Frauen in der Wissenschaft

Habilitation | Professuren | Funktionen
20. Jhdt.–20. Jhdt.

Als im Jahr 1897 die ersten ordentlichen Studentinnen an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien immatrikulierten, fand auch die erste Promotion einer Frau zur Doktorin der Medizin statt. Gabriele Possanner von Ehrenthal hatte bereits in Zürich und Genf studiert und im Jahr 1894 promoviert. Obwohl Frauen an der Universität Wien zum Medizinstudium noch nicht zugelassen waren, wurde ihr gestattet, erneut alle Prüfungen zu den Rigorosen abzulegen. Damit wurde sie zur ersten an der Universität Wien promovierten Frau und zur ersten Doktorin in der österreichisch-ungarischen Monarchie.
Dies waren zwar die ersten wichtigen Schritte in die Institution Universität – ihren Platz in den Wissenschaften mussten Frauen sich aber erst erobern.

Pionierinnen

Ein besonderes Zeichen dafür setzte die erste Habilitation einer Frau an der Universität Wien, die im Jahr 1907 erfolgte, als die Romanistin Elise Richter, eine der ersten Studentinnen und Doktorinnen, entgegen aller Bedenken, ob es Männern zumutbar sei, von einer Frau unterrichtet zu werden, die venia legendi erhielt. Elise Richter in ihrer Autobiografie: „…ich war mir bewusst, daß von dem ersten Eindruck der Maturantin, der Studentin, der Dozentin, viel abhing. Ich gab den Frauenrechtlerinnen das erste Beweisstück […]“.

Bis zum Jahr 1938 folgten dieser Verleihung zwölf weitere Habilitationen von Wissenschafterinnen. 1921, 14 Jahre nach der ersten Habilitation einer Frau, wurde der Germanistin Christine Touaillon die venia verliehen. 1923 erhielt die Psychologin Charlotte Bühler, die bereits von der Technischen Hochschule Dresden im Jahr 1920 habilitiert worden war, als dritte Frau die Lehrbefugnis der Universität Wien. Von den 1930er bis zu den 1950er Jahren ist dann in etwa eine Habilitation pro Jahr zu vermerken, von Geisteswissenschafterinnen ebenso wie von Naturwissenschafterinnen.

Vor allem durch den Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Österreich im März 1938 ist jedoch – analog zu der Vertreibung der ersten Studentinnen – eine vehemente Zäsur in der Entwicklung von Frauen in der Wissenschaft zu verzeichnen. Elise Richter wurde nach Theresienstadt deportiert und kam dort im Jahr 1942 ums Leben. Charlotte Bühler entschied, – sie befand sich zur Zeit des „Anschlusses“ im Ausland –, nicht mehr zurückzukehren. Mehr als die Hälfte der Habilitierten und damit des hoch qualifizierten weiblichen Nachwuchses aller Fakultäten sah sich durch das NS-Regime genötigt, die Institution und das Land zu verlassen.

Die ersten ordentlichen Professorinnen

Die erste ordentliche Professur einer Frau an der Universität wurde im Jahr 1956 an die Physikerin Berta Karlik verliehen. Sie, die im Jahr 1937 die venia legendi erhalten hatte, war 1940 zur Assistentin, 1942 zur Dozentin ernannt worden. Dass die Ernennung zur ersten Ordinaria erst knapp ein halbes Jahrhundert nach der ersten Habilitation einer Frau erfolgte, ist nicht zuletzt auf die Wirkungsmacht des Nationalsozialismus zurückzuführen, der die Entwicklungen der Pionierinnen seit der Zulassung von Frauen zur Universität massiv und in spezifischer Weise unterbrochen hatte. Gleichzeitig hatten sich für nicht der Vertreibung Ausgesetzte – für Frauen wie für Männer – Gelegenheiten ergeben, da die Chancen, wissenschaftliche Hilfskraft oder Assistentin zu werden, durch die rassistischen Maßnahmen wie durch die Verluste durch im Zweiten Weltkrieg Gefallene stiegen. Im Jahr 1943 hatte sich das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung veranlasst gesehen, weitere Ausnahmeregelungen für Frauen zu schaffen, wodurch sich einer kleinen Reihe von Studentinnen in dieser Zeit weitere Qualifikations- und in der Folge Karriereschritte eröffneten.

In der Tradition und der Geschichte der Frauen an der Universität Wien verdeutlicht sich die Tragweite der Vertreibung durch das NS-Regime auf der personellen Ebene ebenso wie auf in der des wissenschaftlichen Denkens in paradigmatischer Weise, da hier besonders deutlich wird, dass tendenziell innovative, demokratische und freidenkerische Personen und Ansätze vertrieben und ermordet wurden.

Welche Spuren hinterließ dies in der Entwicklung nach 1945 auf der Ebene der Professorinnen? An der Philosophischen Fakultät wurde die klassische Archäologin Hedwig Kenner im Jahr 1942 habilitiert und 1961 zur Ordinaria der Lehrkanzel für Archäologie ernannt. Die Psychologin Sylvia Bayr-Klimpfinger, die nachweislich in der NSDAP engagiert war, wurde im Jahr 1967 mit dem neu geschaffenen Ordinariat für Pädagogische Psychologie betraut. Margret Dietrich, Theaterwissenschafterin, erhielt im Jahr 1966 das Ordinariat des in der NS-Zeit neu gegründeten Instituts für Theaterwissenschaft, in dem sie in dieser Zeit auch Assistentin war.
An der Juridischen Fakultät wurde Sibylle Bolla-Kotek im Jahr 1958 als erster Frau ein Ordinariat zuteil. Sie hatte 1947 die venia legendi erhalten. Die erste Ordinaria in der Medizin, Carmen Coronini-Kronberg wurde im Jahr 1965 ernannt. 1945 war ihr als „belasteter Nationalsozialistin“ im Sinne des „Verbotsgesetzes“ der Titel der außerordentlichen Professorin aberkannt worden, im Jahr 1948 ihre Entregistrierung erfolgt.
Margarethe Mecenseffy, promovierte Philosophin und Theologin, gilt mit dem Titel einer ordentlichen Professorin, der ihr 1965 verliehen wurde, als erste Ordinaria an der Evangelischen Fakultät. Die 1979 in Wien habilitierte und bereits eine ordentliche Professur in Zürich innehabende Susanne Heine übernahm dann im Jahr 1996 das Ordinariat für Praktische Theologie und Religionspsychologie und war damit war die erste berufene Professorin an die Evangelisch-Theologische Fakultät. An der Katholisch-Theologischen Fakultät wurde erst 1997 mit der Fundamentaltheologin Martha Zechmeister erstmals eine Frau habilitiert und mit der Sozialethikerin Ingeborg Gabriel die erste Frau zur Professorin ernannt.

Feministische Wissenschaft/erinnen

Mit der in den 1970er und 1980er Jahren aktiven StudentInnenbewegung sowie der neuen Frauenbewegung, einer expansiven Hochschulpolitik, der Erhöhungen des Hochschulbudgets, Studien- und Strukturreformen ist ein Modernisierungsschub zu verzeichnen, der auch die Demokratisierung der Universitäten vorantrieb. Junge Wissenschafterinnen trugen diese Vorstellungen in die Strukturen und Inhalte der Universität.
In der Folge des Internationalen Jahrs der Frau, das 1975 begangen wurde, schlossen sich Wissenschafterinnen aus unterschiedlichen, vorwiegend geisteswissenschaftlichen Disziplinen – Birgit Bolognese-Leuchtenmüller, Gertraud Diem-Wille, Waltraud Heindl, Hanna Schnedl-Bubenicek, Edith Specht, Ruth Wodak, die spätere erste Wittgenstein-Preisträgerin u.a.m. – zu der Autorinnengruppe Uni Wien zusammen und setzten mit der Publikation „Das ewige Klischee“ ein erstes wichtiges Zeichen im Bereich der Frauenforschung.
Die Naturwissenschaften sollten in der Biochemikerin Renée Schroeder, seit 1995 a.o. Professorin, – 2003 erhielt auch sie den renommierten Wittgenstein-Preis – , eine erste für die Förderung von Frauen in der Wissenschaft äußerst engagierte Professorin haben. Obgleich Frauen in universitären Strukturen wie in der Wissenschaft auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer noch Ausnahmeerscheinungen waren, waren ihre Anliegen nun von einem anderen Selbstverständnis getragen. Bezeichnenderweise waren sie in vielerlei Hinsicht immer noch Pionierinnen – als erste weibliche Professorinnen in diversen Fächern ebenso wie im Erklimmen weiterer Karriere- und Hierarchie-Ebenen – als erste Prodekaninnen, Dekaninnen und Vizerektorinnen. Im Jahr 2000 nahm Gabriele Moser als erste Frau die Position einer Vizerektorin an der Universität Wien ein.

Die Universität zählt zwar österreichweit zu denjenigen mit dem höchsten Prozentsatz an Frauen, die Professuren innehaben, das Phänomen der leaky pipeline, das Abnehmen des Frauenanteils in höheren Hierarchie-Ebenen, ist aber auch hier wirksam. Bei den Doktoratsstudierenden und –absolventinnen haben Frauen die 50 % Marke im Jahr 2010 bereits überschritten, im Bereich der  Habilitationen liegt ihr Prozentanteil jedoch nur mehr bei 37 % und bei den ProfessorInnen im Jahr 2013 bei rund 25 %. Obgleich sich die Universität Wien dezidiert zur im Entwicklungsplan festgehaltenen Antidiskriminierung und Geschlechtergleichstellung bekennt, zählen  Geschlechtergerechtigkeit, Diversität und Vielfalt also weiterhin zu den zu realisierenden Herausforderungen am Beginn des neuen Jahrtausends.

Doris Ingrisch

Zuletzt aktualisiert am : 05.03.2024 - 21:11

Ja