Frauenstudium

1897–21. Jhdt.

Als sich im Studienjahr 1897/98 die Philosophische Fakultät als erste Teileinheit der Universität Wien für weibliche Studierende öffnete, waren seit ihrer Gründung bereits mehr als 500 Jahre vergangen.
Den Beginn machten drei Studentinnen, die Verhältniszahlen zu den Studenten lagen bei 1:183. Heute kann, obgleich je nach Disziplin unterschiedlich, tendenziell von einem 1:1 Gleichstand gesprochen werden. Zunächst ein Blick auf die Entwicklung in etwas mehr als einem Jahrhundert, in dem Frauen der Zugang zu dieser Universität als gesellschaftlich hoch angesehenen Bildungs- und Berechtigungs-Institution möglich war.

Wissenschaftlich ausgewiesen

Noch in den 1880er Jahren wurde die „zerebrale Unterkapazität“ von Frauen als wissenschaftlich ausgewiesenes Argument gegen ihre Zulassung zum Studium ins Treffen geführt. Die Leistungsfähigkeit einzelner Frauen wurde als Ausnahme betrachtet und davor gewarnt, sie auf die Allgemeinheit zu übertragen. Doch die Entwicklung war nicht mehr aufzuhalten. Die Zulassung von Frauen zur Medizinischen Fakultät folgte nur drei Jahre später, im Jahr 1900.
Dabei bot sich ein sprachlich und kulturell buntes Bild. Die Studentinnenschaft in dieser Zeit war nicht allein aus mehrheitlich deutschsprachigen Teilen der Monarchie zusammengesetzt, insbesondere im Bereich der Medizin hatten die Studentinnen aus Galizien diejenigen aus Wien weit überholt. Dieses Bild veränderte sich dann mit den politischen Entwicklungen, vor allem der 1930er Jahre. Von den belegten Fächern her ist eine Konzentration auf Philosophie gefolgt von Psychologie und Pädagogik festzustellen. Einerseits weil das philosophische Rigorosum verpflichtend für alle geistes- und naturwissenschaftlichen Doktoratsstudien war, andererseits, weil diese Fächer verpflichtend für alle Lehramtsstudien waren, die auch einen hohen Frauenanteil hatten.
1918/1919, dem Jahr, in dem Frauen in der neu ausgerufenen Republik Österreich auch das allgemeine Wahlrecht erhielten, fiel das Studienverbot für Frauen an der Juridischen Fakultät, deren Studium neben dem Zugang zu den juristischen Berufen auch Bedingung für fast alle höheren staatlichen Beamtenpositionen war. Etwas zeitversetzt gestattete die Evangelisch-Theologische Fakultät Frauen den Zugang im Jahr 1928, die Katholische Fakultät im Jahr 1945. Im europäischen Vergleich, so die Bilanz, war Österreich neben Preußen allerdings das letzte Land, das Frauen zum Studium zuließ.

Von 1:183 über 1:12 zu 1:3

Vor Beginn des Ersten Weltkrieges hatte sich das Verhältnis von weiblichen und männlichen Studierenden 1914 bereits auf 1:12 verschoben, im Studienjahr 1938/39 lag es bei 1:3.
Die ersten Studentinnen stammten aus dem Bildungsbürgertum und waren überproportional zu ihrem Anteil in der Bevölkerung mosaischen Bekenntnisses. Dieses die Pionierinnen unter den Studentinnen charakterisierende Phänomen hinterließ freilich auch in Zusammenhang mit der Umgestaltung der Universität nach dem Einmarsch Hitlers in Österreich 1938 seine Spuren. Von den insgesamt von der Universität vertriebenen Studierenden betrug der Anteil der als Jüdinnen verfolgten Studentinnen 24,4 %, jedoch schwanken die Prozentanteile je nach Fakultät. Die Philosophische Fakultät stellte mit knapp 59% aller Studentinnen diejenige mit dem größten Frauenanteil dar. Der Anteil der an der Philosophischen Fakultät vertriebenen Frauen lag mit 14% im Gegensatz zu 19% der männlichen Studierenden. An der Juridischen Fakultät waren 11,8 % der vertriebenen Studierenden weiblich, an der Medizinischen Fakultät 24 %, an der Philosophischen Fakultät sogar 46,3 %. Gleichzeitig jedoch stieg der relative Frauenanteil der Studierenden in der Zeit des Nationalsozialismus – ganz entgegen den ideologischen Zielsetzungen.

Zahlreiche Studierende fielen der Shoa zum Opfer, 25 weiblichen Studierenden der Universität Wien wurden in ein Konzentrations- und/oder Vernichtungslager deportiertund kamen dort um..

Verhältnisse zum Tanzen gebracht

Im Studienjahr 1945/46, bedingt durch die Folgen des Zweiten Weltkriegs und des Nationalsozialismus, lag die Relation von weiblichen und männlichen Studierenden an der Universität Wien bei 1,4:1. Im Studienjahr 1955/56 veränderte sich die Verteilung wieder zum Verhältnis 1:2,4.
Für die 1960er und 1970er Jahre bietet sich dann ein Bild, das durch die Bildungsexplosion eine neue Ausrichtung erhält, die „Verhältnisse zum Tanzen bringt“. Durch die Erleichterung des Zugangs für bis dahin bildungsfernere soziale Schichten begann der Anteil an weiblichen Studierenden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts exponentiell zu steigen. Im Wintersemester 1955/56 stehen 1.786 weibliche Studierende noch 4.206 männlichen Kollegen gegenüber, im Wintersemester 1980/81 gibt es mit 20.237 weiblichen und 21.111 männlichen Studierenden schon fast einen Gleichstand.
An der Jahrtausendwende, im Studienjahr 2000/01, waren es deutlich mehr weibliche Studierende, die ein Studium begannen. In absoluten Zahlen standen 15.718 weibliche 10.438 männlichen Kollegen gegenüber. Dies setzte sich auch auf der Ebene der AbsolventInnen fort. 3.640 weibliche Studierende und lediglich 2.231 männliche absolvierten ein Studium. Im Studienjahr 2012/13 manifestiert sich der Trend, dass Frauen die 50% Marke bereits durchaus  überschreiten. In den Diplom-/Lehramts-, Bachelor- und Master-Studien lag ihr Anteil bei rund 64%, in den Doktorats-Studien bei 54%. Der Frauenanteil der Absolventinnen in Doktorats-Studien kann jedoch bereits als erster Hinweis auf die leaky pipeline - das Abnehmen des Frauenanteils, je höher es in Hierarchie und Entlohnung hinaufgeht - gelesen werden, die auf die Strukturen und Praktiken verweist, welche es Frauen erschweren, die obersten Stufen der akademischen Karriereleiter zu erreichen.

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Doris Ingrisch

Zuletzt aktualisiert am : 26.08.2021 - 11:14