Das Hauptgebäude der Universität Wien an der Ringstraße

Die Renaissance trifft das 19. Jahrhundert
1884–2015

Seit dem Wintersemester 1884 ist das monumentale Hauptgebäude an der Ringstraße der offizielle Sitz der Universität Wien. Im Zuge der Revolutionsniederschlagung im Oktober 1848 hatte die Universität ihr früheres Hauptgebäude, die Neue Aula im Stubenviertel, verloren und ihre Institute waren seitdem über die Vorstädte verteilt. Erst nach 36 Jahren hatte die Universität Wien mit ihrem Neubau wieder ein zentrales Dach, unter dem geforscht und gelehrt werden konnte. Doch das „Haus“ einer Universität ist immer mehr als eine Behausung, denn es ist vor allem der Ort der realen Begegnung unter Lehrenden und Studierenden, also der Raum, in dem die Gemeinschaft, die universitas, überhaupt entstehen kann.

So wird die Architektur selbst zum Identifikationsraum der Institution. Dabei sind die Ansprüche, die von den verschiedenen Mitgliedern der Auftraggeber-Kommission an die möglichen Architekten gestellt werden, keineswegs einheitlich oder konstant. Der genaue Blick auf Hauptgebäude macht deutlich, welches (Selbst-)Verständnis der Universität sich hier widerspiegelt.

Standortsuche

Eine Rückkehr der potentiell aufständischen Studenten nach der Revolution von 1848 in die historisch belastete Neue Aula, als Ort des Mordkomplotts gegen den Kriegsminister Latour, war ausgeschlossen. So beschloss Kaiser Franz Joseph im Mai 1854 den Neubau eines Universitätsgebäudes. Doch bis zur Eröffnung im Oktober 1884 sollte die Alma Mater Rudolphina noch weitere 30 Jahre ohne Zentrum bleiben.

Da die Medizinische Fakultät während der provisorischen Unterbringung besonders von der Nähe zum Allgemeinen Krankenhaus profitierte, beauftragte der Unterrichtsminister im April 1854 die beiden Akademie-Professoren Eduard van der Nüll und August von Sicardsburg mit der Erstellung eines Universitätsentwurfs für eine Baulücke direkt bei der Schwarzspanierkirche. Auf diesem repräsentativen Bauplatz hätte die Hauptfassade der neuen Universität direkt über das Glacis zum Schottentor geblickt. An eine Aufgabe der Befestigungsanlagen und des unverbaubaren Glacis dachte zu diesem Zeitpunkt noch niemand.

Das ansteigende Gelände des Glacis vor dem Schottentor wollte sich jedoch im Jahr darauf ein anderer Architekt für seinen Monumentalbau zu Nutze machen. Der erst 26-jährige Schüler von Sicardsburg und Van der Nüll, Heinrich von Ferstel, hatte den Wettbewerb um die Votivkirche gewonnen und er wollte seinen Entwurf für diesen staatstragenden Bau zur besten Sichtbarkeit direkt auf diesem Terrain errichten.

Ganz im Sinne des von Thun-Hohenstein angestrebten „katholischen Charakters“ der Universität einigten sich die drei Architekten zunächst auf eine architektonische Verbindung von Universität und Kirche, bei der das Hauptgebäude einen Kranz um den Chor des Sakralbaus gebildet hätte. Doch auch diese civitas universitatis kam nicht zustande. Und das gesamte Bauvorhaben stagnierte wieder bis 1868, als schließlich Heinrich von Ferstel selbst mit Vorarbeiten für den Neubau beauftragt wurde.

Ferstel und der Palast der Wissenschaften

Doch auch Ferstel gelang auf dem unregelmäßigen Baugrund nicht auf Anhieb eine ästhetisch gelungene Kombination der beiden Institutionen. Erst mit der Aussicht auf den repräsentativen Platz direkt an der Ringstraße ab 1869 stürzte sich Ferstel mit neuer Begeisterung in die Planung, um nun der Universität ein angemessenes Bauwerk im Kontext der Prachtallee zu errichten. Während sich die ersten Skizzen stilistisch noch an den beiden Nachbarbauten Parlament und Rathaus orientierten, zielte der zweite Entwurf auf einen wuchtigen Monumentalbau, der sich ganz dezidiert auf Renaissance-Vorbilder bezog. Die wenigen erhaltenen Akten zur Stildebatte offenbaren, dass das Gebäude vom Grundriss über den Stil bis zur Ausstattung das Selbstverständnis einer deterministischen Wissenschaftsauffassung darstellt, die am Ende einen „Sieg des Lichts über die Finsternis“ versprach. So bemühte sich Ferstel, den Lichtgedanken in Architektur und Dekoration deutlich zu machen und gab dieses Thema auch für den Festsaal vor. Doch als um 1894 die Künstler Franz Matsch und Gustav Klimt mit dieser Aufgabe betraut wurden, mündete dies in einem der größten Kunstskandale des 20. Jahrhunderts, da sich zumindest Klimt bereits ein ganzes Stück von der Wissenschaftsauffassung des 19. Jahrhunderts entfernt hatte und er das deterministische Weltbild einer Vielzahl der Professoren nicht durch affirmative Allegorien stützen wollte.

Das Hauptgebäude im Wandel

Doch nicht nur die lange Planungs- und Baugeschichte des Hauptgebäudes macht deutlich, wie sich die funktionellen und repräsentativen Ansprüche in einem ständigen Wandel befinden, sondern auch der Blick auf die Transformationen im 20. Jahrhundert. So mussten sich das Bauwerk und sein Innenleben bis heute permanent an veränderte Bedürfnisse anpassen.

Den ersten einschneidenden, aber temporären Funktionswandel erlebte das Hauptgebäude während des Ersten Weltkriegs, als hier – wie auch in der Technischen Hochschule und in der Universität für Bodenkultur – ein Ersatzspital eingerichtet wurde. Zwischen Kriegsbeginn und September 1916 wurden hier etwa 15.000 Verwundete behandelt. Während der Juristentrakt als Quarantänestation diente, wurden die Operationen im Kleinen Festsaal durchgeführt und im Großen Festsaal gespeist.

Mit dem nachträglichen Einbau des Auditorium Maximum im Jahr 1936 wurde nicht nur der Bedarf nach einen großen, bis zu 800 Personen fassenden Hörsaal gedeckt, sondern auch ein Saal mit modernster Filmvorführungstechnik eingerichtet.

Der Zweite Weltkrieg brachte auch für das Hauptgebäude massive Beschädigungen. Die insgesamt 26 Bombentreffer zerstörten etwa zwei Drittel der Dächer, ein Drittel der Mauern und zahlreiche andere Bauteile. Dennoch wurde der Studienbetrieb bereits am 29. Mai 1945 wieder aufgenommen und die Architektur sukzessive wiederhergestellt.

Im 21. Jahrhundert wurde erneut das Auditorium Maximum, aber auch der Haupteingang modernisiert. Mit dem Umbau des ehemaligen Universitätssportinstituts im Tiefparterre erfolgt die jüngste Adaption, die der Universität zwei neue Hörsäle und ein zentrales Veranstaltungszentrum eröffnet. Das Veranstaltungszentrum wird mit der Ausstellung „Der Wiener Kreis. Exaktes Denken am Rande des Untergangs“ im Rahmen des Universitätsjubiläums eingeweiht.

 

Siehe auch den Gastbeitrag der Autorin zur Ringvorlesung „Die Wiener Universität 1365-2015“ auf der Website des uni:view-Magazins.

Informationen zum Hauptgebäude auf der Website der Universität Wien: http://www.univie.ac.at/ueber-uns/standorte-plaene/hauptgebaeude-plaene/

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Julia Rüdiger

Zuletzt aktualisiert am 04.03.2024 - 20:33