Die Bärenhöhle, eine geheime antisemitische Professorenclique der Zwischenkriegszeit

1918–1965

Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg gab es wiederholt Forderungen nach einem Numerus clausus für jüdische Studierende und Lehrende, deren Anteil auf jeweils zehn Prozent beschränkt werden sollte. Da dies dem in der Verfassung verankerten Gleichheitsgrundsatz widersprach, mussten die Antisemiten ihre Ziele anders durchsetzen. Bei den Lehrenden geschah dies durch entsprechende Netzwerke wie dem Spann-Kreis (an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät) oder der geheim operierenden „Bärenhöhle“ (an der Philosophischen Fakultät). Die Interventionen und Absprachen dieser Cliquen machten es ab Anfang der 1920er-Jahre so gut wie unmöglich, dass jüdische oder linke WissenschafterInnen an der Universität Wien habilitiert oder berufen wurden. Initiiert vom antisemitischen Paläontologen Othenio Abel gehörten der Bärenhöhle etliche prominente Geisteswissenschafter an, die sich auch gegenseitig protegierten und zum Teil auch nach 1938 und nach 1945 einflussreich blieben.

„[D]ass ich unsere antisemitischen Gruppen an der Universität so fest zusammengeschweißt habe, so dass wir eine feste Phalanx bilden, rechne ich mir wirklich zum Verdienst an, und wenn ich viel Zeit und Kraft dabei verloren habe und verliere, so hält mich das Bewusstsein dabei fest, dass diese Arbeit vielleicht ebenso nötig ist als Bücher zu machen“.

Diese Zeilen schrieb der renommierte Paläobiologe Othenio Abel in einem Brief Anfang 1923 an seinen Freund Pater Leonhard Angerer. Diese Textstelle ist eine der wenigen Hinweise auf eine geheim operierende Clique von antisemitischen Universitätsprofessoren, die vermutlich Othenio Abel gegründet hat.

Dieses einflussreiche geheime Netzwerk bestand aus rund 18 Professoren der Philosophischen Fakultät und operierte unter dem Decknamen „Bärenhöhle“ oder kurz B-H. Der Grund für den seltsamen Namen war, dass die konspirativen Treffen im damaligen paläontologischen Seminarraum (zwischen Stiege IX und VII im Hauptgebäude der Universität) stattfanden, wo unter anderem Abels Sammlung von Höhlenbären-Knochen aus der Drachenhöhle bei Mixnitz/Steiermark untergebracht war.

Antisemiten mit Einfluss

Zu den Teilnehmern der Bärenhöhle zählten vor allem einflussreiche Geisteswissenschafter wie Richard Meister, Oswald Menghin oder Heinrich Srbik, die auch – so wie Abel selbst – zeitweise Dekane und Rektoren waren; Srbik und Menghin fungierten sogar kurz als Unterrichtsminister. Diese Professoren ließen sich unter anderem in Habilitations- und Berufungskommissionen nominieren und mischten sich so und durch die Beeinflussung anderer Professorenkollegen in etliche Personalentscheidungen erfolgreich ein.

So dürften Abel und seine Geheimclique bereits 1922 eine wichtige Rolle dabei gespielt haben, dass der deutschnationale und antisemitische Geologe Karl Diener zum Rektor gewählt wurde. Diener war verantwortlich für die Errichtung des „Siegfriedskopfs“ und wurde unter anderem mit der Forderung bekannt, dass „der Abbau der Ostjuden heute im Programm jedes Rektors einer deutschen Hochschule einen hervorragenden Platz einnehmen [muss]“.

Verhinderung von Habilitationen und Berufungen

Auch den insgesamt 18 Teilnehmern der „Bärenhöhle“ ging es darum, jüdische und/oder linke ForscherInnen daran zu hindern, Karriere zu machen. Das gelang etwa bei den aufstrebenden Physikern Karl Horovitz oder Otto Halpern, die trotz bester fachlicher Qualifikationen nicht habilitiert wurden und bereits vor 1927 Österreich verließen. In der Biologie scheiterten auf Betreiben Abels unter anderem die jüdische Zoologin Leonore Brecher und ihr Kollege Paul Weiss 1926 mit ihren Habilitationsgesuchen. Auch sie emigrierten.

Mindestens so aussichtslos wie in der Physik und der Biologie war die Lage für jüdische ForscherInnen in den Geisteswissenschaften, wie etwa das Beispiel des Philosophen Edgar Zilsel zeigt, der bereits 1924 seine Bemühungen um die Venia legendi in Philosophie einstellte, nachdem zwei Teilnehmer der Bärenhöhle seine eingereichten Arbeiten negativ beurteilt hatten. Wegen der Aussichtslosigkeit ihrer Lage versuchten viele Nachwuchsforscher (wie etwa der Philosoph Karl Popper oder die Physikerin Marietta Blau) ab Ende der 1920er-Jahre erst gar nicht mehr, einen Antrag auf Erteilung der Lehrbefugnis zu stellen.

Gegenseitiges Protegieren

Damit sorgte Abel mit seinen Kollegen dafür, dass zumindest eine halbe Generation jüdischer und linker WissenschafterInnen an der Philosophische Fakultät lange vor 1938 kaum Chancen auf wissenschaftliche Karrieren an der Universität hatte. Umgekehrt wurden einige der Professoren, die ihre Berufung dem „Bärenhöhle“-Netzwerk verdankten, in diese Clique aufgenommen wie etwa Wilhelm Czermak (Ordinariat 1925) oder Robert Lach (Ordinariat 1927) und auch noch weiter protegiert.

So wurden bis 1939 bis auf den früh verstorbenen Historiker Gustav Turba sämtliche Teilnehmer der Bärenhöhle korrespondierende oder wirkliche Mitglieder der Akademie der Wissenschaften, 16 von 17 in der philosophischen-historischen Klasse. Zum Vergleich: Ab 1919 wurde dagegen kein einziger in Österreich tätiger Geistes- oder Sozialwissenschafter in diese Klasse zugewählt, der jüdischer Herkunft gewesen wäre.

1934 verloren einige der exponierten Nationalsozialisten dieser Kamarilla – wie Othenio Abel, Hans Uebersberger oder Viktor Christian – aus politischen Gründen ihre Professur. So manche der übrig Gebliebenen machten hingegen nach dem „Anschluss“ Karriere wie Heinrich Srbik (als Präsident der Akademie der Wissenschaften 1938 bis 1945), Oswald Menghin (als Kurzzeit-Unterrichtsminister 1938) oder Viktor Christian (als Dekan und Prorektor).

Nachwirkungen nach 1945

Nach 1945 schlug dann für andere ehemalige Teilnehmer dieses Kartells die große Stunde: Insbesondere Richard Meister trug unmittelbar nach Kriegsende als Prorektor, Rektor (1948/49), Vizepräsident und ab 1951 als Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) zu einer glimpflichen Entnazifizierung bei. Wenn seine ehemaligen Netzwerkkollegen zum Teil auch ihre Professur verloren, so wurden doch zumindest alle wieder in die ÖAW aufgenommen, die in den 1950er-Jahren unter Meisters Präsidentschaft zu einem Sammelbecken der akademischen „Ehemaligen“ avancierte.

Meister & Co. hatten naturgemäß wenig Interesse daran, dass nach 1945 jene emigrierten WissenschafterInnen nach Österreich zurückgeholt wurden, die sie zum Teil selbst weggeekelt hatten. Dass diese Remigration scheiterte, lag wohl auch an Verbindungen, die bis in die 1930er-Jahre zurückreichten. So etwa war der von 1954 bis 1964 amtierende Unterrichtsminister Heinrich Drimmel (ÖVP), der etliche ehemalige Nationalsozialisten wie Taras Borodajkewycz, Otto Höfler, Heinz Kindermann und Richard Wolfram berief, ein erklärter Schüler Richard Meisters und ließ sich von diesem in allen wichtigen (hoch-)schulpolitischen Fragen beraten.