Margarete Streicher, Dr.

9.4.1891 – 1.2.1985
geb. in Graz, Österreich gest. in Wien, Österreich

Ehrungen

Ehrung Titel Datierung Fakultät
Stipendien/Preise/Stiftungen Gaulhofer-Streicher-Gedenkstiftung und -Preis 1969 Philosophische Fakultät

Die Stiftung wurde 1969 geschaffen „zum ständigen Gedenken an die bedeutenden österreichischen Turnpädagogen Dr. Karl Gaulhofer und Dr. Margarete Streicher sowie an ihr großes Reformwerk“ (Präambel des Stiftungsbriefs von 1969) und war mit der jährlichen Vergabe jährlich eines Gaulhofer-Streicher-Gedenk-Preises für den besten und die beste Student*in des Instituts für Leibeserziehung der Universität Wien und im Rahmen einer Gaulhofer-Streicher-Feier zu verleihen. 2009 wurde die Stiftung aufgelöst, seit 2013 wird auch der Gaulhofer-Streicher-Preis nicht mehr verliehen.

Die Ehrung wird 2022/23 aufgrund von Margarete Streichers Involvierung in den Nationalsozialismus als „diskussionswürdig“ eingestuft. Streicher war seit 25. April 1941 Mitglied der NSDAP (Mitgliedsnummer 8.119.327).

Margarete Streicher, geboren 1891 in Graz, wuchs in Wien in einem deutschnationalen familiären Umfeld auf, besuchte das private Mädchen-Obergymnasium des Vereins für erweiterte Frauenbildung in Wien. Nach der Reifeprüfung (Matura) begann sie 1911 an der Universität Wien Biologie und „Lehramt Turnen“ zu studieren, legte 1914 die Lehramtsprüfung für Turnen ab und promovierte dann 1916 zur „Dr. phil.“ in Biologie. Die Lehramtsprüfung in Biologie folgte nach Kriegsende 1918, nachdem sie bereits seit 1914 als Turnlehrerin am Mädchengymnasium in der Rahlgasse arbeitete. In diesen experimentierfreudigen ersten Unterrichtsjahren schuf sie die Grundlagen für ihre Veröffentlichungen der 1920er Jahre. 1919 wurde sie als Assistentin für die methodische Ausbildung der Studentinnen an der Universität Wien im zweijährigen Kurs für Turnlehrer*innen tätig und begann ihre Zusammenarbeit mit dem Reformpädagogen Karl Gaulhofer, die bis zu dessen Abgang nach Amsterdam 1932 andauerte. Für sie eine Phase beruflicher Höhepunkte, besonders in der Reform des österreichischen Schulturnens, mit dem Schwerpunkt im Mädchen- und Frauenturnen. Seit 1921 arbeitete sie an der Staats- (später Bundes-)Erziehungsanstalt als Lehrerin und war weiter an der Universität Wien tätig, publizierte, hielt zahlreiche Vorträge in Österreich und Deutschland, lehnte Berufsangebote aus Deutschland aber ab, auch jenes 1929 eine Professur in Halle zu übernehmen. Sie war ab 1922 auch Mitglied der stattlichen Prüfungskommission für Turnlehrer*innen. In der Phase des Austrofaschismus wurden ihre Entwicklungs- und Gestaltungsmöglichkeiten geringer – als Frau, Protestantin und mit einer zugeschriebenen Nähe zum (National-)Sozialismus passte sie nicht in das System des Austrofaschismus der 1930er Jahre. Dem Turnen wurde in Schule und Universität wieder vermehrt die Steigerung der Wehrhaftigkeit im Sinne vormilitärischen Erziehung zugeschrieben. Obwohl sie sich selbst als „hervorragend unpolitisch“ bezeichnete, bewarb sie sich 1938 um die Mitgliedschaft in der NSDAP und wurde am 25. April 1941 aufgenommen (Mitgliedsnummer 8.119.327), nicht zuletzt in der Hoffnung, dadurch das Natürliche Turnen im Deutschen Reich weiter verbreiten zu können und um ihre Anstellung am Hochschulinstitut für Leibeserziehung in Wien zu sichern. Ihre Erwartungen wurden aber enttäuscht. Weder konnte Gaulhofer von Amsterdam nach Wien zurückkehren, noch wurde das Natürliche Turnen weiterentwickelt, vielmehr wurden wieder Geschlechterstereotypen bemüht: Buben auf militärische, Mädchen auf mütterliche Erziehung verwiesen. Ihre Veröffentlichung „Grundsätze der Leibeserziehung der Frau“ enthielt 1940 bereits kleinere Annäherungen an den Nationalsozialismus (inklusive dem Hitlerzitat: „Das Ziel der weiblichen Erziehung hat unverrückbar die kommende Mutter zu sein.“, danach publizierte sie aber in der NS-Zeit gar nicht mehr und war eher frustriert über die Entwicklung des Sports an Schulen. Die Richtlinien für die Mädchenschulen des Jahres 1941 kritisierte sie und lehnte ihre Umsetzung ab.

Nach dem Ende des Nationalsozialismus wurde Streicher als NSDAP-Mitglied am 25. Juni 1945 entlassen. Nach Abschluss des Entnazifizierungsverfahrens konnte sie Ende 1948 wieder in den Staatsdienst zurückkehren und übernahm abermals einen Lehrauftrag am Institut für Leibeserziehung der Universität Wien (über „Theorie der menschlichen Bewegung“), das mittlerweile von ihrem Schüler Hans Groll geleitet wurde, der auch Direktor der Bundesanstalt für Leibeserziehung war, und der sich für sie einsetzte.

Ab 1949 arbeitete sie an den Neuauflagen der Bände Natürliches Turnen I und II und knüpfte als Referentin und Kursleiterin wieder Kontakte ins Ausland an.

Die nun propagierte Theorie der Leibeserziehung baute grundsätzlich auf der Basis des Natürlichen Turnens auf, wurde von Hans Groll, Josef Recla und später auch Friedrich Fetz aber weiterentwickelt und in den 1970er Jahren zur Sportpädagogik umgewandelt, wozu Streicher auf Distanz ging.

Sie war Mitglied der South African Association for Physical Education and Recreation, sowie der Internationalen Wissenschaftlichen Gesellschaft für Körperliche Erziehung.

Sie war seit 1962 in Pension, publizierte aber Anfang der 1970er Jahre zwei neue Bände mit einer Auswahl von überarbeiteten Aufsätzen der zuvor veröffentlichten Werke des Natürlichen Turnens.

Sie starb am 1.Februar 1985 94jährig in Wien

„Natürliches Turnen“

Karl Gaulhofer hatte seine Reform des Schulturnens als „Natürliches Turnen“ gemeinsam mit Margarethe Streicher 1930/31 in zwei Bänden veröffentlicht, 1942 folgte der dritte Band. Darin wurde das gesamte Übungsgut in die vier Großgruppen: Ausgleichsübungen, Formende Übungen, Leistungsübungen und Bewegungskünste gegliedert. Das „Natürliche Turnen“ war eine Synthese verschiedener zeitgenössischer Strömungen und u.a. von der modernen nordischen Schulgymnastik inspiriert.

Gaulhofer und Streicher vertraten mit dem „Natürlichen Turnen“ eine ganzheitliche Auffassung der Leibeserziehung und fanden internationale Beachtung. Sie wollten weg vom „kinderfeindlichen Subordinationsturnen“ nach Adolf Spieß hin zu einer Bewegungserziehung vom Kinde aus, die sich an alle wenden sollte, wobei das „natürliche“ der Bewegung – im Sinne von unabhängig von Kultur – im Zentrum stand womit auch die Autonomie der Kinder gefördert werden sollte.

Während in anderen vom Nationalsozialismus befreiten Ländern nach 1945 diese Denkschule nach Kriegsende nicht weiter betrieben wurde, blieb sie im wiedererstandenen Österreich unter Federführung seiner Schüler und Margarethe Streichers als autochthone Entwicklung prägend für die Sportwissenschaften und den Schulsport bis in die 1970er Jahre.

Werke (Auswahl)

  • Karl Gaulhofer u. Margareta Streicher, Das Neue Schulturnen, Weinheim 1928 (²1962).
  • Margarete Streicher, Körperliche Erziehung, in: Martha-Stephanie Braun u.a., Hg., Frauenbewegung, Frauenbildung und Frauenarbeit in Österreich, Wien 1930, 207-220.
  • Karl Gaulhofer u. Margareta Streicher, Natürliches Turnen. Gesammelte Aufsätze 1. Wien 1931 (²1949).
  • Karl Gaulhofer u. Margareta Streicher, Natürliches Turnen. Gesammelte Aufsätze 2. Wien 1930 (²1949).
  • Karl Gaulhofer u. Margareta Streicher, Natürliches Turnen. Gesammelte Aufsätze 3. Wien 1942 (²1950).
  • Karl Gaulhofer u. Margareta Streicher, Natürliches Turnen. Gesammelte Aufsätze 4. Wien 1956.
  • Karl Gaulhofer u. Margareta Streicher, Natürliches Turnen. Gesammelte Aufsätze 5. Wien 1959 (²1961).

Ehrungen

Silbernes Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich 1929, Goldenes Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien 1973, Große Ehrenplakette des Instituts für Sportwissenschaft 1981.

Gaulhofer-Streicher-Gedenkstiftung und -Preis

1969 wurde auf Initiative des Streicher-Schülers Prof. Hans Groll, MinR. Ferdinand Zdarsky und FI Helene Tollich die „Gaulhofer-Streicher-Gedenkstiftung“ mit Sitz an der Universität Wien gegründet mit dem Zweck, jährlich einen Gedenk-Preis für den besten und die beste Student*in des Instituts für Leibeserziehung der Universität Wien zu vergeben und zu dessen Verleihung eine Gaulhofer-Streicher-Feier zu veranstalten (aus dem Stiftungsbrief), die Mitglieder der Entscheidungskommission wurden auf Lebenszeit ernannt, umfassten neben den Proponenten auch Margarete Streicher selbst und mussten „geprüfte akademische Leibeserzieher, die in positiver Beziehung zum Lebenswerk Gaulhofers und Streichers stehen“ sein (aus dem Stiftungsbrief). Die Stiftung bestand bis 2009 (nach der Auflösung wurde das verbliebene Stiftungsvermögen und der Stiftungszweck an die Dr.-Ladislaus-Vajda-Stiftung der Universität Wien übertragen). Nachdem bei der Überprüfung der Wiener Straßennamen durch eine historische Kommission 2011/2013 die Gaulhofergasse bzw. der Namensgeber Karl Gaulhofer als „Fall mit Diskussionsbedarf“ eingestuft wurde, beschloss die Universität Wien 2013, den Gaulhofer-Streicher-Preis nicht mehr zu vergeben.

Archiv der Universität Wien, Rektorat GZ 151 ex 1969/70 (=S 204), S 304.1257, PH RA 4253, .

Herbert Posch

Zuletzt aktualisiert am 23.01.2024 - 01:02