Universität und Studium im Zweiten Weltkrieg

1939–1945

Als am 1. September 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg begann, traf dies die Universität Wien nicht gänzlich unvorbereitet. Bereits Monate, teils Jahre zuvor hatte man begonnen, sich auf mehreren Ebenen auf einen Kriegsfall vorzubereiten. Die anfängliche Kriegseuphorie zahlreicher Studierender und Lehrender wich jedoch spätestens nach der vernichtenden Niederlage bei Stalingrad Anfang 1943 zunehmender Ernüchterung. Besonders die Zeit gegen Ende des Zweiten Weltkrieges war von Einberufungen der männlichen Studierenden sowie des Personals und anderen kriegsbedingten Einschränkungen wie auch von mehreren Bombentreffern gekennzeichnet.

Austrofaschistische Vorbereitungen zur „Wehrhaftmachung“

Bereits ab Anfang der 1930er-Jahre hatten Organisationen wie das zur Heimwehr gehörende Studentenfreikorps Ferienlager veranstaltet, die den Mitgliedern eine militärische Ausbildung boten. Angesichts der wachsenden Bedrohung durch NS-Deutschland setzte im austrofaschistischen Österreich 1933/34 eine versteckte Aufrüstung ein, die auch die Hochschulen sowie ihre Studierenden betraf. So forcierte etwa das Amt für Leibesübungen an den Wiener Hochschulen im Rahmen seiner Sommerlager das Thema Luftschutz unter den Studierenden. In einem reich bebilderten Artikel führte 1934 Hugo Noll, Kommandant der Luftschutzlehrtruppe, im Mitteilungsblatt „Treibt Leibesübungen!“ aus, wie männliche sowie weibliche Studierende hier für den Fall einen zukünftigen bewaffneten Konfliktes eine Ausbildung im zivilen Luftschutz erhielten und praktische Übungen mit Gasmaske absolvierten.

Um die körperliche und geistige Wehrhaftmachung zu forcieren, führte das austrofaschistische Regime 1935 verpflichtende Hochschullager zur vormilitärischen und ideologischen Schulung der männlichen Universitätsstudenten ein, die 1936 und 1937 unter Leitung eines Offiziers des Bundesheeres abgehalten wurden. Nach der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht („Bundesdienstpflicht“) im April 1936 beschloss der Senat der Universität Wien zudem die Durchführung einer „Vortragsreihe über Luftschutz“, die im Sommersemester 1937 einmalig abgehalten wurde. Für den Fall eines Krieges und eine damit verbundene Mobilisierung der Wehrpflichtigen mussten ab Oktober 1937 auch alle schulischen und universitären Institutionen Anträge einbringen, welches Personal im Kriegsfall für die Aufrechterhaltung des geordneten Betriebes vom Militärdienst freigestellt werden sollte („unabkömmlich“).

Nationalsozialistische Organisation der Studierenden und Kriegsvorbereitungen

Nach dem „Anschluss“ im März 1938 verfolgte das nationalsozialistische Regime parallel zur nationalsozialistischen „Säuberung“ der Universitäten sowie der Eingliederung des Bundesheeres in die Wehrmacht auch die Militarisierung und Ideologisierung der verbliebenen Studierenden: Alle studentischen Organisationen wurden vom NS-Deutschen Studentenbund (NSDStB) übernommen oder aufgelöst, dieser wurde nun oberste Instanz aller studentischen Angelegenheiten und war nach dem „Führerprinzip“ organisiert. Der NSDStB bot den völkischen Studentenorganisationen eine legale Form der Weiterexistenz; manche Burschenschaften betrieben ihre freiwillige Selbstauflösung, andere Verbindungen bildeten wiederum als Kameradschaften eine Untergrundexistenz.

Die „arische“ Studentenschaft musste ab Oktober 1938 ihre „Opferbereitschaft“ als billige Arbeitskraft im verpflichtenden Arbeitsdienst unter Beweis stellen: Voraussetzung für ein Studium war – nach einer gesundheitlichen Pflichtuntersuchung – die Ableistung des Reichsarbeitsdienstes (RAD). Das 1938 eingerichtete Hochschulinstitut für Leibesübungen spielte durch die für alle Studierenden verpflichtenden Leibesübungen im Zeichen der „Auslese“ und „Wehrertüchtigung“ eine strategische Rolle. Die vielfältigen außerwissenschaftlichen Verpflichtungen durch Partei und Studentenführung (u. a. „studentischer Einsatz“ als nichtfachspezifische Hilfsarbeitskräfte, Landdienst, Erntehilfe, Fabriksdienst) führten zu einem allgemeinen Sinken des Studienniveaus. Auch nach der Vertreibung von über 2300 jüdischen Studierenden nahm die HörerInnenfrequenz kontinuierlich ab.

Ab Herbst 1938 wurden an den Universitäten die kriegsvorbereitenden Maßnahmen weiter forciert: Ein Luftschutzwart für das Hauptgebäude der Universität Wien sowie weitere Inspektoren für andere Gebäude wurden ernannt. Die Universitäten erhielten die Anweisung, Turnhallen auf Anforderung als Getreidelager bereitzustellen. Den bereits im Frühjahr 1939 durchgeführten Luftschutzkursen für Angestellte und einer großen Luftschutzübung folgten nach dem Luftschutzgesetz vom 23. Mai 1939 schließlich weitere Maßnahmen, besonders die Schaffung geeigneter Luftschutzkeller sowie Verdunklungsmaßnahmen. Ab Sommersemester 1939 mussten Studierende in ihrem letzten Studiensemester eine Vortragsreihe über Gaskampfstoffe und Luftschutz besuchen. Explizit für weibliche Medizinstudierende wurden im Deutschen Reich schon seit 1936 Ausbildungskurse für den Luftschutzsanitätsdienst angeboten.

Beginn des Zweiten Weltkriegs

Die eingeleitete Umstrukturierung wurde durch den Kriegsausbruch 1939 verstärkt betrieben: Bereits mit Sommer 1939 hatten die Einberufungen zum Wehrdienst von Assistenten, Hilfskräften, Hilfsärzten, Beamten, und anderen Angestellten sowie Studierenden der Universität Wien zugenommen. Als am 1. September 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg begann, war die Universität Wien also keineswegs unvorbereitet. Um den wissenschaftlichen Betrieb fortführen zu können, stellte die Universität ab September 1939 Listen von „unabkömmlichen“ Personen (Angestellten und Lehrpersonal) zusammen. Lehre und Forschung an der Universität Wien wurden für den „Endsieg“ instrumentalisiert und auf Kriegsbedürfnisse ausgerichtet (Kriegsmedizin, Kriegschemie, Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften, interdisziplinäre „Südostforschung“).

In den Kriegsjahren wurden männliche Studierende, aber auch vermehrt Lehrende der Universität Wien zum Dienst in die Wehrmacht eingezogen, während die übrige Studentenschaft zu Hilfstätigkeiten im „Kriegseinsatz“ verpflichtet wurde. Infolgedessen veränderten sich sowohl die Zusammensetzung der Studierenden als auch die Studienbedingungen. Im Zuge der Ausrichtung der Hochschulen auf die Kriegserfordernisse wurden Vergünstigungen und Prüfungserleichterungen für Kriegsteilnehmer erlassen, die dann sukzessive erweitert wurden. Um dem drohenden Akademikermangel entgegenzuwirken, wurde die Ausbildungszeit verkürzt, 1940 die Trimestereinteilung eingeführt – wegen fehlendem Erfolg und starker Kritik jedoch mit Wintersemester 1941/42 wieder aufgegeben –, besonders naturwissenschaftliche Fächer gefördert und für Frauen der Zugang zum Studium erleichtert.

Frauen, die schon vor 1939 vor allem in kulturwissenschaftlichen Studien stark vertreten waren, nahmen nicht nur relativ, sondern auch absolut stark zu. Daneben prägten vor allem Wehrmachtsangehörige – zum Studium abkommandierte bzw. beurlaubte Soldaten und Kriegsversehrte – das Bild der Studierenden. Studenten an der Front wurden zunehmend über Fernbetreuung mit Studienführern, wissenschaftlichen Einführungsschriften und anderem Unterrichtsmaterial in Form von „Soldatenbriefen“ postalisch betreut.

Ab 1940 verhandelte die Universität Wien auch über die Einrichtung eines eigenen Flugplatzes Reisenberg in Niederösterreich, auf dem das Hochschulinstitut für Leibesübungen einen Übungsbetrieb einrichten wollte. Luftschutzübungen und Sanitätskurse wurden für weibliche und männliche Angestellte durchgeführt.

Die letzten Kriegsjahre

Die Studien- und Forschungsmöglichkeiten waren bereits mit der 1943 begonnenen Auslagerung von Bibliotheks- und Archivbeständen in Schlösser im Umkreis von Wien und in der Hofburg sowie mit dem kriegsbedingten Papiermangel stark eingeschränkt. Ab Sommersemester 1944 waren Neuimmatrikulationen nur noch unter besonderen Bedingungen möglich und mit dem folgenden Halbjahr grundsätzlich gesperrt. Die Belastungen des Arbeitsdienstes, die Heranziehung der meisten Studierenden sowie auch zahlreicher Lehrender zum „totalen Kriegseinsatz“ machten spätestens 1944 einen geregelten Studienbetrieb unmöglich. Hinzu kamen Einschränkungen durch Nutzung von Teilen des Hauptgebäudes der Universität Wien für kriegswichtige Zwecke, erzwungene Kälteferien aufgrund fehlenden Heizmaterials sowie die zunehmenden Bombenangriffe. Im Zuge alliierter Luftangriffe hatten Universitätsgebäude im September 1944 erstmals Bombentreffer zu verzeichnen. Bis Kriegsende im April 1945 waren 30 Prozent des Baubestandes und 65 Prozent der Dacheindeckung des Hauptgebäudes durch insgesamt 26 Bombentreffer zerstört worden, darunter das Dekanat der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät sowie die angrenzende „Juristenstiege“. Auch die anderen Universitätsgebäude blieben von schweren Beschädigungen nicht verschont.

Der „totale Kriegseinsatz“ erreichte also spätestens im Wintersemester 1944/45 – als die alliierten Truppen bereits einen großen Teil Europas vom Deutschen Reich zurückerobert hatten –  die Universität Wien auch direkt. Durch die Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges sank die Zahl der Studierenden im Wintersemester 1944/45 auf den historischen Tiefststand des gesamten 20. Jahrhunderts mit 3.446; über 50 % der übriggebliebenen HörerInnen waren Frauen.

Nachdem gegen Ende des Krieges 1945 das gesamte Personal der Universität Wien zum „Volkssturm“ bzw. zum Luftschutzdienst herangezogen wurde, wurde die Universität letztlich gesperrt.

Bereits fünf Tage, nachdem am 10. April das Universitätsviertel durch die Rote Armee besetzt wurde, übergaben die Besatzungssoldaten das Hauptgebäude wieder an die Universität, Ende April erfolgte die Neukonstruierung der akademischen Behörden und Studierende entfernten den Schutt, um die rasche Wiederaufnahme des Studienbetriebs zu ermöglichen.

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