Universitas semper reformanda
Die Geschichte von Universitätsreformen ist beinahe so alt wie die Geschichte der hohen Schulen selbst. Im Zentrum der häufig kontrovers geführten Auseinandersetzungen, die Reformprozesse begleiten und formen, steht die Frage nach den Zielen und Aufgaben von Universitäten, nach ihrer Rolle in der Gesellschaft und ihrem Verhältnis zum Staat. Entgegen dem gerne gebrauchten Bonmot, dass eine Universitätsreform Ähnlichkeit mit der Verlegung eines Friedhofes hätte, da mit der Mitwirkung der Betroffenen nicht zu rechnen wäre, haben sich Mitglieder des Lehrkörpers und Studierende sehr wohl in diese Diskussionen eingebracht, Forderungen erhoben und Anstöße gegeben. Dass es dabei kontroverse Standpunkte gab, die gelegentlich auch als Renitenz gedeutet werden können, ist bei Fragen, welche die historisch gewachsene Identität einer jahrhundertealten Institution berühren, kaum verwunderlich.
In Österreich blieben die Universitäten viele Jahrzehnte lang durch die Reformen des 19. Jahrhunderts geprägt. Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts setzte eine Dynamik ein, welche mit dem Universitätsgesetz 2002 eine radikale Neugestaltung unter dem Vorzeichen der universitären Autonomie zur Folge hatte.
Über achtzig Jahre lang, mit Ausnahme der NS-Zeit, wurden die Strukturen der österreichischen Universitäten durch das 1873 ergangene „Gesetz betreffend die Organisation der akademischen Behörden“ geprägt (OG 1873). Es hatte das provisorische Organisationsgesetz von 1849 abgelöst und beseitigte mit der Ausgliederung der Fakultäts-Doktorenkollegien aus dem Verband der Universität den letzten Überrest der mittelalterlichen Korporationsverfassung. Der nach 1848 eingeleitete Umbau zur „Ordinarienuniversität“ wurde dadurch definitiv; bis 1975 war die Leitung der Universitäten beinahe ausnahmslos Sache der Professoren. Die Universitäten waren dennoch unselbständige Staatsanstalten mit einem eingeschränkten autonomen Kompetenzbereich.
Reform als Konsolidierung des Bestehenden
Das OG 1873 stellte im Wesentlichen eine Wahl- und Geschäftsordnung für die akademischen Behörden dar, welches gegenüber dem provisorischen Organisationsgesetz von 1849 nur wenig Neuerungen brachte. Es bildete ein universitäres Grundsatzgesetz, welches in den Jahrzehnten nach seinem Inkrafttreten eine immer unübersichtlicher werdende Fülle an ministeriellen Verordnungen und Erlässen nach sich zog. Es wurde erst durch das Hochschulorganisationsgesetz (HOG) 1955 abgelöst, welches den durch eine Fülle von Einzelverfügungen bestehenden Ist-Zustand zusammenfasste. Die Zielrichtung des von der ÖVP geleiteten Unterrichtsministeriums und mancher Mitglieder der Professorenschaft war keine grundlegende Reform des Hochschulwesens, sondern eine Konsolidierung der Rechtsvorschriften mit stark restaurativer Tendenz. Die führende Rolle der Ordinarien blieb bestehen. Darüber hinaus klärte das HOG 1955 die Grenze zwischen staatlichem und autonomem Wirkungsbereich und die Kategorien der Lehrkräfte, schuf eine einheitliche akademische Terminologie und die gesetzliche Verankerung der Rektorenkonferenz.
Universitäre Mitbestimmung
Das Universitätsorganisationsgesetz 1975, welches unter der Ägide der Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg während der sozialistischen Alleinregierung beschlossen wurde, war die bis dahin einschneidendste gesetzliche Maßnahme seit 1849. Es griff die in den 1960er Jahren massiv vorgetragenen Forderungen der Studierenden und des universitären Mittelbaus nach Mitbestimmung an den Universitäten auf. Gegen den Widerstand vieler Ordinarien wurden diesen Gruppen nun Mitbestimmungsrechte zugestanden. Neben einer Professorenkurie wurden in den Gremien (Senat, Fakultäten, Institute) nun auch die Kurien für AssistentInnen und DozentInnen, Studierende und das allgemeine Universitätspersonal eingerichtet und in Entscheidungsprozesse eingebunden. Die Verwaltungsstruktur änderte sich gründlich; die neu geschaffene Universitätsdirektion wurde zum „langen Arm“ des Ministeriums. Die seit dem Mittelalter bestehende Fakultätsgliederung (mit Ergänzung der Evangelisch-theologischen Fakultät 1922) wurde erweitert: Aus fünf Fakultäten wurden durch Teilung der Rechts- und staatswissenschaftlichen sowie der Philosophischen Fakultät acht.
Die Forderung nach „Demokratisierung der Universitäten“ führte zu einer Gremienuniversität, in der Entscheidungsprozesse oft langwierig verliefen. Die Verwaltungsstrukturen waren zwar modernisiert worden, die Universitäten blieben jedoch Einrichtungen des Bundes, sowohl mit einem autonomen als auch einem übertragenen Wirkungsbereich. Die eigenständigen Gestaltungsmöglichkeiten in diesem Rahmen blieben jedoch gering.
Autonomisierung der Universitäten
Die Universität hatte sich in den 1970er Jahren der Gesellschaft gegenüber geöffnet, aber die staatlich kontrollierte und eingeengte Autonomie wurde immer stärker kritisiert. Die sich rasant verändernden Studienbedingungen einer Massenuniversität und die Anforderungen aus Wirtschaft und Politik, welche die Universitäten immer mehr als Motor der ökonomischen Entwicklung begriffen, führten ab den 1980er Jahren zu intensivierten Reformanstrengungen. Kritisiert wurden u.a. überholte und schwerfällige Leitungsstrukturen und fehlende wissenschaftliche Schwerpunktsetzungen. Das UOG 1993, das an der Universität Wien mit Beginn des Jahres 2000 umgesetzt wurde, brachte erste Schritte der Deregulierung und Autonomisierung, blieb jedoch ein Übergangsgesetz.
Das Universitätsgesetz (UG) 2002 (mit 1. Jänner 2004 wirksam) brachte eine völlige organisatorische Neuordnung. Die Rechtsstellung der Universität änderte sich grundlegend: Aus einer teilrechtsfähigen Anstalt des Bundes wurde eine vollrechtsfähige „juristische Person öffentlichen Rechts“ mit voller Rechts- und Geschäftsfähigkeit. Der Staat beschränkte sich auf die Rechtsaufsicht; Personal- und Budgethoheit lag nunmehr bei der Universität. Neu ist die Einsetzung eines Universitätsrates, welcher neben Rektorat und Senat zu den obersten Organen zählt. Die seit der Gründung 1365 bestehende Medizinische Fakultät wurde als „Medizinische Universität Wien“ neu begründet.
Die Reform brachte die Übertragung unternehmerischer Grundsätze auf die Leitung der Universitäten. Ziel war es, deren Handlungsfähigkeit so zu stärken, dass sie ihre Aufgaben in Forschung und Lehre strategisch gestalten und laufend verbessern können. Gemäß den Grundsätzen von „Public Governance“ und „New Public Management“ sollen diese Aufgaben nicht mehr durch staatliche Verordnungen, sondern auf Basis von Leistungsvereinbarungen zwischen Universität und Ministerium flexibel, leistungs- und qualitätsorientiert im autonomen Bereich umgesetzt werden. Die von der Universität zu erstellende Wissensbilanz dient dabei als Beobachtungs- und Steuerungsinstrument.
Zuletzt aktualisiert am 04.03.2024 - 20:59
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