Fakultät

Ernst Boehringer, Inhaber des Pharmakonzerns C.H. Boehringer Sohn in Ingelheim, wurde am 5. Februar 1962 zum "Ehrenbürger der Universität Wien" ernannt, als Mann "… QUI, DOMINUS ET MAGISTER OPIFICUM OFFICINAE CHIMICO-PHARMACEUTICAE PRIMAE MAGNITUDINIS REI PUBLICAE FOEDERATAE GERMANICAE, CONCAMERATIO­NEM BIOCHIMICUM PHARMACOLOGICUMQUE – STUDIUM FUNDAMENTORUM DEDICATUM – VIENNAE FUNDAVIT, NE PATRIA NOSTRA CHIMIAE ATQUE PHARMACOLOGIAE PERITOS AMITTAT" (Wortlaut Diplom), der "als Besitzer und Leiter eines der größten chemischen und pharmazeutischen Unternehmen in der deutschen Bundesrepublik in Wien ein Forschungsinstitut für Biochemie und Pharmakologie gegründet hat, mit dem Zweck, der Grundlagenforschung zu dienen, und der es durch seine Tat ermöglicht hat, ausgebildete österreichische Kräfte auf beiden Gebieten ihrem Vaterlade zu erhalten" - das Institut wurde dann im November 1962 eröffnet in Wien 12., Laskegasse 5-9 (seit 1975: Dr. Boehringer Gasse 5-11)

Ernst Boehringer, owner of the pharma group C.H. Boehringer Sohn in Ingelheim, was appointed "Honorary Citizen" of the University of Vienna on February 5, 1962 as a man "... QUI, DOMINUS ET MAGISTER OPIFICUM OFFICINAE CHIMICO-PHARMACEUTICAE PRIMAE MAGNITUDINIS REI PUBLICAE FOEDERATAE GERMANICAE, CONCAMERATIONEM BIOCHIMICUM PHARMACOLOGICUMQUE - STUDIUM FUNDAMENTORUM DEDICATUM - VIENNAE FUNDAVIT, NE PATRIA NOSTRA CHIMIAE ATQUE PHARMACOLOGIAE PERITOS AMITTAT" (wording diploma), who "as owner and director of one of the largest chemical and pharmaceutical companies in the German Federal Republic founded in Vienna a research institute for biochemistry and pharmacology, with the purpose of serving basic research, and who by his deed made it possible to preserve trained Austrian forces in both fields to their country" - the institute was then opened in November 1962 in Vienna's 12 district, Laskegasse 5-9 (since 1975: Dr. Boehringer Gasse 5-11).

Die Ehrung wird 2022/23 wegen Ernst Boehringers Involvierung in den Nationalsozialismus als „problematisch“ eingestuft. Boehringer war Mitglied des deutschnationalen und antidemokratischen „Stahlhelms" und wurde 1933 in die SA sowie 1936 in die NSDAP aufgenommen. Nach dem Ende des NS-Regimes wurde er entnazifiziert, von der Ausbeutung von Fremdarbeitern im Nationalsozialismus freigesprochen und baute im Zuge des Deutschen Wirtschaftswunders seine Firma Boehringer Ingelheim zu einem weltweiten Unternehmen aus. Nach dem vielfach Geehrten wurde 1975 in Wien auch eine Straße benannt – die historische Überprüfung der Wiener Straßennamen 2013 ordnete diese Benennung ebenfalls in die Kategorie „großer Diskussionsbedarf“ ein

Ernst Boehringer wurde 1896 in Ingelheim geboren und nahm als Kriegsfreiwilliger am Ersten Weltkrieg teil bis zu einer sehr langwierigen und schmerzhaften Verwundung des linken Ellenbogengelenkes.

Er studierte an den Universitäten Würzburg und München Chemie und beendete sein Studium mit einer Doktorarbeit aus dem Gebiet der Alkaloidchemie.

Er war seit 1919 Gesellschafter im Familienunternehmen „CH. Boehringer Sohn" (CHBS), ab 1927 Mitarbeiter und ab 1937 Geschäftsführer (gemeinsam mit seinem Bruder Albert Boehringer jun. und seinem Schwager Julius Liebrecht). Er trat in Zeiten der Wirtschaftskrise in das väterliche Unternehmen ein und baute die Entwicklung von Arzneimitteln auf, neben dem damaligen Produktions- und Forschungsschwerpunkt der organischen Säuren und Alkaloide.

1930 trat Ernst Boehringer dem deutschnationalen und antidemo­kratischen „Stahlhelm" bei, einer rechtskonservativen paramilitärischen Organisation ehemaliger Frontkämpfer, die 1933 in die SA übernommen wurde, der Boehringer damit ab 1933 angehörte. Außerdem wurde er am 1. April 1936 Mitglied der NSDAP (Mitgliedsnummer 3.775.002), auch wenn das nicht unbedingt seiner politischen Überzeugung entsprach, da er sich von sonst üblichen Ergebenheitsadressen von Industriekapitänen an den „Führer“ distanzierte und in seinen Firmen auch immer wieder vor allem jüdischen Verfolgten einstellte oder ihnen bei der Flucht ins Ausland half. Er nahm auch am Zweiten Weltkrieg teil, kämpfte in der Deutschen Wehrmacht in Frankreich und Russland, erlangte den Rang eines Majors und wurde 1943 zum SA-Obersturmführer befördert und kurz darauf mit dem Deutschen Kreuz in Gold ausgezeichnet. Am 17.4.1944 wurde er dem „Generalbeauftragten für Italien des Reichsministers für Rüstung und Kriegsproduktion“ zugeteilt.

Nach dem Ende des NS-Regimes wurde er entnazifiziert. Er und die Firmenleitung wurden vom Vorwurf der Ausbeutung von Fremdarbeitern in der NS-Zeit freigesprochen. Er baute in der Zeit des Deutschen Wirtschaftswunders seine Firma Boehringer Ingelheim weiter zu einem weltweiten Unternehmen aus. Nach einem Ausweichbetrieb in Leobersdorf in der NS-Zeit, wurde nach dem Ende II. Weltkriegs 1948 als erste Auslandsgesellschaft die Bender & Co. GmbH in Wien gegründet, der 1962 die Errichtung eines eigenen Grundlagen-Forschungsinstituts in Wien folgte. Dies war sowohl ein Anreiz zur Entwicklung des Wirtschaftsstandortes Wien, als auch zur Ausbildung und Beschäftigung von Chemiker*innen und Pharmazeut*innen in Österreich, die sonst ins Ausland abgewandert wären. Von seinen Nachfolger*innen wurde dieser Schwerpunkt weiter ausgebaut und in den 1980er-Jahren einen wesentlichen Beitrag zur Schaffung des Campus Vienna Biocenters geleistet.

Die Gründung des Forschungsinstituts in der Laskegasse (heute: Dr. Boehringer-Gasse) war mit ein Grund, dass er am 5. Februar 1962 für seine Verdienste um die pharmazeutische Forschung in Wien auf Antrag von Prof. Franz Theodor Brücke und Prof. Hans Tuppy von der Medizinischen Fakultät zum Ehrenbürger der Universität Wien ernannt wurde. Der Antrag führte aus:

"Ernst Boehringer, der zu den hervorragendsten Industriellen Westdeutschlands auf dem Gebiete der Heilmittelindustrie gehört, feiert im August dieses Jahres seinen 65. Geburtstag und hat im vorigen Jahr hier in Wien ein sehr großzügiges Forschungsinstitut zu bauen begonnen, das ausdrücklich vorwiegend der Grundlagenforschung dienen soll und dessen biochemische Abteilung Herr Prof. Tuppy wissenschaftlich leiten soll, während die pharmakologische Abteilung von einem älteren Schüler des Pharmakologischen Institutes betreut werden soll. Es handelt sich bei dem genannten Projekt um ein Unternehmen, das für die medizinisch theoretische Wissenschaft in Wien von zweifellos großer Bedeutung ist, zumal diesem Institut beträchtliche Dotationen zur Verfügung stehen werden."

Die zukunftsträchtige Bedeutung dieses damals noch in den Anfängen steckenden Zweiges der chemischen Industrie hat er frühzeitig erkannt und einen anerkannten Platz auf diesem Neuland der chemischen und biologischen Forschung errungen.

Von der Bundesrepublik Deutschland wurde ihm der Stern des Großen Bundesverdienstkreuzes verliehen, von der Stadt Espalion in Südfrankreich die Ehrenbürgerschaft, von der Medizinischen Fakultät Mainz das Ehrendoktorat und von der Universität Marburg die Philipps-Plakette und er war Ehrensenator der Universitäten Freiburg/Breisgau und München sowie Ehrensenator der Universität Tübingen und neben der Universität Wien verlieh ihm auch die Universität Frankfurt am Main noch zu Lebzeiten die Ehrenbürgerschaft.

Am 11. Januar 1965 starb Ernst Boehringer im 69. Lebensjahr.

In Wien wurde er im Jänner 1975 posthum geehrt: Jener Teil der Laskegasse, in der 1962 die Forschungslabors eröffnet wurden, wurde in Dr. Boehringer-Gasse umbenannt. Bei der historischen Überprüfung der Wiener Straßennamen wurde diese Benennung 2013 eingeordnet unter: „großer Diskussionsbedarf“.

Archiv der Universität Wien, Senatssonderreihe S 227.08 (= RA GZ 220 ex 1961/62)

Herbert Posch

Zuletzt aktualisiert am 22.01.2024 - 23:37