Iwan Franko, Dr.
Ukrainischer Schriftsteller, Wissenschaftler, Journalist und Politiker
- Literaturgeschichte
- Geschichte Osteuropas
- Philosophische Fakultät
Iwan Franko (Іван Франко) wurde am 27. August 1856 als Sohn eines Dorfschmieds deutscher Abstammung in Nahujowice bei Drohobycz in Galizien, Kaisertum Österreich geboren. Er begann sein Studium 1875 an der philosophischen Fakultät der Universität Lemberg (Lwiw) mit Schwerpunkt Philologie (Lehrveranstaltungen aus klassischer Philologie, kleinrussischer Sprache und Literatur, Pädagogik, Psychologie und Anthropologie sowie Nationalökonomie), wo er Mitglied der Studentengruppe Akademischer Zirkel und Mitherausgeber der Zeitschrift Druh (Freund) wurde. Seine ersten Erzählungen veröffentlichte er 1876 in der literarischen Zeitschrift Dnistrianka und gab einen Gedichtband heraus. Als Mitherausgeber wurde Franko 1877 mit anderen Redaktionsmitgliedern wegen angeblicher sozialistischer „Geheimbündelei“ zu einigen Wochen Arrest verurteilt. Seine Arbeiten setzte er danach fort und war 1878 Mitbegründer der Zeitschrift Hromadsky Druh (Gesellschaftsfreund), die nach einem Jahr verboten wurde. Aus diesem Grund wurde er 1880 wegen „Anstachelns des einfachen Volkes gegen die gesetzmäßige Ordnung“ erneut verhaftet und zu drei Monaten Haft verurteilt. Seine rege schriftstellerische Arbeit setzte er während den Inhaftierungen fort und betätigte sich nach der Entlassung auch wieder journalistisch. So beteiligte er sich an der Publikation des Journals Swit (Die Welt), verfasste zahlreiche lyrische und prosaische Texte, übersetzte Werke von Goethe und Heine und schrieb eine Artikelserie über Taras Schewtschenko, der als bedeutendster ukrainischer Lyriker galt.
In den Jahren ab 1883 beschäftigte er sich während seines Studiums in Lemberg vor allem mit der National- und Literaturgeschichte der galizischen Ukraine, veröffentlichte weitere Gedichte und Erzählungen, arbeitete für die ukrainischen Zeitschriften Stern (Zorya) und Tat (Dilo) und war von 1887–1897 Mitherausgeber der Zeitung Kurjer Lwowsky (Lemberger Kurier). 1889 wurde Franko wegen seiner Kontakte zu Kiewer Studenten, die Galizien besuchten und die er 1885/86 während seiner Reisen nach Kiew kennengelernt hatte, erneut für zwei Monate inhaftiert. 1890 gründete er die nationalistische Zeitschrift Volk (Narod) und initiierte gemeinsam mit Michailo Pawlik die Gründung der Ruthenisch-Ukrainischen Radikalen Partei als erste legale ukrainische Partei und zugleich erste agrarsozialistische Partei Europas.
Da ihm die Ablegung der Doktorprüfung und damit der Abschluss des Studiums an der Universität Lemberg untersagt wurde, absolvierte Franko 1892 sein 8. Studiensemester an der Universität Czernowitz. Im Wintersemester 1892/93 inskribierte er an der Universität Wien ein letztes Semester und belegte hier in erster Linie Lehrveranstaltung bei Vatroslav Jagić, Professor für slawische Philologie. Jagić beurteilte Frankos Dissertation „Der Roman von Barlaam und Josaphat, sowie die darin enthaltene Parabel von dem Einhorn (Der Mann im Brunnen) und ihre slawische Bearbeitung“, seine wissenschaftliche Beschäftigung mit der slawischen Literatur sowie seine belletristischen Arbeiten äußerst positiv. Auch nach der Promotion am 1. Juli 1893 hielt Franko den Kontakt und Jagić veröffentlichte einige von Frankos Arbeiten in seinem Archiv für Slavische Philologie.
Auch in den Folgejahren und -jahrzehnten war Franko schriftstellerisch äußerst aktiv. Er habilitierte sich 1895 an der Universität Lemberg, aus politischen Gründen wurde er jedoch nicht zur Ausübung der öffentlichen Lehrtätigkeit zugelassen. Aus denselben Gründen wurde der Vorschlag abgelehnt, ihn in die russische Akademie der Wissenschaften aufzunehmen. Er erhielt 1906 von der Universität Charkiw die Ehrendoktorwürde und erfuhr zahlreiche weitere Würdigungen. Iwan Franko starb am 28. Mai 1916 in Lemberg.
Iwan Franko ist bis heute einer der bekanntesten ukrainischen Dichter und Schriftsteller. Als herausragend gelten vor allem seine zahlreichen sozialkritischen, aufklärerischen Romane über die Lage der Ukrainer in Galizien, daneben verfasste er jedoch auch verschiedene Erzählungen, Novellen, Kindermärchen, Dramen und Gedichte. Auch seine Beschäftigung mit der slawischen und ukrainischen Literatur- und Politikgeschichte sowie seine Arbeit als Literaturkritiker und Übersetzer hatten großen Einfluss auf die moderne ukrainische Literatur. In seiner publizistischen Tätigkeit als Gründer, Mitarbeiter und Redakteur verschiedener ukrainischer Zeitungen und Zeitschriften und in seinem sozialpolitischen Engagement waren der Sozialismus, später besonders der ukrainische Nationalismus zentrale Elemente.
Rezeption und Ehrungen
Iwan Franko ist eine Art ukrainischer Nationalheld, der sowohl in den Zeiten wechselnder Herrschaft (Russland, Österreich-Ungarn, Polen, Sowjetunion, …), während der NS-Herrschaft, aber auch seit der Unabhängigkeit der Ukraine als Symbolfigur der ukrainischen Identität und Nationalität betrachtet wurde und wird. Daher überrascht es nicht, dass die zentrale Universität in Львів/Lwiw (vormals Lwów, Lemberg) in der heutigen Ukraine nach Franko benannt wurde (Львівський національний університет імені Івана Франка),
1962 wurde sogar eine ganze Stadt, das ehemalige Станиславів/Stanislawiw (deutsch: Stanislau) zu seinen Ehren in Iwano-Frankivsk (Івано-Франківськ) umbenannt. Sein Andenken wird in der ganzen Westukraine in Form von Denkmälern sowie Straßen-, Platz- oder Parkbenennungen geehrt.
Auch in Wien finden sich mindestens drei Denkmäler für Iwan Franko:
- Iwan Franko Gedenktafel (Wien 1010, Wipplingerstraße 26) an der Fassade des Hauses, wo er während seines Aufenthalts in Wien wohnte (enthüllt 1960)
- Iwan Franko Gedenktafel (Wien 1010, Universitätsring 1) enthüllt am 29. Oktober 1993 im Institut für Germanistik der Wiener Universität, wo Iwan Franko seine Doktordissertation erfolgreich verteidigte
- Das Iwan Franko Denkmal (Wien 1010, Postgasse 8, neben der Barbarakirche, der Pfarrkirche der Ukrainischen Unierten Kirchengemeinde), vis-á-vis des Archivs der Universität Wien enthüllt am 28. Mai 1999.
Gedenktafel an der Universität Wien
Die 1993 von Aleksandr Pavlovich Skoblikov [Александр Павлович Скобликов] (1929-2005) geschaffene Gedenktafel zeigt ein Halbreliefporträt Frankos in Frontalansicht, mit beiden Händen ein Buch haltend, und mit der Inschrift
Iwan Franko |
Ukrainischer Dichter |
1856–1916 |
studierte 1892/93 in Wien
und wurde im 2. Obergeschoss der Universität im Bereich des Instituts für Germanistik zwischen den Übungsräumen 1 und 2 angebracht.
Die Gedenktafel war im April 1992 vom Vorstand des Instituts für Germanistik, Prof. Herbert Tatzreiter (geb. 1938) auf Wunsch des damaligen Vizekanzlers und Wissenschaftsministers Erhard Busek (1941-2022) angeregt worden – vorbei an den für Ehrungen vorgesehenen Routinen innerhalb der Universität Wien. Die Gedenktafel sollte Teil der intensiven bilateralen Kulturbeziehungen zwischen der 1991 gegründeten eigenständigen Ukraine und Österreich sein: Allein 1992 gab es bereits 25 bilaterale Austauschprojekte, darunter z.B. der Besuch des österreichischen Vizekanzlers Erhard Buseks in der Ukraine (19.–21. Februar 1992), Besuch der ukrainischen Kulturministerin Larysa Chorolets in Österreich (19.–26. April 1992), Österreich-Tage in Tscherniwzi (Czernowitz) mit Eröffnung der Österreich-Bibliothek, Enthüllung der Gedenktafel für Paul Celan sowie einer Celan-Statue (3.–6. Juni 1992), Teilnahme einer ukrainischen Delegation am „Europäischen Forum Alpbach“ (25.–29. August 1992), Eröffnung der Außenstelle des österreichischen Ost- und Südosteuropainstituts und Übergabe der Österreich-Bibliothek durch den österreichischen Vizekanzlers Erhard Busek in Lwiw/Lemberg (3.–4. Oktober 1992). Und auch 1993 gab es bereits zehn bilaterale Austauschpunkte, bevor im Zuge des Besuchs des ukrainischen Kulturministers Iwan Dsjuba in Wien (26.–31. Oktober 1993) am 29. Oktober 1993 auch die Iwan-Franko-Gedenktafel in der Universität Wien enthüllt wurde. Aufgrund der mehr politisch als wissenschaftlich motivierten Entstehungsgeschichte gab es auch keine Einbindung der inhaltlich zuständigen Fächer Slawistik, Osteuropaforschung oder Zeitgeschichte. Ein wissenschaftlicher Diskurs zu Leben und Werk Frankos fand damals nicht statt – as 100-Jahr Jubiläum von Frankos Promotion war dann 1993 nur noch ein zusätzliches Momentum.
Gegen die Gedenktafel an der Universität Wien erhob die Israelitische Kultusgemeinde Wien 2010 Vorwürfe wegen antisemitischer Inhalte in Frankos Werk. Daraufhin wurden Fachgutachten des Instituts für Zeitgeschichte und des Instituts für Osteuropäische Geschichte eingeholt sowie das Institut für Slawistik und das an der Universität angesiedelte, vom Wissenschaftsfond (FWF) finanzierte, Doktoratskolleg „Das österreichische Galizien und sein multikulturelles Erbe“ beauftragt, eine wissenschaftliche Konferenz zu veranstalten. Die international besetzte Konferenz „Iwan Franko und die jüdische Frage in Galizien“ fand am 24./25. Oktober 2013 an der Universität Wien statt und erörterte das Werk von Iwan Franko. Die Ergebnisse wurden 2015 als Buch publiziert und die Universität entschied sich, neben der Gedenktafel 2016 eine Zusatztafel anzubringen:
Iwan Franko, einer der wichtigsten ukrainischen Autoren, Publizist und Übersetzer, hat 1893 an der Universität Wien promoviert.
Im Rahmen einer wissenschaftlichen Konferenz im Oktober 2013 wurde Frankos komplexe Einstellung zum Judentum diskutiert.
In Frankos umfangreichem Werk finden sich antisemitische, sowie philosemitische Passagen. Franko rekurrierte auf das Stereotyp des „jüdischen Kapitalisten“. Zugleich pflegte er enge Beziehungen zu führenden jüdischen Intellektuellen seiner Zeit und unterstützte im Zuge der ukrainischen Nationalbewegung die zionistische Staatsidee.
Zuletzt aktualisiert am 22.01.2024 - 23:08