Entlassungen politischer Gegner*innen an der Universität Wien im Austrofaschismus

1933–1938

Im Vergleich zu den Entlassungen und Zwangspensionierungen von Lehrenden im Nationalsozialismus gelten die Jahre des Austrofaschismus als „kleiner Einschnitt“, veränderten aber trotzdem die Universität Wien entscheidend und stellen bei näherer Betrachtung sogar den bis dahin prozentuell größten Einschnitt dar.

Schmaler Grat zwischen „Beamtenabbau“ und politischer „Disziplinierung“

Unmittelbar nach der Ausschaltung des Parlaments im März 1933 kam es zu politischen Eingriffen in das österreichische Hochschulsystem, die in der Geschichte der Universität Wien seit 1848 beispiellos waren. Dabei wurden Elemente der universitären und studentischen Selbstverwaltung beseitigt, mit dem Ziel „Feinde der ständischen Idee“ ausschalten zu können. Die gesetzlichen Maßnahmen dafür wurden vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise mit Einsparungsmaßnahmen und Personalabbau legitimiert. Nicht selten waren diese „Budgetmaßnahmen“ allerdings nichts anderes als versteckte Disziplinierungen, um oppositionelle Lehrende der Universität Wien von Lehre, Forschung und Erziehung der studentischen Elite auszuschließen. Für diese „außerordentlichen Personalmaßnahmen“ im Bundeskanzleramt war als Kommissär Arbogast Fleisch zentral verantwortlich.

Angefangen mit der Einführung eines neuen Beamteneides im Juni 1933, bis hin zur Pflichtmitgliedschaft in der Vaterländischen Front, machte das austrofaschistische Herrschaftssystem klar, welche Rolle öffentliche Angestellte, so auch die Lehrenden der Universität Wien, spielen sollten. Sie hatten sich sowohl im Dienst, wie auch in ihrer Freizeit dem Staat gegenüber loyal zu verhalten und Kritik von Kolleginnen und Kollegen, Studierenden oder auch eigenen Familienmitgliedern umgehend zu melden.

Neben dem Einschwören auf den „christlichen Ständestaat“ und politisch motivierten „Abbaumaßnahmen“ beschlossen die Austrofaschisten eine sofortige Änderung der Habilitationsordnung, die vorsah, dass es für Habilitierungen (oder ihre Ablehnung) keine Begründung mehr brauchte. Sowohl die persönliche als auch die moralische Eignung wurde somit als willkürliche Begründung rechtens. Dies bekam auch der Soziologe Ernst Karl Winter zu spüren. Wurde er 1933 noch zum Wiener Vize-Bürgermeister ernannt, verlor er durch seine, oft als „arbeiterfreundlich“ verstandene Politik immer mehr an Rückhalt innerhalb der austrofaschistischen Regierung. Als er 1934 erneut versuchte an der Universität Wien eine Venia zu erlangen, wurde er aufgrund seiner Positionierung u.a. als Gegner eines allfälligen Anschlusses an NS-Deutschland an seiner Habilitierung gehindert. Gerade auch Othmar Spann, der als Befürworter eines solchen Anschlusses und Theoretiker des Ständestaats galt, war maßgeblich an dieser Verhinderung beteiligt. Zudem wurde von der austrofaschistischen Regierung verordnet, dass politisch missliebige Lehrende ohne besondere Verfahren aus der Lehre entfernt werden oder in den vorzeitigen Ruhestand versetzt werden konnten.

Bis heute gibt es in der Forschung keine gesicherten Zahlen über politisch motivierte Suspendierungen, Entlassungen und Zwangspensionierungen von Gegnerinnen und Gegnern des Austrofaschismus. Erste Forschungsergebnisse in Form von Auswertungen der Personalstandslisten der Universität Wien der Jahre 1932/33 bis 1937/38 zeigen einen Rückgang an Ordinariaten und Extraordinariaten um mehr als 23 Prozent. Konkret ging die Anzahl der ordentlichen Professoren-Posten um über 14 Prozent, die der außerordentlichen sogar um über 37 Prozent zurück. Studien zu den Einzelschicksalen hinter diesen Zahlen belegen bereits die Praxis der versteckten Disziplinierung und Exklusion unter dem Deckmantel der Einsparungsnöte. Augenfällig ist, dass nach 1933/34 mehr Nationalsozialisten und mit ihnen sympathisierende Lehrende von der Universität Wien entlassen bzw. (zwangs-)pensioniert wurden als „Linke“ oder Liberale. Das bedeutet freilich nicht, dass „linke“ Lehrende im Vergleich zu den Nationalsozialisten unter der Diktatur von Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg geschont wurden. Es war allerdings 1934 kaum ein politisch exponierter Liberaler oder „Linker“ mehr an der Universität tätig, Frauen unter ihnen waren noch viel seltener. Ein Grund dafür ist, dass bis 1933 eine Allianz von Katholisch- und Deutsch-Nationalen auch an den Universitäten dafür gesorgt hatte, dass viele Frauen, „Linke“ und/oder Jüdinnen und Juden die Universität Wien verlassen hatten und den Weg an außeruniversitäre und internationale Institutionen suchten bzw. suchen mussten. Maria Jahoda, Paul Lazarsfeld und Hans Zeisel etwa sind drei Beispiele, die für erfolgreiche außeruniversitäre Forschung stehen. Ihre sozialwissenschaftliche Studie zu den „Arbeitslosen von Marienthal“ widmete sich den sozio-psychologischen Wirkungen von Arbeitslosigkeit und war in den 1930er Jahren bahnbrechend.

Pensionierte Professoren

Die Entwicklung der Emeritierungen ist diametral entgegengesetzt zum Verlauf der Professoren-Posten zu beschreiben. In den Jahren 1933-1938 stieg die Anzahl der Pensionierungen um über 91 Prozent – drei der hier bekanntesten politischen Ausschlüsse um 1933/34 waren die ehemaligen Rektoren und Nationalsozialisten Wenzel Gleispach (Rektor 1929/30), Hans Uebersberger (1930/31) und Othenio Abel (1932/33). Nachdem Gleispach 1933 in einer deutschen Zeitschrift Kritik u.a. am Einsatz des kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes aus dem Jahr 1917 und am neuen Diensteid übte, wurde ihm eine „staatsfeindliche Haltung“ attestiert und in Folge dessen wurde er zwangspensioniert. Kurz darauf folgte er einem Ruf nach Berlin. Ähnlich verhielt es sich auch bei seinen Kollegen, Uebersberger und Abel, sie folgten ebenfalls Berufungen nach NS‑Deutschland und setzten dort ihre Karrieren in politisch gleichgesinnter Umgebung fort, nachdem sie im austrofaschistischen Österreich zu politischen Gegnern geworden waren.

Aber auch liberale oder „linke“ Professoren wurden „entfernt“: Neben dem Philosophen Heinrich Gomperz auch der Anatom und Stadtrat im Roten Wien, Julius Tandler. Beide wurden 1934 gegen ihren Willen pensioniert. Gomperz‘ Zwangspensionierung dürften mehrere Tatsachen zugrunde liegen. Lange vermutete er selber von der Universität „entfernt“ worden zu sein, da er sich weigerte der Vaterländischen Front beizutreten, was im Austrofaschismus für Beamte verpflichtend vorgeschrieben war. Erst viel später erfuhr er, dass er pensioniert wurde, um die Neuberufung von Dietrich Hildebrand zu ermöglichen. Hildebrand widmete sich der „katholischen Weltanschauungslehre“, war ein dezidierter Wunschkandidat Dollfuß‘ gewesen und so auch gegen den Willen etlicher Mitglieder des Professorenkollegiums zum außerordentlichen Professor ernannt worden. Bei Julius Tandler waren seine politische (sozialdemokratische) Überzeugung und seine jüdische Herkunft Grund für seine Zwangsemeritierung.

Zahlreiche nationalsozialistische Professoren konnten aber an der Universität Wien bleiben, so etwa der Botaniker Fritz Knoll, der Anatom Eduard Pernkopf, oder auch der Jurist Ernst Schönbauer. Alle drei waren illegale Nationalsozialisten die nach deren Machtergreifung 1938 zu Dekanen bzw. Rektoren aufstiegen und davor im Austrofaschismus trotz offener bzw. heimliche Agitation im Amt belassen wurden.

Der Fall Schlick

Es kam in den Jahren des Austrofaschismus aber auch zu einer einzigartigen Gewalttat: Moritz Schlick, Professor für Philosophie, wurde 1936 im Gebäude der Universität Wien von Hans Nelböck ermordet, der 1931 bei ihm promoviert hatte. Der Umgang mit diesem Mord macht offensichtlich, wie korrumpiert die christlich-konservative und nach wie vor antisemitisch dominierte Hochschul- und Medienlandschaft war. Die Berichterstattung in den Zeitungen lässt den Eindruck entstehen, als ob Schlicks positivistische Lehren verachtungswürdiger gewesen seien als der Mord. So wurde in einem Nachruf der diagnostizierte „Wahnsinn“ des Täters gar auf Schlicks „gottlose“ Lehre zurückgeführt. Auch auf Schlick folgte mit Alois Dempf ein inhaltlich wie politisch treuer Wissenschaftler.

Kontinuitäten nach 1938 und 1945

Wenn der Austrofaschismus im Vergleich zum Nationalsozialismus nur der marginalere Einschnitt gewesen ist, so stellte er an den Universitäten eine Art Einübung der Diktatur dar und ging mit Eingriffen in die universitäre Autonomie voraus, die bis dahin in dieser Form nicht bekannt waren. Der Austrofaschismus wirkte an den Universitäten aber noch in ganz anderer Weise nach: Nämlich nach Kriegsende, in der Zweiten Republik. Tatsächlich prägten etliche universitätspolitische Protagonisten der Jahre 1933 bis 1938 die österreichische Hochschulpolitik bis in die späten 1960er Jahre: Otto Skrbensky, nach 1934 zuständig für die politischen „Disziplinierungen“ von Studierenden an den österreichischen Hochschulen, war von 1945 bis 1953 Sektionschef im Unterrichtsministerium. Die diktatorisch eingesetzten austrofaschistischen Studentenführer Heinrich Drimmel und Josef Klaus wurden gar Unterrichtsminister (1954-1964) bzw. Bundeskanzler (1966-1970). Und der letzte Justizminister im Austrofaschimus und ordentlicher Professor für Staats- und Verwaltungsrecht, Ludwig Adamovich Senior, wurde am 1. Mai 1945 erster Rektor der Universität Wien nach dem Zweiten Weltkrieg.