Alexander Mahr, Univ.-Prof. DDr.

31.1.1896 – 14.4.1972
geb. in Poppitz, Tschechische Republik gest. in Wien, Österreich

Ehrungen

Ehrung Titel Datierung Fakultät
Ehrensenator*in sen.h.c. 1970/71 Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät

Am 17. Juni 1971, einige Monate vor Mahr's Tod, wurden "aus Anlass der 100‐Jahrfeier der Österreichischen Schule der Nationalökonomie im Rahmen eines Menger‐Symposions in Wien" sechs Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie ausgezeichnet, vier mit dem "Ehrensenator der Universität Wien". Neben Alexander MAHR (1896–1972), als Inhaber des einschlägigen Nationalökonomie‐Lehrstuhls an der Rechts‐ und Staatswissenschaftlichen Fakultät, "QUI CATHEDRAM CAROLI MENGER OBTINENS PRAECIPUA SCHOLAE AUSTRIACAE PRINCIPIA CUM INVESTIGANDO TUM DOCENDO PROVEXIT" auch Friedrich August v. HAYEK (1899–1992), Sir John Richard HICKS (1904–1989) und Fritz MACHLUP (1902–1983). Weiters wurden in diesem Rahmen ein "Ehrendoktorat" für ihre wissenschaftliche Exzellenz verliehen an Prof. Kenneth ARROW (1921–2017) und Wilhelm KRELLE (1916–2004).

Die Ehrung wird 2022/23 aufgrund von Alexander Mahrs Involvierung in den Nationalsozialismus als „diskussionswürdig“ eingestuft. Bereits in den frühen 1930er-Jahren war Mahr Mitglied und aktiver Mitarbeiter, u.a. als Referent, im „Deutschen Klub“, dem elitären Bindeglied zur Nationalsozialistischen Bewegung. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich wurde er im September 1938 NSDAP‐Parteianwärter und 1941 als Mitglied aufgenommen. In seinem Antrag zur Ernennung zum „apl. Prof.“ 1939 bezeichnete er sich als „Opfer des österreichischen Staates“, da er während des Austrofaschismus gegenüber politisch genehmeren Kandidaten benachteiligt worden sei. Obwohl NSD-Dozentenbundführer Arthur Marchet Mahr als „politisch indifferent“ beurteilte, erhielt er mit massiver Unterstützung des Dekans Ernst Schönbauer, der Mahr „als Nationalen, der der Großdeutschen Volkspartei angehörte“, präsentierte, 1939 die Ernennung zum „Dozent neuer Ordnung“ und zum „außerplanmäßigen Professor für politische Ökonomie“ an der Rechts‐ und Staatswissenschaftlichen Fakultät Wien. Er hielt in der NS‐Zeit wirtschaftswissenschaftliche Vorlesungen und Übungen (u. a. über NS‐Gewerbepolitik und die NS‐Vierjahrespläne).
Nach Kriegsende 1945 wurde Alexander Mahrs Lehrbefugnis wegen NS-Belastung aufgehoben. Mahr stellte sich jedoch als im Nationalsozialismus politisch verfolgter „guter Österreicher“ dar. Die politische Beurteilung Marchets deutete er zu einem Nachweis seines inneren Widerstandes sowie seiner NS‐kritischen Haltung um. Seinen Eintritt in die NSDAP erklärte er mit „fortgesetzten Anfeindungen politischer Natur nach dem März 1938“ aufgrund seiner Mitarbeit in dem Ständestaat nahestehenden Organisationen wie der katholischen „Leo‐Gesellschaft“ oder der „Aktion Winter“. Trotz aller Widersprüche folgte die „Sonderkommission II“ der Universität Wien bei der Entnazifizierung Mahrs Ausführungen und hielt ihm zugute, dass er trotzdem „ursprünglich bis zu einem gewissen Grade für den Nationalsozialismus anfällig“ gewesen war, der der NS‐Ideologie aber doch nie zur Gänze verfallen sei. Mahr wurde im Herbst 1948 die Venia legendi wiederverliehen.

Funktionen

Senator Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 1964/65
Senator Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 1961/62
Senator Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 1962/63
Senator Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 1963/64
Senator Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 1966/67

Alexander Mahr studierte nach der Reifeprüfung (Matura) ab 1921 an der Universität Wien Germanistik, Skandinavistik und Philosophie und promovierte zum „Dr. phil.“. Anschließend studiert er Nationalökonomie und promoviert im März 1925 auch zum „Dr. rer. pol.“ an Universität Wien. 1926 bis 1928 absolviert er ein Postgraduate-Studium der Nationalökonomie in USA und England mithilfe eines Rockefeller-Stipendium. 1930 habilitierte er sich und war 1930-1938 Universitätsassistent bei Prof. Hans Mayer (1879–1955), dem Lehrstuhlnachfolger von Carl Menger und Friedrich von Wieser, ab 1936 mit dem Titel eines außerordentlichen Professors („Pd. tit.ao.Prof.“). 1938 wechselte er als wissenschaftlicher Referent an das Österreichische Statistische Zentralamt, wo er u. a. wesentlich an der Vorbereitung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung mitwirkte. 1950 kehrte er wieder an die Universität Wien zurück und wurde als Ordinarius für Politische Ökonomie berufen.

Er war seit 1956 Vorsitzender der Nationalökonomischen Gesellschaft in Wien und Vizepräsident des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, später Council Member der International Economic Association. Er war ebenso Herausgeber der Zeitschrift für Nationalökonomie in Wien, ferner Mitherausgeber der Metroeconomica und der Rivista Internazionale di Scienze Economiche e Commerciali. Von 1961 bis 1965 war er Senator der Rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät.

Alexander Mahr war der letzte klassische Vertreter der von Eugen von Böhm-Bawerk begründeten Österreichischen Schule der Grenznutzentheorie in der Nationalökonomie. Er übte allerdings mehr Kritik an einer starren mathematischen Festlegung des Grenznutzenniveaus. Er versuchte in seinem ganzen Werk, die Österreichische Grenznutzen-Schule als eigenständige Forschungsrichtung zu erhalten, aber auch gegenüber der Entwicklung anderer, konkurrierender Theorien die Prinzipien der von ihm als grundsätzlich richtig erkannten Orientierung beizubehalten. So weisen seine ökonomisch-theoretischen, aber auch zahlreiche wirtschaftspolitische Arbeiten die typisch „österreichischen“ psychologischen Elemente auf. Mahrs geldtheoretische und außenwirtschaftliche Untersuchungen hingegen sind bereits makro-ökonomisch konzipiert und damit aggregativ orientiert. Sein Lehrbuch „Volkswirtschaftslehre“ bot nach Jahrzehnten wiederum eine Gesamtdarstellung der ökonomischen Theorie aus „österreichischer Sicht“.

Er starb am 14. April 1972 in Wien.

Politische Einstellung

Der inhaltlich verdiente Wissenschafter stellte sich im jeweils aktuellen politischen Kontext als Opfer des vorangegangenen Systems dar unter bewussten Auslassungen, Überbewertungen und Uminterpretation biografischer Momente zur erfolgreichen Förderung seiner Karriere. So ist Mahr nach 1945 zeitlebens bemüht, sich selbst als unpolitisch bzw. sogar als Opfer des Nationalsozialismus darzustellen, und die wissenschaftliche Literatur übernimmt diese Selbstdarstellung lange. Erstmals wird diese Darstellung 1988/89 durch Oliver Rathkolb im Zuge der Aufarbeitung der Geschichte der Universität Wien im Nationalsozialismus kritisch hinterfragt. Er weist nach, dass Alexander Mahr Mitglied der „Schulz‐Bewegung“ war, die ursprünglich zur NSDAP in Österreich gehörte und schließlich zu ihr in Widerspruch geriet, und dass er bereits 1938 um Mitgliedschaft in der NSDAP ansuchte und 1941 als Mitglied aufgenommen wurde und als Leiter der wirtschaftlichen Abteilung des Österreichischen Statistischen Landesamtes (später Statistisches Amt für die Alpen‐ und Donau‐Reichsgaue) in der NS‐Zeit Vorlesungen in Graz hielt. 1992 und 2001 differenzierten Arbeiten von Elmar Zepitsch und Elmar Wiesmann Mahr als den „Typ des politisch unauffälligen 'Mitläufers', der sich gerne als Opfer des jeweils vergangenen politischen Systems darzustellen versuchte“. Er war bereits im September 1938 NSDAP‐Parteianwärter geworden und hat sich bei seiner Bewerbung um eine Stelle am Statistischen Landesamt sogar als NSDAP‐Mitglied ausgegeben und nicht nur als Anwärter bezeichnet, betonte aber nach 1945, er habe es nur getan um „fortgesetzten Anfeindungen politischer Natur nach dem März 1938“ zu entgehen aufgrund seiner Mitarbeit in dem Ständestaat nahestehenden Organisationen wie die katholische Leo‐Gesellschaft oder die Aktion Winter. Während er sich in seinem erfolgreichen Antrag zur Ernennung als „apl.Prof.“ 1939 als „Opfer des österreichischen Staates“ bezeichnete, da er „unter der Schuschnigg‐Regierung zweimal an sehr aussichtsreicher Stelle in Besetzungsvorschlägen genannt, aber jedesmal vom Unterrichtsministerium zu Gunsten von vaterländisch eingestellten Bewerbern übergangen“ worden sei – entwirft er sich in seiner Selbstdarstellung nach 1945 als im Nationalsozialismus politisch verfolgter „guter Österreicher“. Plötzlich wurde die Einschätzung des NS‐Dozentenbundführers Marchet über Mahr 1939 als „politisch indifferent“ zu einem Nachweis seines inneren Widerstandes ausgedeutet, und Marchets Frage, ob seitens der Fakultät die Notwendigkeit für eine Ernennung Mahrs zum apl. Prof. bestehe, da er andernfalls nicht zustimmen würde, wird von Mahr nach 1945 als Nachweis seiner NS‐kritischen Haltung bzw. drohender NS-Verfolgung dargestellt. Weggelassen wird nach 1945 die Unterstützung des Dekans der Juridischen Fakultät in der NS‐Zeit, Prof. Ernst Schönbauer, der Mahr „als Nationalen, der der Großdeutschen Volkspartei angehörte“, präsentierte und ihn auch sonst massiv unterstützt hatte. Nach seiner Ernennung zum „Dozent neuer Ordnung“ und zum „ausserplanmäßigen Professor für politische Ökonomie“ an der rechts‐ und staatswissenschaftlichen Fakultät Wien hielt er in der NS‐Zeit wirtschaftswissenschaftliche Vorlesungen und Übungen (u. a. über NS‐Gewerbepolitik und die NS‐Vierjahrespläne), über die er nach 1945 nicht mehr spricht und die auch in entsprechenden Auflistungen fehlen. Mahr war 1939 an erster Stelle für die Besetzung der Lehrkanzel für Volkswirtschaftslehre an der Technischen Hochschule Wien gereiht, das Berliner Reichserziehungsministerium entschied sich dann aber doch für einen anderen NS‐kompatiblen Ökonomen. Dies stilisiert Mahr nach 1945 als Beleg seiner Verfolgung „ganz offensichtlich aus politischen Gründen“ ohne dafür irgendwelche Belege anführen zu können. Seine Mitgliedschaft und aktive Mitarbeit u.a. als Referent in den frühen 1930er Jahren im berüchtigten „Deutschen Klub“, dem elitären Bindeglied zur Nationalsozialistischen Bewegung, streicht er in der Zeit des Nationalsozialismus besonders hervor, verschwiegt er aber nach 1945 gänzlich. Selbst seine 1938 beantragte und 1944 erworbene Mitgliedschaft in der NSDAP bzw. die Tatsache, dass er seinen Mitgliedsausweis Anfang 1945 nicht mehr abgeholt hat, konstruiert er nach dem Ende des Nationalsozialismus 1945 zu einer aktiven Widerstandshandlung um, dass er „seine Aufnahme als Mitglied der NSDAP sabotiert“ habe, nachdem ihm „eine kaum für möglich gehaltene Verschärfung ihrer [der NSDAP] Methoden und ihre Entartung“ bewusst geworden seien.

Trotz aller dieser Widersprüche folgte die „Sonderkommission II“ der Universität Wien bei der Entnazifizierung Mahrs Ausführungen und im Herbst 1948 wurde ihm die venia legendi wiederverliehen, die per 2. August 1945 wegen NS‐Belastung aufgehoben worden war und nahm im Sommersemester 1949 seine Vorlesungstätigkeit offiziell legitimiert wieder auf. Damit war auch der Weg frei, dass er am 10. September 1950 zum „ao. Prof.“ ernannt werden konnte und am 26. Februar 1952 als „o. Prof.“ seinem Lehrer Hans Mayer auf den Nationalökonomie‐Lehrstuhl nachfolgen konnte bis zu seiner Emeritierung 1967.

Nicht unerwähnt bleiben soll auch noch sein kaum vorhandenes Engagement, im Nationalsozialismus vertriebene Fachkolleg*innen nach 1945 wieder an die Universität Wien zurückzuholen – darin ganz dem Trend der Nachkriegsjahre entsprechend –, sowie sein fallweises Engagement für die Integration von Wissenschaftern aus der NS‐Zeit in die Juridische Fakultät nach 1945, z.B. seine Unterstützung für Prof. Felix Klezl, Exponent des Spann‐Kreises, den er im April 1955 nach seiner Emeritierung zum Honorarprofessor vorschlug und auch gegen zahlreiche Widerstände und Separatvoten durchsetzte.

Werke (Auswahl)

  • Monetary Stability, Chicago 1933.
  • Volkswirtschaftslehre. Einführung in das Verständnis volkswirtschaftlicher Zusammenhänge, Wien 1948.
  • Volkswirtschaftslehre. 2., wesentlich erweiterte Auflage, Wien 1959.
  • Der unbewältigte Wohlstand. Probleme der modernen Industriegesellschaft, Berlin 1964.
  • Gesammelte Abhandlungen zur ökonomischen Theorie, Berlin 1967.

Ehrungen

Mahr hat auch zahlreiche Auszeichnungen erhalten, war u.a. seit 1963 wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, erhielt 1966 das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse, und 1971 die Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt Wien in Gold.

Aus Anlass der 100‐Jahrfeier der Österreichischen Schule der Nationalökonomie im Rahmen eines Menger‐Symposions in Wien wurden am 17. Juni 1971 sechs Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie ausgezeichnet, darunter auch Alexander Mahr (1896–1972), als Inhaber des einschlägigen Nationalökonomie‐Lehrstuhls an der Rechts‐ und Staatswissenschaftlichen Fakultät „QUI CATHEDRAM CAROLI MENGER OBTINENS PRAECIPUA SCHOLAE AUSTRIACAE PRINCIPIA CUM INVESTIGANDO TUM DOCENDO PROVEXIT“ (Wortlaut Ehrendiplom)

Archiv der Universität Wien, Rektorat GZ 343 ex 1933/34, S 227.22 (=RA GZ 160/6 ex 1970/71), S 304.779, J PA 360, PH RA 5055.

Herbert Posch

Zuletzt aktualisiert am 23.01.2024 - 00:30

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  • Akademischer Senat der Universität Wien, Studienjahr 1964/65

    in Bildmitte Rektor Karl Fellinger , neben ihm Prorektor Albin Lesky die anderen Mitglieder des Senats: Walter Kornfeld , Gottfried Fitzer ,...

    BestandgeberIn: Archiv der Universität Wien, Bildarchiv UrheberIn: Foto Schikola, Wien VII. Signatur: 106.I.2099