Max Ferdinand Perutz, Dr. Dr. h.c.
Ehrungen
Ehrung | Titel | Datierung | Fakultät | |
---|---|---|---|---|
Ehrendoktorat | Dr. phil. h.c. | 1964/65 | Philosophische Fakultät |
|
- Chemie
Max F. Perutz wurde am 19. Mai 1914 in eine wohlhabende Wiener Textilindustriellenfamilie jüdischer Herkunft geboren, seine Erziehung war allerdings katholisch. Nach Absolvierung des elitären Theresianums studierte er ab 1932 an der Universität Wien. Perutzʼ hauptsächliche Leidenschaft galt damals allerdings dem Bergsteigen und Skifahren.
Zwei Jahre vor dem „Anschluss“ verließ Perutz Österreich für immer. Seine Dissertation wollte er in Cambridge schreiben, nachdem ihm ein Dozent von den dortigen bahnbrechenden Forschungen im Bereich Biochemie erzählt hatte. Perutz erhielt tatsächlich einen Studienplatz, musste dafür aber in den Bereich Röntgenkristallografie wechseln, der für ihn völlig neu war. Der 21-Jährige hatte mit dieser doppelten Veränderung mehrfach Glück: Sein Dissertationsthema – die Struktur des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin – sollte ihn mehr als 30 Jahre sehr erfolgreich beschäftigen. Vor allem aber habe er, wie er später immer wieder betonte, von der inspirierenden Umgebung in Cambridge – den dortigen Kollegen, ihrer Art des Denkens und Forschens – profitiert, die ihn zu einem der herausragenden Biochemiker des 20. Jahrhunderts werden ließ. In einem seiner späten Essays hielt er fest:
„Cambridge hat mich zu dem gemacht, was ich bin, nicht Wien.“
Immerhin sollte er in England wenigstens von seinen in Österreich erworbenen Fähigkeiten als Bergsteiger und Skifahrer profitieren: Er durfte noch vor dem Krieg an einer britischen Expedition in die Schweiz teilnehmen, wo er untersuchte, wie aus Schnee Gletschereis wurde. Und diese glaziologischen Kenntnisse wiederum qualifizierten ihn nach Kriegsausbruch dafür, am Projekt Habbakuk mitzuarbeiten, einem der obskursten militärischen Unterfangen des Zweiten Weltkriegs. Die Briten wollten im Rahmen dieses Projekts im Nordatlantik eine Art Riesenschiff aus einem Stoff namens Pykrete (einer extrem stabilen Mischung aus Eis und Sägespänen) bauen, das als gigantischer Flugzeugträger dienen sollte. Aus dieser schwimmenden Plattform mit über einem Kilometer Länge wurde zwar nichts, Perutz erhielt für die Teilnahme am Projekt Habbakuk aber immerhin 1943 die britische Staatsbürgerschaft.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs – Perutz hatte 1940 promoviert, 1942 geheiratet und war seit 1944 Vater einer Tochter – forschte er weiter nebenbei als Glaziologe und brachte es dabei zu einiger Bekanntheit. Seine wichtigste Leistung als Forscher war aber die Entschlüsselung der Struktur des Hämoglobins. Mindestens ebenso erfolgreich war er als Forschungsorganisator am Laboratory for Molecular Biology (LMB), das er von seinen Anfängen im Jahr 1947 an begleitet hatte und das zum Hauptschauplatz der Revolution in der Molekularbiologie werden sollte – mit Max Perutz als ihrem „Paten“.
1953 entwickelte Perutz eine neue Methode, um Proteinstrukturen zu entschlüsseln, indem man diese mit schweren Atomen markiert. Fast zeitgleich hatten die LMB-Mitarbeiter Francis Crick und James Watson die Struktur der DNA ermittelt. 1959 erstellte Perutz dann das erste dreidimensionale Hämoglobin-Modell, wofür er 1962 gemeinsam mit seinem Mitarbeiter John Kendrew, der die Struktur von Myglobin entschlüsselt hatte, den Nobelpreis für Chemie erhielt. Im gleichen Jahr erhielten Watson, Crick und Maurice Wilkins den Medizin-Nobelpreis.
Ebenfalls 1962 war das neue LMB-Gebäude eröffnet worden. Vorsitzender wurde Max F. Perutz, der von den ersten Anfängen der molekularbiologischen Abteilung an federführend mit dabei gewesen war und das Institut bis zu seiner Emeritierung 1979 leiten sollte. In dieser Zeit war das LMB das erfolgreichste Forschungsinstitut der Welt, zumindest gemessen an der Zahl der 15 Nobelpreisträger, die Institutsangehörige waren, und den weiteren zwölf Laureaten, die dort geforscht hatten.
Anfang Mai 1965 fanden die größten Feierlichkeiten der Universität Wien im 20. Jahrhundert statt: Österreichs älteste Hochschule beging ihr 600-Jahr-Jubiläum, und als einer der Höhepunkte sollten 30 Wissenschafter mit Ehrendoktoraten ausgezeichnet werden. Doch unmittelbar zuvor trübte ein Telegramm von Perutz die Vorfeierstimmung und brachte den damaligen Rektor gehörig in die Bredouille. Der Biochemiker aus Cambridge, der drei Jahre zuvor den Nobelpreis für Chemie erhalten hatte, zeigte sich in seinem Telegramm vom 4. Mai 1965
„beunruhigt über Bericht, dass früherer Nazi, der für Judenvernichtung eintrat, Ehrendoktorat erhalten soll. Wenn dies nicht befriedigend aufgeklärt wird, muss ich mit großem Bedauern zurücktreten und die Gründe dafür öffentlich bekanntgeben.“
Der Hintergrund für die Protestnote: Der deutsche Staatsrechtler Ernst Forsthoff war unter den 30 zu Ehrenden; 1933 hatte er in seinem Buch „Der totale“ Staat unter anderem geschrieben:
„Darum wurde der Jude […] zum Feind und musste als solcher unschädlich gemacht werden.“
Nach Perutzʼ Intervention und aus Furcht vor einem internationalen Skandal wurde Forsthoff postwendend ausgeladen – er erhielt den Dr. h. c. 1969 bei einem Hausbesuch nachgereicht.
Auch wenn Max F. Perutz nach seiner Emeritierung weiter am LMB arbeitete, begann er noch eine weitere Karriere als Essayist und schrieb für die „New York Review of Books“ regelmäßig Artikel über wissenschaftliche Bücher und Themen.
Ob seiner herausragenden Leistungen wurde Max F. Perutz mehrfach zum Namenspatron: Ein Gletscher in der Antarktis wurde ebenso nach ihm benannt wie eine Bibliothek am Vienna Biocenter und ein seit 2005 ebendort angesiedeltes Institut: die Max F. Perutz Laboratories, eine gemeinsame Einrichtung der Uni Wien und der Med-Uni Wien, die das sowohl Grundlagenforschung wie auch Lehre betreibt.
Am 23. Mai 2019 beging dieses Institut aus Anlass des 105. Geburtstags seines Namensgebers erstmals den Max Perutz Day, unter anderem mit einem Vortrag der Perutz-Biografin Georgina Ferry.
„Damit wollen wir einen Forscher würdigen, dessen Leben und Weg zum wissenschaftlichen Erfolg von vielen Herausforderungen geprägt war“, erklärt Institutsdirektor Arndt von Haeseler:
„Max Perutz hat Österreich 1936 verlassen, um in Großbritannien Möglichkeiten für seine Forschung zu finden, die ihm seine Heimat damals nicht geboten hat. Seine Biografie ist eine Erinnerung daran, dass Wissenschaft ein weltoffenes, internationales Umfeld braucht, in dem Spitzenleistungen möglich sind und das attraktiv für internationale Talente ist.“
Gekürzte Fassung des Artikels von Klaus Taschwer in: DER STANDARD, 17.5.2019
Zuletzt aktualisiert am 04.04.2024 - 20:41
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