Nikolai Sergejewitsch von Trubetzkoy, o. Univ.-Prof. Dr. phil.

15.4.1890 – 25.6.1938
geb. in Moskau, Russland gest. in Wien, Österreich

Begründer der Phonologie

Ehrungen

Ehrung Titel Datierung Fakultät
Ehrentafel-Fakultät 1969 Philosophische Fakultät

Die Vorstände des Instituts für Slavische Philologie und Altertumskunde, Günther Wytrzens, Josef Hamm, František Václav Mareš, stellten am 12. November 1968 den Antrag an das Dekanat der Philosophischen Fakultät,

„daß der Name eines der größten Linguisten seiner Zeit möglichst noch heuer, im Jahre, in dem sich der Tag seines Todes zum dreißigsten Mal jährt, geziemend in die Ehrentafel der Philosophischen Fakultät der Universität Wien aufgenommen wird.“

„In Wien begann seine wahre Tätigkeit und volle Entfaltung. Hier wuchs er, neben Kretschmer und Havers, wie ein Gigant in die Höhe, und nur seiner persönlichen Bescheidenheit ist zuzuschreiben, daß er, wie so manche großen Männer, in seiner Wahlheimat zuerst nicht und dann erst spät erkannt wurde und – nach dem Tode (im Jahre 1938) – wohl verdientes Lob erntete.
Er war mit Mathesius, R. Jakobson, Karceviskij, Havránek und anderen einer der Gründer der Prager Linguistischen Schule. […] Die gesamte Phonologie wurde von seinen Ideen befruchtet und kennt ihm zu, das Grundlegende am Phonem samt seinen Unterscheidungsmalen und phonotaktischen Grenzen erkannt zu haben. Es ist kein linguistischer Kongress, kein linguistisches Symposion denkbar, nicht nur im slawischen oder im deutschen Sprachbereich, sondern auch in so entfernten Ländern wie Japan, wo man den Namen Trubetzkoy nicht kannte oder nicht nannte, zitierte.“
(Antrag der Vorstände des Instituts für Slavische Philologie und Altertumskunde: G. Wytrzens, J. Hamm, F.W. Mareš, 12.11.1968, in: Archiv der Universität Wien, Akademischer Senat S 222.51)

Daraufhin beschloss das Professorenkollegium der Philosophischen Fakultät am 13. Jänner 1969 einstimmig, die Aufnahme des Namens von Trubetzkoy beim Akademischen Senat zu beantragen. Der Senat stimmte dem Antrag in seiner Sitzung vom 25. Jänner 1969 einstimmig zu. Am 17. Februar 1969 wurde die Universitäts-Gebäudeverwaltung ersucht, die Gravierung zu veranlassen.

Denkmal Arkadenhof 1974 Philosophische Fakultät

Trubetzkoy, der Sohn eines Universitätsprofessors war und einer russischen Adelsfamilie entstammte, besuchte das 5. Staatliche Gymnasium in Moskau und inskribierte anschließend an der Universität Moskau, um Philosophie und Sprachwissenschaften zu studieren. Mit der Arbeit "Bildung des Futurums in den indogermanischen Sprachen" erhielt er 1913 das "Universitätsdiplom ersten Ranges" (1931 an der Universität Wien als Doktorat anerkannt), wonach er 1913/14 – als Stipendiat des Russischen Ministeriums für Unterricht – seine Studien an der Universität Leipzig fortsetzte. 1916 habilitierte er sich für Allgemeine und vergleichende Sprachwissenschaft und altindische Sprache an der Universität Moskau, wo er 1916/17 als Privatdozent tätig war. 1917 war er – als russischer Adeliger – gezwungen, vor der bolschewistischen Revolution zu flüchten, wobei er ab 1918/19 als "Staatlicher Dozent" mit einem Lehrauftrag bzw. als Supplent der Lehrkanzel für allgemeine und vergleichende Sprachwissenschaft an der Universität in Rostov am Don lehrte. Zugleich fungierte Trubetzkoy auch als Professor der privaten Frauenhochschule in Rostov sowie an der Lehrerbildungsanstalt in Novotscherkassk. 1920 ging er als Vertragsprofessor an die Universität Sofia.

Im Dezember 1922 erfolgte seine Ernennung zum ordentlichen Professor für slawische Philologie und zum (Mit-)Direktor des slawischen Seminars an der Universität Wien. Das Professorenkollegium hatte zuvor den Ordinarius an der Universität München Erich Berneker primo loco und den o. Prof. an der Universität Königsberg Reinhold Trautmann secundo loco vorgeschlagen. Die preußische bzw. bayerische Regierung konnte die Genannten durch Zugeständnisse allerdings zum Verbleib überreden. Trubetzkoy wurde außerdem zum Mitglied der Prüfungskommission für das Lehramt an Mittelschulen in Wien (als Fachexaminator für slawische Sprachen) bestellt.

Im März 1938 befand sich Trubetzkoy in sehr schlechtem gesundheitlichem Zustand, weshalb er nach dem "Anschluss" um seine Beurlaubung für das restliche Sommersemester 1938 ansuchte. Das Dekanat bewilligte sein Gesuch. Allerdings bestanden von nationalsozialistischer Seite auch generell Bedenken gegen ihn, was nicht zuletzt auf seine russische Herkunft zurückzuführen war. Trubetzkoys Schule in Wien war bei den Nationalsozialisten, so Irene Maria Leitner, "als russophil verschrien". Laut wikipedia soll er zudem einen kritischen Artikel über den Nationalsozialismus verfasst haben, wonach ihn die Gestapo verhörte und sein Archiv beschlagnahmte. [s. noch: Poljakov Fedor B. in: N. Trubetzkoys eurasische Vision, 315-414]

Indes teilte Trubetzkoys Frau dem Rektorat Ende März im Auftrag ihres Mannes mit, dass die zur Erbringung des "Ariernachweises" erforderlichen Dokumente in Russland verblieben seien und die Organisierung von Auszügen aus den Matrikelbüchern de facto unmöglich sei, da die meisten Kirchen nicht mehr existierten. Hinweise, wonach Trubetzkoy gemäß der "Nürnberger Rassengesetze" nicht als "Arier" galt, finden sich in den Akten jedenfalls nicht, wiewohl Tanzmeister behauptet, er sei "jüdischer Herkunft" gewesen.

Eine Enthebung gegen Trubetzkoy war Mühlberger zufolge bereits eingeleitet. Gleichwohl heißt es in einem Schreiben des Dekans der philosophischen Fakukltät, Viktor Christian, gegen Trubetzkoy seien zwar "an massgebender Stelle […] Bedenken […] hinsichtlich seiner politischen Zuverlässigkeit laut" geworden, von Maßnahmen gegen ihn sei jedoch abgesehen worden. Trubetzkoy verstarb am 25. Juni 1938 an einem Herzversagen. Noch im Monat davor hatte ihn die philosophisch-historische Klasse der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Amsterdam zum Mitglied gewählt.

Die Beschlagnahme von Trubetzkoys wissenschaftlichem Nachlass sollte indes auch nach Trubetzkoys Tod noch Thema sein. Die Hauptstelle Kulturpolitisches Archiv drängte im April 1939 auf eine Rückgabe der Materialien: In einem Schreiben vom April 1939 ist davon die Rede, dass eine "deutsche[n] wissenschafliche[n] Zeitschrift" einen Bericht zur Beschlagnahme veröffentlichen wolle und die Hauptstelle bei der französischen Schriftleitung lediglich einen Aufschub der Veröffentlichung erreichen konnte. Der Reichshauptstellenleiter verwies v. a. auf den ungünstigen Eindruck im Ausland, den ein solcher Bericht hervorrufen würde. Ob und wann eine Rückgabe erfolgte, ist nicht dokumentiert.

Trubetzkoy gilt als Begründer der Phonologie und erweiterte damit die Sprachwissenschaft um ein neues Teilgebiet. Er forschte v. a. zur russischen Volksdichtung, kaukasischen Sprachen und der Sprache der finno-ugrischen Völker Russlands.

Er war wirkliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Wien, Mitglied der ständigen Kommission für russische Dialektologie in Moskau, des Sprachwissenschaftlichen Vereins in Prag und der Sociéte Linguistique de Paris.

> Archiv der Universität Wien, Philosophische Fakultät, Personalakt 2065 (Issatschenko) und Personalakt 3479 (Trubetzkoy).
> Archiv der Universität Wien, Philosophische Fakultät, GZ 659-1937/38.
> Archiv der Universität Wien, Akademischer Senat, S 222.51 (Trubetzkoy: Ehrentafel, Gedenktafel).
> Bundesarchiv Berlin, NS 15/35, MF 88353.
> Österreichisches Staatsarchiv/Allgemeines Verwaltungsarchiv, Bestand Unterricht, Personalakt Trubetzkoy.
> Austria Lexikon

Andreas Huber

Zuletzt aktualisiert am 17.01.2024 - 21:51

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