Die „Arisierung“ des Arkadenhofs

Die Beschädigung und Entfernung von „jüdischen“ Denkmälern im November 1938
1938

Die „Säuberung“ des Lehrkörpers und die Vertreibung jüdischer Studierender nach dem „Anschluss“ 1938 wurden durch die neu ernannten akademischen NS-Funktionäre mit Akribie und dem Bemühen, zumindest den Anschein von Legalität zu wahren, äußerst effizient vorangetrieben. Als Rektor Fritz Knoll bei der Amtsübergabe an seinen Nachfolger 1943 Bilanz zog, konnte er den erfolgreichen Vollzug dieser Maßnahmen vermelden.

In seinem Bericht unerwähnt blieb jedoch ein Ereignis, das viel weniger geordnet und ganz und gar nicht im Sinne des Rektors abgelaufen war: Die „Säuberung“ des Arkadenhofes von Denkmälern für jüdische Professoren – oder zumindest von solchen, welche von den Nazis dafür gehalten wurden.

Treibende Kraft hinter dem symbolischen Akt der damnatio memoriae für jüdische Gelehrte war der NS-Studentenbund an der Universität Wien mit seinem lokalen „Studentenführer“ Robert Müller. Dieser wurde bei Rektor Fritz Knoll im Jahr 1938 mehrfach vorstellig, um mit Nachdruck die Entfernung von „jüdischen“ Denkmälern aus dem Arkadenhof zu fordern.

„Jüdische Handbewegungen“

Als Begründung für die Dringlichkeit seines Anliegens diente die geplante „Langemarck-Feier“, welche am 11. November 1938 in der Aula der Universität Wien vor hochrangiger NS-Prominenz für den gesamten Hochschulstandort Wien abgehalten werden sollte. Einen Höhepunkt stellte die Live-Übertragung der Rundfunkansprache des Reichsstudentenführers Gustav Adolf Scheel vom Friedhof im belgischen Langemarck dar, die mithilfe von Lautsprechern auch bei der Wiener Feier in der Aula und im Arkadenhof zeitgleich verfolgt werden konnte. Die Präsenz jüdischer Gelehrtenköpfe bei diesem symbolisch und politisch hoch aufgeladenen Akt erschien den Nazi-Studenten so unerträglich, dass rasches Handeln dringend erforderlich wäre.

Insbesondere das Denkmal für den berühmten Anatomen Emil Zuckerkandl erregte die antisemitischen Gemüter, weil es durch seine angeblich „jüdischen Handbewegungen“ die Studierenden geradezu herausfordere, wie der Studentenführer darlegte.

Rektor Knoll hingegen hatte zunächst andere Prioritäten. Vorrang hatte die Frage, welche Mitglieder des Lehrkörpers aufgrund jüdischer Abstammung oder aus politischen Motiven entlassen und enthoben werden mussten. Die mit Akribie und Gründlichkeit durchzuführenden Erhebungen seien so beanspruchend, dass für die Prüfung der Denkmäler jetzt keine Zeit wäre. Auch im Falle der Denkmäler sollte vor deren Entfernung erst gründlich untersucht werden, welche der geehrten Personen tatsächlich jüdischer Abstammung wären.

Erst vehemente Vorhaltungen durch den Studentenführer veranlassten Knoll zu dem Versprechen, die von den NS-Studierenden namhaft gemachten Denkmäler ohne weitere Überprüfung kurz vor der Langemarck-Feier abtragen zu lassen.

Gewaltsame "Arisierung"

Doch kurz nach dieser Unterredung, am 5. November 1938, kam es zum Eklat. Ohne die zugesagten Denkmalsentfernungen abzuwarten, beschmierten und beschädigten NS-Studenten mit Wissen und Duldung der NS-Studentenführung zehn als jüdisch geltende Denkmäler im Arkadenhof der Universität Wien. Es handelte sich um jene für Joseph von Sonnenfels, Julius Wiesner, Heinrich Bamberger, Moriz Kaposi, Guido Goldschmiedt, Adolf Mussafia, Julius Glaser (das erste im Arkadenhof 1888 aufgestellte Denkmal), Ernst Fleischl von Marxow, Gustav Bickell und Emil Zuckerkandl. Letzteres, ein Werk des berühmten Bildhauers Anton Hanak, wurde sogar vom Sockel gestoßen.

Der Rektor fühlte sich brüskiert und zitierte den NS-Studentenführer zu sich, der die Verantwortung für das Geschehene ohne Weiteres eingestand, von den Vorhaltungen des Rektors allem Anschein nach jedoch wenig beeindruckt war. Rektor Knoll verfasste darüber einen ausführlichen Bericht an das Ministerium, in dem er sein Vorgehen rechtfertigte und sich in seiner bedächtigen Vorgangsweise bestätigt sah: Schließlich hatten die Studenten auch das Denkmal von Gustav Bickell geschändet, obwohl dieser gar kein Jude gewesen war. Dafür hätten sie andere Denkmäler übersehen, von denen die jüdische Abstammung der Geehrten längst bekannt sei.

Jedenfalls gab Rektor Knoll noch am selben Tag den Auftrag, alle von den Studenten geschändeten Denkmäler entfernen zu lassen, mit Ausnahme jenes von Gustav Bickell, welches restauriert werden sollte. Obwohl die von Knoll gewünschten gründlichen Erhebungen in so gut wie keinem Fall wirklich durchgeführt worden waren, gab er kurz darauf die Anweisung, auch die Denkmäler von Adolf Lieben, Eduard Hanslick, Carl und Anton Menger, Josef Unger, Karl Stoerk und Leopold Oser fachgerecht durch einen Steinmetz abtragen zu lassen. Erst 1939 wurde auch das Denkmal für Ludwig Mauthner entfernt.

Auch an anderen Universitätsstandorten wurden 1938 Denkmäler abgetragen, etwa jene von Eduard Suess (Institut für Geologie) und Josef Herzig (Chemisches Institutsgebäude, Währinger Straße 10). Ein weiteres Ehrenmal für Emil Zuckerkandl, eine 1914 angebrachte Gedenktafel im Anatomischen Institut, wurde ebenfalls demontiert.

Zeitliche Nähe zum Novemberpogrom 1938

Es ist wohl kaum ein Zufall, dass die „wilde Arisierung“ des Arkadenhofes zu einem Zeitpunkt stattfand, als gewaltsame Übergriffe gegen Juden und jüdisches Eigentum Ende Oktober und Anfang November 1938 wieder ein Ausmaß erreichten, das den chaotischen ersten „Anschluss“-Tagen des März 1938 ähnlich war. Diesmal jedoch waren die Übergriffe mehr von oben gesteuert und kulminierten in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November, als der nationalsozialistische Mob Synagogen in Brand steckte, Wohnungen und Geschäfte plünderte und Jagd auf jüdische Bürgerinnen und Bürger machte.

Mythos "Führeruniversität"

Mit diesem gewaltsamen Radau-Antisemitismus wollte die Professorenschaft der Universität Wien im Großen und Ganzen nichts zu tun haben. Die Entfernung von Juden aus der Universität und aus der Wissenschaft war bei Rektor Fritz Knoll als Ziel zwar unbestritten, es sollte jedoch alles mit Gründlichkeit und dem Anschein der Rechtmäßigkeit vonstattengehen. Die Denkmäler im Arkadenhof repräsentierten den hohen Anspruch und den Weltruf der Wiener Universität; mit diesem Erbe sollte nicht leichtfertig umgegangen werden. Die damnatio memoriae wurde daher an Handwerker zur fachgerechten Durchführung beauftragt und sollte nicht dem gewalttätigen Mob überlassen bleiben. Immerhin hatte diese Vorgangsweise den Effekt, dass alle beschädigten und entfernten Denkmäler nach der Befreiung von der NS-Herrschaft bis 1947 restauriert und wieder im Arkadenhof aufgestellt werden konnten.

Die „Arisierung“ des Arkadenhofes lässt den Mythos von der „Führeruniversität“ in einem etwas anderen Licht erscheinen: Der Rektor war keineswegs der unangefochtene Führer an seiner Universität, er musste sich vielmehr gegen konkurrierende Führerfiguren von NS-Teilorganisationen behaupten, was Fritz Knoll in diesem Fall mehr schlecht als recht gelang.

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