Ottokar Lorenz, o. Univ.-Prof. Dr. phil. h.c.

17.9.1832 – 13.5.1904
geb. in Iglau, Mähren | Jihlava, Tschechische Republik gest. in Jena, Deutschland

Funktionen

Dekan*in Philosophische Fakultät 1867/68
Rektor Philosophische Fakultät 1880/81

Ottokar Lorenz, Sohn des Gymnasialdirektors Anton Lorenz, absolvierte das Gymnasium in Olmütz und nahm 1851 ein Studium an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien auf. Zu seinen Lehrern zählten unter anderem der Klassische Philologe Hermann Bonitz, der Philosoph Franz Lott – dessen Tochter Maria er 1862 heiraten sollte – sowie die Historiker Heinrich Wilhelm Grauert, Albert Jäger und Josef von Aschbach. 1854 bestand Lorenz die Lehramtsprüfung für Geschichte und Geografie. Im Studienjahr 1855/56 zählte er zu den Mitgliedern des ersten Ausbildungslehrgangs des neugegründeten Instituts für österreichische Geschichtsforschung. Ohne Promotion, jedoch aufgrund erster historischer Forschungsarbeiten und der Fürsprache seiner Lehrer Aschbach und Jäger wurde Ottokar Lorenz 1856 für das Fach Geschichte an der Universität Wien habilitiert. Zeitgleich wurde er als Gehilfe an der Universitätsbibliothek tätig, bis er 1857 eine Anstellung als Beamter am Haus-, Hof- und Staatsarchiv fand. Hier widmete er sich besonders Studien zu Geschichte und Quellen des Hochmittelalters, zur Pragmatischen Sanktion sowie der österreichischen Geschichte ab 1815.

1860 erfolgte Ottokar Lorenzʼ Ernennung zum außerordentlichen Professor für Österreichische Geschichte an der Universität Wien. Nach Ablehnung einer Berufung an die Universität Freiburg im Breisgau, wurde er 1861 zum Ordinarius für Allgemeine und Österreichische Geschichte ernannt. Daneben war er zunächst weiterhin als Beamter am Staatsarchiv tätig.

Neben Forschung und Lehre war Ottokar Lorenz publizistisch äußerst aktiv und verfasste etwa im Auftrag des Innenministers Alexander von Bach sowie des Staatsministers Anton von Schmerling politisch-historische Abhandlungen. Bisher ein Anhänger der österreichischen Reichsidee, vertrat er jedoch kurz vor Schmerlings Rücktritt und vor der Verfassungssistierung in einem Leitartikel in der „Presse“ vom 14. März 1865 eine kritische Haltung gegenüber dem Vorgehen der Regierung. Da Kaiser Franz Joseph sich durch den Artikel persönlich angegriffen fühlte, wurde Lorenz als Archivmitarbeiter suspendiert, ein eigens eingeleiteter Presseprozess wegen „Verbrechen der Störung der öffentlichen Ruhe“ wurde jedoch im Juli 1865 eingestellt.

Wissenschaftlich befasste sich Lorenz in den 1860er- und 1870er-Jahren vor allem mit deutscher und österreichischer Geschichte im Spätmittelalter und veröffentlichte dazu zwei seiner Hauptwerke, 1863 bis 1867 das zweibändige Werk „Deutsche Geschichte des 13. und 14. Jahrhunderts“ (1863/1867) und „Deutschlands Geschichtsquellen seit der Mitte des 13. Jahrhunderts“ (1870). Neben der 1871 mit Wilhelm Scherer publizierten „Geschichte des Elsasses“ erschienen zudem kürzere Arbeiten zur Mittleren und Neueren Geschichte.

Lorenz, der seit 1870 Mitdirektor des philologisch-historischen Seminars an der Universität Wien war, zählte zu den wichtigsten Mitarbeitern des Instituts für österreichische Geschichtsforschung. Er gehörte seit 1860 der Akademie der Wissenschaften in Wien als korrespondierendes, seit 1877 als wirkliches Mitglied an (ab 1885 wieder korrespondierendes Mitglied). 1867 wurde ihm das Ehrendoktorat der Philosophischen Fakultät der Universität Königsberg verliehen. Er gehörte dem Gelehrtenausschuss des Germanischen Museums in Nürnberg sowie dem Beratergremium der Allgemeinen Deutschen Biographie an.
An der Universität Wien wurde Ottokar Lorenz für das Studienjahr 1867/68 zum Dekan der Philosophischen Fakultät und 1880/81 zum Rektor gewählt.

Als Friedrich Masssen 1883 als Rektor der Universität Wien für die tschechischen Schulen in Wien und Niederösterreich eintrat und damit langanhaltende Proteste der deutschnationalen Studenten sowie Professorenkollegen auf sich zog, ergriff Ottokar Lorenz klar für ihn Partei. Die Kritik an den studentischen Aktionen gegen Maassen sowie an der Untätigkeit von Rektor Karl Wedl brachte wiederum Lorenz massive Anfeindungen von deutschnationaler Seite ein.

Aufgrund der zunehmend feindlichen Stimmung in Wien nahm Lorenz 1885 eine Berufung an die Universität Jena – auf Vermittlung von Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg-Gotha – an. Hier fungierte er im Wintersemester 1892 als Rektor.
In Jena befasste er sich wieder mit der Neuesten Geschichte und veröffentlichte 1896 „Staatsmänner und Geschichtsschreiber des 19. Jahrhunderts“ sowie 1902 „Kaiser Wilhelm und die Begründung des Reiches von 1866 bis 1871“. Besonders aber widmete er sich im Allgemeinen den Problemen, Zielen und Methoden der Geschichtswissenschaft sowie den historischen Hilfswissenschaften. Leopold von Ranke folgend strich er die Bedeutung der Generationen für die geschichtliche Periodisierung hervor und befasste sich davon ausgehend im Besonderen mit der Genealogie. Mit seinen Publikationen „Genealogische Hand- und Schulatlas“ (1892, später unter dem Titel „Genealogisches Handbuch der europäischen Staatengeschichte“) und „Lehrbuch der gesamten wissenschaftlichen Genealogie“ (1898) gilt er als Begründer der wissenschaftlichen Genealogie.

Werke (Auswahl)

Die Erwerbung Oesterreichs durch Ottokar von Böhmen. Ein Beitrag zur österreichischen Geschichte, 1857.
Ottokar II. von Böhmen und das Erzbisthum Salzburg 1246–1260, 1860.
Joseph II. und die belgische Revolution: nach den Papieren des General-Gouverneurs Grafen Murray 1787, 1862.
Deutsche Geschichte im 13. und 14. Jahrhundert, 2 Bände, 1863/67 (Band 1 | Band 2).
Geschichte König Ottokars II. von Böhmen und seiner Zeit, 1866. 
Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter von der Mitte des 13. Jahrhunderts, 1870 (3. Auflage, 2 Bände, 1886/87, Nachdruck 1999). 
gem. mit Wilhelm Scherer: Geschichte des Elsasses von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart, Bilder aus dem politischen und geistigen Leben der deutschen Westmark, 1871 (3. Auflage 1886). 
Papstwahl und Kaiserthum, eine historische Studie aus dem Staats- und Kirchenrecht, 1874.
Die Politik als historische Wissenschaft (Inaugurationsrede), 1881.
Die Geschichtswissenschaft in Hauptrichtungen und Aufgaben, 2 Bände, 1886–91;
Genealogischer Hand- und Schulatlas, 1892 (3. Auflage: Genealogisches Handbuch der europäischen Staatengeschichte, 1908).
Staatsmänner und Geschichtschreiber der 19. Jahrhunderts, 1896.
Lehrbuch der gesammten wissenschaftlichen Genealogie, 1898. 
Kaiser Wilhelm und die Begründung des Reiches 1866 bis 1871, nach Schriften und Mitteilungen beteiligter Fürsten und Staatsmänner, 1902.

Katharina Kniefacz

Zuletzt aktualisiert am 02.04.2024 - 22:52

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