Kirchlich normiert – gesellschaftlich gefordert

Die Katholisch-Theologische Fakultät in und nach der "Ära der Ideologien" 1848-1989
1848–1989

Die Wiener Universität ist erst durch die Errichtung einer Theologischen Fakultät 1384 zu internationaler Bedeutung gelangt. Seither bildet diese eine feste Größe im akademischen wie kirchenpolitischen Gefüge eines weiträumigen Reiches, das 1918 zum Kleinstaat schrumpfte. Mit der Integration einer protestantischen Schwester 1922 wurde sie zur „Katholisch-Theologischen“ Fakultät. In der „Arä der Ideologien“ 1848 bis 1989 war allein ihre Existenz ein Politikum. Das überwiegend liberale bzw. deutschnationale Akademikermilieu erachtete eine kirchlich kontrollierte Einrichtung an der Universität als Fremdkörper; die privilegierte Stellung der katholischen Kirche stellte indes ihre durchgehende Existenz sicher und bewirkte ein komplexes Kompetenzgeflecht zwischen Universität, Kirchenleitung und Politik, das bis heute vor allem die Auswahl der Theologielehrkräfte regelt. Diese wiederum mussten und müssen recht unterschiedlichen Erwartungen gerecht werden und gelangten mitunter zu hohem Einfluss in Kirche und Staat.

Nach rund zwei Jahrhunderten eines jesuitischen und knapp einem Jahrhundert josephinisch-reglementierten Studienbetriebs bedeutete die Universitätsreform Leo Thun-Hohensteins nach 1849 einen Neubeginn. Kirchliche Hochschulen und staatliche Theologische Fakultäten überließ die neoabsolutistische Politik indes weitgehend der Kompetenz der Bischöfe. Das bescherte den Theologen neben der stets präsenten lokalen kirchlichen Beobachtung auch ein zunehmendes Einwirken römischer Instanzen. Der ultramontane Katholizismus der Pius-Päpste (von Pius IX. ab 1846 bis Pius XII. 1958) stieg mehr als andere Konfessionen selbst in den Ring der Ideologien, indem er überkommene religiöse Denk- und Handlungsmuster zu einer Weltanschauung überhöhte und sich gegen den rasanten kulturellen Wandel stemmte. Theologen hatten damit einen mitunter schwierigen Balanceakt zwischen Wissensidealen und Kirchenloyalität zu leisten. Ihre Sonderstellung brachte sie zudem fast unvermeidlich in Frontstellung zu einer Intelligenzija, die sich überwiegend als Anwalt „voraussetzungsloser“ Wissenschaft und Speerspitze des „Freisinns“ verstand. Die darin angelegte Spannung explodierte bevorzugt dann, wenn Theologen turnusgemäß Kandidaten für die Rektorswahl stellten. Nach Gründung katholischer Studentenbünde ab der vorletzten Jahrhundertwende entlud sie sich auch in regelrechten Saal- und Straßenschlachten, da die nationale wie (jüdisch-)liberale Konkurrenz sie aus Gründen des Couleur-Rechts bzw. ideologischer Gegnerschaft vehement bekämpfte. Die ideologische Großwetterlage bestimmte naturgemäß auch Zusammensetzung und Handlungsspielraum von Hörerschaft und Lehrkörper der Theologischen Fakultät. 

Von der Priester- zur Theologenschmiede: die Hörerschaft

Bis in die 1970er Jahre war die Fakultät eine Einrichtung von Priestern zur Ausbildung künftiger Priester, im relevanten Zeitraum vor allem jener der Erzdiözese Wien. Dass sie nicht bloß Provinzlehranstalt blieb, verdankte sie zwei Einrichtungen überregionalen Zuschnitts. Das seit 1623 in Wien beheimatete Priesterseminar Pazmaneum unterstand dem Primas von Ungarn und sorgte für einen steten Zustrom begabter ungarischer Theologen, der bis zur Machtergreifung der Kommunisten 1947 anhielt. Ferner führte das 1816 ins Leben gerufene Priesterkolleg St. Augustin („Frintaneum“) Zeit seiner Existenz bis 1918 über eintausend Priester aus allen Teilen der Monarchie nach Wien, um hier ein theologisches Doktorat zu erwerben. Der Dienst bei Hofe oder an Landsleuten in der Hauptstadt sollte zudem ihre Loyalität stärken. Kurz nach Versiegen des Zuzugs von außen erweiterte sich die Klientel der Fakultät auf neue Gruppen einheimischer Provenienz. Ein vorerst verhaltener Zustrom von weiblichen und männlichen Laien ab den 1950er Jahren steigerte sich nach 1970 zu einem regelrechten Boom an LaientheologInnen, die den Charakter der Fakultät maßgeblich änderten und seither den Großteil der Hörerschaft stellen.

Seltene Ausbrüche aus geographischer und ideologischer Enge: der Lehrkörper

Gliedert man die theologische Lehrerschaft nach sieben Generationen zu je 25 Jahren, zeitigt eine Analyse bemerkenswerte Ergebnisse. Sie betreffen bis zur Gegenwart insgesamt 151 Personen, davon 141 Männer bzw. 116 Priester. Erst 1997 wurde mit der Fundamentaltheologin Martha Zechmeister erstmals eine Frau habilitiert bzw. eine andere – die Sozialethikerin Ingeborg Gabriel – zur Professorin ernannt. Knapp zwei Drittel aller Lehrkräfte haben die akademische Formung an der eigenen Fakultät erhalten. In jeder dritten Generation (1896–1920; erneut ab 1970) öffnete sich das Rekrutierungsfeld in Richtung Deutschland. Hinsichtlich der Herkunft ihrer Lehrer war die Fakultät bis 1900 überwiegend böhmisch, dann bis in die 1980er Jahre sehr wienerisch und seither (zumindest bei sog. ordentlichen Professoren) nicht wenig bayerisch-bundesdeutsch geprägt.

Von den 1850ern bis in die 1970er Jahre war die Fakultät ein Bollwerk des kirchlichen und politischen Konservativismus. Ausnahmen davon bildeten einige moderat-liberale geistliche Hofräte der 1870/80er Jahre (Carl Werner, Hermann Zschokke) und gemäßigt fortschrittliche Theologen der Jahrhundertwende (z.B. der Kirchenhistoriker Albert Ehrhard). Indiz dafür ist auch eine geringe Zahl kirchlicher Disziplinierungen (Anton Günther 1857, Albert Ehrhard 1901, Johann Schlögl 1922, Adolf Holl 1973). In dogmatisch unverfänglichen oder neuen Wissensgebieten konnten Theologen jedoch Marksteine setzen und internationale Reputation erlangen (v.a. die Wiener Pastoraltheologie oder Alois Musil in der Orientalistik, Wilhelm Schmidt in der Völkerkunde). Ein karger wissenschaftlicher Output der Fakultät von 1920 bis 1970 wurde durch den politischen Einfluss einiger Professoren ausgeglichen. Der 1922 verstorbene Moraltheologe Franz Martin Schindler hatte für die bis dahin rein populistische christlichsoziale Bewegung Grundzüge einer katholischen Sozialpolitik formuliert; sein Schüler und Nachfolger Ignaz Seipel stieg zum Protagonisten der Ersten Republik auf. Der Neutestamentler Theodor Innitzer fungierte als Rektor, dann Sozialminister und ab 1932 als Erzbischof von Wien. Johannes Hollnsteiner und Johannes Messner bezahlten ihre Beratertätigkeit für Kanzler Kurt Schuschnigg 1938 mit der Einweisung nach Dachau bzw. dem erzwungenen Exil. Der schon in der Ersten Republik für politische Verständigung wirkende Pastoraltheologe Michael Pfliegler formulierte nach 1945 maßgeblich den kirchlichen Part am gesellschaftlichen Konsens der Nachkriegsjahre (eine „freie Kirche“ im „freien Staat“).

In der Ära Franz König (Wiener Erzbischof 1956–1985) bzw. im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–65) fand die Fakultät allmählich Anschluss an die im Aufbruch befindliche internationale Theologie. Wachsende innerkirchliche Spannungen ab der Mitte der 1980er Jahre konterkarierten dies mehrmals dadurch, dass Berufungen renommierter Fachkräfte entweder durch kirchliche Widerstände aus Rom oder Wien, oder aber am geringen Einsatz von Fakultätsleitern scheiterten. Das Engagement der aktuellen Lehrgeneration in interreligiösen und interdisziplinären Projekten trägt das Seine dazu bei, dass der theologische Beitrag zur universitas litterarum derzeit in einem Maße anerkannt scheint, wie das während der Ära der Ideologien vor 1989 nie der Fall war. An Aufgaben herrscht kein Mangel: Wohl nie in der Geschichte haben sich technische Möglichkeiten, Lebensumstände und Einstellungen (inklusive religiöser Überzeugungen und Praktiken) so radikal von einer Generation zur anderen gewandelt wie in der Gegenwart. Diese Prozesse mit dem Erfahrungshintergrund eines großen religiösen Erbes zu reflektieren und positiv mitzugestalten, zugleich das eigene, in etlichen Punkten ambivalente religiöse Erbe durch Reflexion zu läutern, ist zweifellos eine enorme Herausforderung. Sich ihr auch in Wien zu stellen steht Theologen – inzwischen beiderlei Geschlechts – wohl an.

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