Das Rektorsamt an der Universität Wien
An der Spitze der Gesamtuniversität stand seit ihrer Gründung 1365 der Rektor. Seine Wahl und einige seiner Aufgaben wurden bereits in der Gründungsurkunde definiert, unterlagen jedoch seitdem mannigfachen Änderungen. Vor allem in Zeiten staatlicher Kontrolle und eingeschränkter Autonomie war der Gestaltungsspielraum sehr begrenzt.
Dies änderte sich 2004 mit dem Wirksamwerden des neuen Universitätsgesetzes (UG 2002). Seitdem bildet das Rektorat, bestehend aus dem Rektor und den Vizerektor*innen, jenes Organ, dem die Leitung der Universität anvertraut ist. Es entwirft die strategischen Leitlinien, welche im Entwicklungsplan, den Leistungsvereinbarungen mit dem Bund und den internen Zielvereinbarungen festgeschrieben werden, und verfügt über die Personal- und Budgethoheit der Universität.
Dass der Rektor als ihr oberster Vertreter die Universität nach außen vertritt, war seit ihrer Gründung eine Konstante der universitären Verfasstheit. Er stand im Mittelalter an der Spitze der universitas magistrorum et scholarium, führte öffentliche Auftritte der universitären Gemeinschaft an, etwa im Rahmen von Prozessionen, und leitete die mittelalterliche Universitätsversammlung sowie die Sitzungen des Konsistoriums (von 1873 bis 2000 des Akademischen Senats). Obwohl er in der frühen Neuzeit eine quasi fürstliche Stellung beanspruchte, und von 1791 bis 1918 sogar der niederösterreichischen Ständeversammlung angehörte, waren seine Befugnisse und Gestaltungsspielräume durch Statuten und staatliche Gesetzgebung zeitweise stark eingeschränkt.
Den markantesten Unterschied in den rektoralen Befugnissen im Vergleich zur Neuzeit bildete sicherlich die akademische Gerichtsbarkeit. Damit in enger Verbindung stand die Führung der Universitätsmatrikel, die neben Szepter, Talar, Siegel etc. zu den Insignien des Rektorsamtes gezählt wurde. Alle dort verzeichneten Personen bildeten die universitäre Rechtsgemeinschaft. Zur Aufnahme in diesen Personenverband (Immatrikulation) war die Eidesleistung vor dem Rektor Voraussetzung.
Ebenfalls mit der universitären Gerichtsbarkeit eng verbunden war die Aufgabe des Rektors, die universitären Privilegien zu verteidigen und durchzusetzen. Er war damit nicht nur Richter, sondern auch Schutzherr aller Universitätsangehörigen, deren vom Landesfürsten gewährte Privilegien (eigener Gerichtsstand, Befreiung von städtischen Abgaben etc.) immer wieder aufs Neue behauptet werden mussten.
Wahlmodi und Amtsdauer
Die freie Wahl des Oberhauptes galt vor allem in Phasen verstärkter staatlicher Einflussnahme auf die Universitäten als das hervorstechende Kennzeichen universitärer Autonomie. Der zur Wahl berechtigte Personenkreis und die Dauer der Amtsperioden variierten. Von der Universitätsgründung bis 1849 waren es die Vorsteher (Prokuratoren) der vier akademischen Nationen, die den Rektor der Universität Wien zu wählen hatten. Die Prokuratoren wiederum wurden unmittelbar vor der Rektorswahl durch die Nationsversammlungen gewählt, in denen auch Studenten stimmberechtigt waren. Von 1849 bis 1872 waren es von den Professoren- und Doktorenkollegien bestimmte Wahlmänner, die zur Rektorswahl berechtigt waren, und als seit 1873 die Doktorenkollegien nicht mehr der Universität angehörten, wurden die Wahlmänner ausschließlich durch die Professorenkollegien bestimmt.
Gemäß der Gründungsurkunde von 1365 musste der Rektor der Artistenfakultät angehören, eine Bestimmung, für die das Vorbild der Universität Paris maßgeblich war. Die Amtsperiode sollte ein Jahr umfassen. Aus den Jahren danach sind nur wenige Rektorennamen überliefert; bei diesen fällt jedoch auf, dass die geltenden Regelungen nicht immer beachtet wurden: So gab es auch Juristen unter den frühen Rektoren. 1384 wurde die Regelung der via facti geschaffenen Situation angepasst und verfügt, dass Angehörige aller Fakultäten wählbar seien. Sie sollten abwechselnd den Rektor stellen, doch konnte dieser Fakultätsturnus nicht immer eingehalten werden, und nach 1945 wurde er allmählich aufgegeben.
Von 1384 bis 1629 umfasste die Amtsperiode des Rektors nur ein Semester, was zwei Wahlen je Studienjahr erforderte. Danach galt eine Amtsdauer von einem Studienjahr. Erst durch das Universitätsorganisationsgesetz (UOG) 1975 wurde dies auf zwei Jahre verlängert. Mit dem UOG 1993 (an der Universität Wien im Jahr 2000 implementiert) und dem Universitätsgesetz (UG) 2002 wurde die Funktionsperiode auf vier Jahre festgelegt. Die genannten Gesetze brachten auch Änderungen im Wahlmodus: Nach UOG 1975 und 1993 war es die Universitätsversammlung, die aus Vertreter*innen der Professorenschaft, des Mittelbaus, der Studierenden und der sonstigen Bediensteten zusammengesetzt war, welche den Rektor wählte; gemäß UG 2002 erfolgt die Wahl durch den Universitätsrat aus einem vom Senat erstellten Dreiervorschlag.
Wer konnte Rektor werden?
Von 1873 bis 2000 mussten Rektoren aus dem Kreis der aktiven ordentlichen Professor*innen stammen. Dies prägte die Sicht auf die Vergangenheit so sehr, dass oft die Meinung vorherrscht, auch die Rektoren vor 1873 wären allesamt Professoren gewesen. Dies trifft jedoch nicht zu; unter Maria Theresia war es Professoren sogar verboten, akademische Funktionen zu übernehmen, da sie davon zu sehr von ihrer Lehrverpflichtung abgelenkt würden. Wählbar waren bis 1873 jedenfalls alle einer Fakultät angehörenden Doktoren.
Im Mittelalter galt auch Ehelosigkeit als Voraussetzung. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts kam es sogar vor, dass zwei Universitätsangehörige ohne akademischen Grad zu Rektoren gewählt wurden, was jedoch spezielle Gründe hatte: Es handelte sich um Friedrich von Teschen und Francesco Sforza - Söhne aus europäischem Hochadel, deren sozialer Status so überragend war, dass sie in der universitären Hierarchie niemandem nachgereiht sein durften. Im 17. und 18. Jahrhundert wurden häufig geistliche und weltliche Würdenträger zu Rektoren gewählt, die zwar dem Akademikerstand angehörten, jedoch nie ein Lehramt innehatten. Auch zwischen 1848 und 1873 kam es noch vor, dass Doktoren ohne Professur das Rektorsamt ausübten.
Obwohl es seit den 1950er Jahren auch ordentliche Professorinnen an der Universität Wien gibt, wurde erst im Jahr 2000 mit Gabriele Moser erstmals eine Frau als Vizerektorin in die Universitätsleitung gewählt.
Zuletzt aktualisiert am : 06.03.2024 - 20:37
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