Wilhelm Krelle, Univ.-Prof. Dr.
Ehrungen
Ehrung | Titel | Datierung | Fakultät | |
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Ehrendoktorat | Dr. rer. soc. oec. h.c. | 1970/71 | Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät |
Am 17. Juni 1971 wurden „aus Anlass der 100‐Jahrfeier der Österreichischen Schule der Nationalökonomie im Rahmen eines Carl Menger‐Symposions in Wien“ sechs Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie ausgezeichnet, darunter Wilhelm Krelle mit einem Ehrendoktorat: |
Die Ehrung wird 2022/23 als „problematisch“ eingestuft. Krelle kämpfte 1944 als Offizier im Generalstab des XIII. Korps der Waffen‐SS und 1945 als Erster Generalstabsoffizier in der 17. SS‐Panzergrenadierdivision. Nach der deutschen Wiedervereinigung war er "Abwickler" der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt‐Universität im ehemaligen Ost‐Berlin und legte gänzlich andere Anforderungen an die Vergangenheit der dortigen wissenschaftlichen Mitarbeiter, als er sie für sich und seine eigene Vergangenheit in Anspruch nahm.
- Wirtschaftswissenschaften
Wilhelm Ernst Krelle trat im April 1935 als 18-jähriger in die Wehrmacht ein. Während des Zweiten Weltkriegs befand er sich an mehreren Kriegsschauplätzen und war als Offizier der Wehrmacht u.a. an den Kämpfen am Balkan, in Griechenland und in Afrika beteiligt. Ab August 1944 kämpfte Krelle als Offizier im Generalstab des XIII. Korps der Waffen-SS, am 4. Jänner 1945 als Erster Generalstabsoffizier in der 17. SS-Panzergrenadierdivision „Götz von Berlichingen“. Er befehligte eine Truppenstärke von weit mehr als 10.000 Soldaten, lehnte es aber eigenen Angaben zufolge ab, Mitglied der Waffen-SS zu werden. Diese konnte bislang nicht nachgewiesen werden, auch wenn er Schriftstücke als SS-Sturmbannführer unterzeichnete. Im Dezember 1944 nahm er nicht an der Ardennenoffensive teil, die zum Malmedy-Massaker führte. In den letzten Kriegstagen wurde er zum SS-Obersturmbannführer ernannt. Seine Einheit war in Kriegsverbrechen verwickelt (z.B. Ermordung von geflohenen KZ-Häftlingen bzw. Zivilisten, die die weiße Flagge hissten). Gegen Mitglieder seiner Einheit wurde Anklage erhoben, nicht aber gegen ihn selbst. Wilhelm Krelle war kein Mitglied der NSDAP.
Akademische Laufbahn und Forschungstätigkeit
Nach Kriegsende inskribierte Wilhelm Krelle Wirtschaftswissenschaften und Physik an der Universität Tübingen, wurde allerdings im Sommersemester 1946 aufgrund seines hohen militärischen Ranges nicht mehr zugelassen und studierte ab diesem Semester an der Universität Freiburg im Breisgau weiter. 1947 promovierte er zum Dr. rer. pol. mit einer Arbeit über „Das Say’sche Theorem der Nationalökonomie“, die ganz dem die Nachkriegszeit dominierenden Keynesianismus verpflichtet war. 1949 folgte das Diplom in Physik. Wilhelm Krelle habilitierte sich 1951 an der Universität Heidelberg mit einer Arbeit zu „Mikroökonomischen Grundlagen einer Allgemeinen Theorie“ und erhielt die Venia legendi für Nationalökonomie. Nach einem Studienjahr (1953/54) als Rockefeller Fellow in den USA (u.a. an der Harvard University bzw. dem MIT), berief man ihn 1956 als außerordentlichen Professor für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an die Hochschule St. Gallen. Von 1958 bis 1981 lehrte er als ordentlicher Professor an der Universität Bonn.
Ab 1945 war in den westdeutschen Wirtschaftswissenschaften der Ordoliberalismus der Freiburger Schule der Nationalökonomie vorherrschend. Krelles Bestreben war es jedoch, die Bonner Wirtschaftswissenschaften neu auszurichten. Dabei knüpfte er an jene von ihm während seiner Zeit als Rockefeller Fellow in den USA kennengelernten Entwicklungen auf dem Gebiet der Wirtschaftstheorie anhand von mathematischen Methoden an und machte diese zu einem seiner Forschungsschwerpunkte. Er konnte insgesamt ein breites Spektrum abdecken: die Produktions-, Verteilungs-, Preis-, ebenso wie die Wachstumstheorie. Zu diesen Themenbereichen entwickelte er eine umfangreiche Publikationstätigkeit. 1960 fungierte Krelle als Dekan in Bonn. Durch eine gezielte Berufungsstrategie und eine sich ausweitende Anzahl an Ordinariaten der Wirtschaftswissenschaften konnte er in Bonn beispielsweise mit Martin Beckmann die Unternehmensforschung ansiedeln, für die er selbst bereits in St. Gallen erste Akzente gesetzt hatte. Bei Krelles Forschungsleistung an der Universität Bonn ist der Bereich der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung hervorzuheben. Das im Rahmen des „Sonderforschungsbereichs 21“ entwickelte „Bonner Modell“ machte sich die computerunterstützte Datenanalyse von makroökonometrischen Modellen für globale Wirtschaftsprognosen zur Aufgabe. Krelle wurde 1982 emeritiert und blieb noch bis zum Ende des Sonderforschungsbereichs 21 im Jahr 1984 an der Universität Bonn. „Kaum ein anderer hat nach dem II. Weltkrieg in der deutschen Nationalökonomie durch eigene Forschungen und durch seine Lehrtätigkeit ähnlich schulebildend gewirkt wie er.“ (zit. nach Borchardt, 2004, S. 315).
Wilhelm Krelle kam immer wieder nach Wien und hatte bereits am Institut für Höhere Studien und an mehreren Instituten der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät wissenschaftliche Vorträge gehalten. Im Wintersemester 1984/85 wurde Wilhelm Krelle zum Honorarprofessor für Nationalökonomie und Ökonometrie an der Universität Wien ernannt. Laut Vorlesungsverzeichnis las er zu „Ausgewählten Problemen der Wachstumstheorie (für Fortgeschrittene und Doktoranden)“.
Zu seinen weiteren Tätigkeiten zählt Krelles Funktion als politischer Berater u.a. im wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums der BRD. Selbst dem evangelischen Glauben tief verpflichtet, war er Mitglied der Kammer für soziale Ordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland, ein Sachverständigengremium aus Laien und Theologen.
Wilhelm Krelles Rolle bei der Abwicklung und Reform der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin 1991–1994
In der DDR lagen Marxismus und Leninismus der Lehre und Forschung zugrunde. Nach dem Fall der Berliner Mauer zählten auch die Wirtschaftswissenschaften zu den „ideologisch besonders belasteten“ Fächern. An der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften kam es zu einem radikalen Bruch mit bestehenden Strukturen. Wilhelm Krelle fungierte als Abwickler der alten, und Gründungsdekan der neuen Fakultät.
Das wissenschaftliche Personal der Wirtschaftswissenschaften an der Humboldt-Universität wies kurz nach dem Mauerfall 200 Personen auf. Alle Beschäftigungsverhältnisse wurden in befristete Verträge umgewandelt, wodurch bereits vor Einsetzung der Struktur- und Berufungskommission viele die Universität verließen. Rund 10 Personen konnte eine Tätigkeit als inoffizielle Mitarbeiter*innen des Staatssicherheitsdiensts nachgewiesen werden, was zur unmittelbaren Entlassung führte. Die von Wilhelm Krelle geleitete Struktur- und Berufungskommission nahm im April 1991 ihre Arbeit auf und hatte neben der strukturellen Erneuerung und Ausrichtung die Aufgabe, den künftigen Personalstand auf 100 (davon 34 Professuren) zu reduzieren und diese Posten neu zu besetzen. Die Mitglieder des ehemaligen Lehrkörpers konnten sich für diese Posten bewerben, von der ehemaligen Professorenschaft taten dies 10 Personen. Im Jänner 1993 wurde die Fakultät für Wirtschaftswissenschaften neu gegründet. Es verblieben 1994 zwei Professor*innen, die ihre Posten bereits 1989 innegehabt hatten. Für die verbleibenden Professuren wurden entsprechend den Entscheidungen der Struktur- und Berufungskommission vor allem ehemals westdeutsche Wissenschaftler*innen berufen. Wilhelm Krelle selbst lehrte vom Wintersemester 1991/92 bis zum Sommersemester 1994 Wirtschaftstheorie an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Als Studierende 1996 herausfanden, dass Krelle ab 1944 in der Waffen-SS kämpfte, kam es zu einem politischen Skandal. Der Senat der Humboldt-Universität entschied sich daraufhin gegen eine Aberkennung des 1994 verliehenen Ehrendoktorats an Krelle. Der eigens dafür eingesetzte Ausschuss kam aufgrund eines Gutachtens der Universität der Bundeswehr Hamburg zu dem Schluss, dass die Versetzung zur Waffen-SS nicht auf eigenen Wunsch geschehen sei und es keinen Nachweis gab, dass Krelle Mitglied der Waffen-SS gewesen sei. Die Öffentlichkeit stellte wiederholt in Frage, wie Krelle, dem trotz seiner Vergangenheit eine überaus erfolgreiche akademische Laufbahn möglich war, nach der Wende über Vergangenheit und Zukunft von Wissenschaftler*innen an der Humboldt-Universität aus der Zeit des Kommunismus urteilen konnte – eine Ideologie, die er bereits im Zweiten Weltkrieg bekämpft hatte. Die Unterschiede zwischen Kontinuitäten der Nachkriegszeit und Brüchen der Wendezeit treten in der Person von Wilhelm Krelle klar zutage.
Ehrungen
Wilhelm Krelle erhielt eine Vielzahl an Ehrungen: 1975 verlieh ihm die Bundesrepublik Deutschland das Bundesverdienstkreuz. Sechs Ehrendoktorwürden wurden ihm zuteil (in chronologischer Reihenfolge: Universität St. Gallen, Universität Wien, Universität Karlsruhe, Universität Münster, Universität Mannheim, Humboldt-Universität zu Berlin). Aus Anlass der 100-Jahr-Feierlichkeiten der Österreichischen Schule der Nationalökonomie beantragte das Professorenkollegium der Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien beim Akademischen Senat die Verleihung des Ehrendoktorats an Wilhelm Krelle (und Kenneth Joseph Arrow, sowie des Ehrensenators an August v. Hayek, Sir John Hicks, Fritz Machlup und Alexander Mahr) – ein Vorschlag, der sowohl von der Fakultät, als auch vom Akademischen Senat einstimmig angenommen wurde. Die Verleihung fand am 17. Juni 1971 im Rahmen des Carl Menger-Symposiums statt.
Werke (Auswahl)
- Das Say’sche Theorem der Nationalökonomie. Dissertation, Universität Freiburg im Breisgau 1948.
- Die „Neue Österreichische Schule“ in der Nationalökonomie. In: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 164, 1952, S. 454 –465.
- Theorie wirtschaftlicher Verhaltensweisen. Meisenheim am Glan: Anton Hain; 1953.
- Preistheorie. Tübingen: Mohr; 1961.
- Wachstumstheorie (gemeinsam mit Günter Gabisch). Berlin: Springer; 1972.
- Theorie des wirtschaftlichen Wachstums. Berlin: Springer; 1985.
- Economics and Ethics I. The Microeconomic Basis. Berlin: Springer; 2003.
Universitätsarchiv Freiburg, B 0057 Matrikelkarte Wilhelm Krelle
Universitätsarchiv Freiburg, B 0083/22 Antrag auf Inskription von Wilhelm Krelle im Sommersemester
1946
Universitätsarchiv Freiburg, B 0011/473 Promotionsakte Wilhelm Krelle
Universitätsarchiv Freiburg, D 0010/80 Promotionsurkunde Wilhelm Krelle
Universitätsarchiv Wien, Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1984/85
Universitätsarchiv Wien, Senat S 226.37 Wilhelm Krelle, Verleihung des Ehrendoktorats
Zuletzt aktualisiert am 23.01.2024 - 00:31