Die Schießstätte im Hauptgebäude der Universität Wien

1927–2008

Bis 2008 bestand die Möglichkeit, im Hauptgebäude der Universität Wien mit Kleinkalibergewehren und Pistolen zu schießen. Die 1927 dafür eingerichtete Schießstätte im Kellergeschoß des Juristentraktes war unter brisanten politischen Umständen eröffnet worden. Die später als USI-Schießstätte bezeichnete Einrichtung unterstand nach ihrer Eröffnung nicht der Universität Wien selbst, sondern dem Amt für Leibesübungen der Deutschen Studentenschaft, die völkische, deutschnationale und katholische Studentenorganisationen zusammenfasste.

Vorgeschichte und erste Planungen

Im Tiefparterre im linken Flügel des neu errichteten Universitätshauptgebäudes war seit 1885 die Turnanstalt untergebracht. Zwei Turnhallen befanden sich zwei Stockwerke unterhalb des kleinen Festsaales, daneben Räumlichkeiten für Garderoben, die sich an Hof 1 und 3 anschlossen, sowie Direktorenzimmer, Gerätedepot und Toilettenanlagen.

1912 regte der Akademische Senat an, Räumlichkeiten für die Abhaltung von Schießübungen zu finden, woraufhin die Gebäudekommission einen etwa 20 bis 25 Meter langen Gangbereich im Tiefparterre anschließend an die Garderoben der Turnanstalt vorschlug. Wohl aufgrund des wenig später beginnenden Ersten Weltkriegs wurden diese Pläne nicht mehr verwirklicht. Im Zuge der Umfunktionierung des Hauptgebäudes der Universität Wien in ein Hilfslazarett wurden die beiden Turnsäle 1914 zunächst in Krankensäle umgewandelt, später als Lebensmittellager genutzt.

Nach dem Ersten Weltkrieg erfolgte eine noch stärkere Radikalisierung der deutschnationalen und katholisch-nationalen Studierenden, die sich in vermehrt stattfindenden Ausschreitungen gegen politisch anders gesinnte, besonders aber gegen jüdische Studierende richtete. Die Deutsche Studentenschaft – gegründet 1919 als länderübergreifende Dachorganisation „aller Studenten ‚deutscher‘ Abstammung und Muttersprache der Hochschulen des deutschen Sprachgebiets“ – war in Österreich ein zentraler Motor der antisemitischen Hetze auf akademischem Boden. Sie fasste bis 1932 völkische, deutschnationale und katholische Studentenorganisationen zusammen und wurde von den österreichischen akademischen Behörden als einzige Studentenvertretung anerkannt, obwohl sie mehr als ein Drittel aller Studierenden explizit von der Vertretung ausschloss: alle ausländischen und alle jüdischen Studierenden.

Unter der Leitung des nationalsozialistisch gesinnten Lehrbeauftragten Erwin Mehl wurde die Universitätsturnanstalt 1923 wieder eröffnet. Die Anzahl der ÜbungsteilnehmerInnen steigerte sich in den Folgejahren stark, da auch HörerInnen der anderen fünf Wiener Hochschulen teilnehmen konnten. Großen Einfluss auf die weitere Entwicklung des Universitätssports übte auch die Deutsche Studentenschaft aus, die 1922 das Amt für Leibeserziehungen (AfL) gegründet hatte. Mit großen finanziellen Zuschüssen der Sportstelle des Bundeskanzleramtes konnte das AfL breite Tätigkeiten entfalten. Dieses arbeitete mit dem Akademischen Ausschuss für Leibesübungen (Vorsitz Prof. Rudolf Much) der Universität Wien eng zusammen.

Eröffnung der Schießstätte 1927

Die Schießstätte im Kellergeschoß der Universität Wien wurde am 14. Jänner 1927 unter Anwesenheit des Rektors Hans Molisch und zahlreicher Universitätsprofessoren eröffnet. Die Schießbahnen erstreckten sich über zwei miteinander verbundene Kellergewölbe mit einer Länge von über 50 Metern und befanden sich entlang der Gebäudelinie des Rathausplatzes (links von Hof 3 und 5). Der Zugang erfolgte über Stiege 5, über die man den Schießstand, die zugehörigen Garderoben- und Lagerräume erreichte. Der Schießkeller verfügte über vier Gewehrstände (Distanz 25 Meter) und drei Pistolenstände.

Die Werbearbeit des AfL stieß auf großes Interesse bei den Studierenden. Die Leitung der Schießstätte oblag Ende 1927 dem ehemaligen Oberstleutnant Eduard von Schill. Der Betrieb wurde 1928 auch durch die Gründung des Wiener Akademischen Schützen- und Jagdvereines (Oberschützenmeister Prof. Ferdinand Hochstetter) befördert – auch hier waren ausdrücklich „deutsche Akademiker“ willkommen. Insgesamt konnte Erwin Mehl vermelden, dass hier „1927/28 75.325 Schuß abgegeben wurden“.

Aufgrund der politischen Einstellung des AfL wurde die Eröffnung der Schießstätte besonders von der sozialdemokratischen und kommunistischen Presse sehr kritisch betrachtet, zumal es seit Anfang der 1920er-Jahre immer wieder zu gewalttätigen Ausschreitungen von deutschnationalen bzw. nationalsozialistischen Studenten gegenüber linken und jüdischen KommilitonInnen gekommen war. Die Kritik verschärfte sich zwei Wochen nach der Eröffnung durch die Schüsse von Frontkämpfern in Schattendorf am 30. Jänner 1927, die ein Kind und ein Mitglied des Republikanischen Schutzbundes töteten.

Da nur Mitglieder der Deutschen Studentenschaft Zugang zur Schießstätte hatten, betrachtete die „Rote Fahne“ darin eine „Erziehungsstätte des Faschismus“, in der Studenten gelehrt werden sollten, auf Arbeiter zu schießen. Auch das Studentenfreikorps, eine Organisation der Heimwehr, hielt dort Schießübungen ab. Der sozialistische Student Wolfgang Speiser berichtete:

„Es war symptomatisch, daß schon vorher am 14. Jänner das sogenannte Amt für Leibesübungen der Deutschen Studentenschaft an der Universität eine Schießstätte eröffnete. Dabei hielt der bekannte Wiener Frontkämpfer Oberst i.R. Hiltl eine Ansprache. Rektor Molisch nahm die Schießstätte in die Obhut der Universität. An dieser Schießstätte wurden Heimwehrstudenten ausgebildet, später ein eigener Sturm der SA.“
(Wolfgang Speiser, 1986, S. 9)

Am 3. Februar 1927 demonstrierten sozialistische Studierende u.a. für die Auflösung der Universitätsschießstätte.

Der Schießkeller blieb jedoch weiterhin in Betrieb und diente auch als Austragungsort für studentische Schießwettbewerbe, so im Rahmen der alljährlich veranstalteten Wiener Hochschulwettkämpfe für die Wiener Hochschulen (Universität Wien, Technische Hochschule, Hochschule für Bodenkultur, Tierärztliche Hochschule, Hochschule für Welthandel und Akademie für bildende Künste).

Ab Sommersemester 1932 bewarb das Amt für Leibesübungen in ihrem neuen Mitteilungsblatt die regelmäßigen Übungen an der Universitäts-Schießstätte:

„Universitäts-Schießstätte. Geschossen wird mit 6mm-Kleinkaliberstutzen und Pistolen auf 25 Meter und 12 Meter Entfernung. Schießlehrgänge für Anfänger und freies Sportschießen. Täglich 3-7 Uhr. Schießkurs für Studentinnen: Dienstag 3-5 Uhr nachm. Teilnahmegebühr S 1. monatlich. Munition wird gesondert berechnet.“
(Treibt Leibesübungen, April 1932, S. 3)

Die politische Rolle der Schießstätte blieb jedoch weiterhin brisant. Bezeichnend sind die Ergebnisse des Mannschaftsschießens im Rahmen der Wiener Hochschulwettkämpfe 1933: Unter den ersten 30 Mannschaften fanden sich zehn Gruppen des Nationalsozialistischen Studentenbundes (NSStB), auf Platz 7 das Studentenfreikorps. Bereits im Jänner 1933 wurde Anzeige beim Unterrichtsministerium erstattet, „daß die Schießstätte an der Universität für Schießübungen ganzer Sturmabteilungen der Nationalsozialisten benützt wird, die selbstverständlich mit der Hochschule nicht das geringste zu tun haben“. Das Rektorat der Universität Wien hielt jedoch daran fest, die „Wehrhaftmachung“ der Studierenden anzustreben und eine solche Ausbildung an der Universität anzubieten. Man entschied jedoch, die Wiedereröffnung der im Sommersemester 1933 geschlossenen Schießstätte „vorläufig hinauszuschieben, bis die auch auf Hochschulboden fühlbaren politischen Spannungen nicht mehr die Gefahr von Beunruhigungen durch den Betrieb in der Schiessstätte in sich bergen.

Austrofaschismus

Das austrofaschistische Regime griff nach der Ausschaltung des Parlaments und dem Verbot der Oppositionsparteien (KPÖ, NSDAP, SDAP) 1933/34 auch massiv in die Organisation der österreichischen Universitäten ein. Zur Sicherstellung der „Ordnung“ wurde die Staatspolizei in den Universitätsgebäuden stationiert sowie ein Legitimationszwang eingeführt, um universitätsfremde Personen fernzuhalten. Den Universitätsalltag prägten jedoch auch weiterhin die Angriffe deutschnationaler und nationalsozialistischer Studierender auf politische GegnerInnen. Daher verfügte die austrofaschistische Regierung am 26. Juli 1933 die behördliche Auflösung der nationalsozialistisch dominierten Deutschen Studentenschaft. Die Ämter der Leibesübungen blieben jedoch, nunmehr als selbstständige Einrichtung, bestehen.

Die seit Sommersemester 1933 geschlossene Schießstätte blieb auch im folgenden Wintersemester gesperrt. Erst auf Antrag des Sachverwalters der Hochschülerschaft in Österreich, Karl Stein, der betonte, dass eine verpflichtende Wehrausbildung eingeführt werden könne, ließ das Rektorat die Schießstätte am 1. Februar 1934 wiedereröffnen, jedoch nur für inskribierte HörerInnen. Den TeilnehmerInnen der Lehrgänge sowie des freien Sportschießens standen die Gewehr- und Pistolenstände nunmehr täglich 6 Stunden zur Verfügung.

Im Sommersemester 1934 war der universitäre Schießkeller wieder Austragungsort der Schießwettbewerbe im Rahmen der Wiener Hochschulwettkämpfe 1934, der Übungsbetrieb blieb jedoch noch bis Jänner 1935 unterbrochen:

„Der Betrieb der Universitäts-Schießstätte wurde Anfang Jänner in vollem Umfang wieder aufgenommen. Für Anfänger und geschlossene Gruppen von akademischen Korporationen, Vereinen und Wehrverbänden finden Ausbildungslehrgänge statt, die den Teilnehmern neben dem praktischen Unterricht im Kleinkaliber-Gewehr und Pistolenschießen auch vollständige theoretische Ausbildung in allen Waffen vermitteln. Ferner ist die Möglichkeit geboten, das freie Sportschießen zu Übungszwecken zu pflegen.“
(Treibt Leibesübungen, Jänner-Feber 1935, S. 6)

Das Hochschulerziehungsgesetz 1935 führte weltanschauliche Pflichtvorlesungen, verpflichtende vormilitärische Übungen (u.a. an universitären Schießstätten) und sogenannte Hochschullager ein, im Zuge derer täglich zwei Stunden für Schießübungen und Leibesübungen vorgesehen waren. Im Rahmen der Wiener Hochschulwettkämpfe 1935 und 1936 fanden nun – neben den Bewerben im Kleinkaliberschießen und Pistolenschießen – auch Wehrwettkämpfe statt. Die Teilnehmer mussten Gepäcksmarsch, Schwimmen, Schießen und leichtathletischen Sechskampf absolvieren. Der Übungsbetrieb der Schießstätte lief unterdessen unter der Leitung von Hauptmann Abel weiter.

Nationalsozialismus

Der Nationalsozialismus brachte grundlegende Änderungen an der Universität mit sich. Mit dem „Anschluss“ im März 1938 verlor die Universitätsturnanstalt ihre Eigenständigkeit und wurde in das „Hochschulinstitut für Leibesübungen“ eingegliedert. Insgesamt wurde der Universitätssport als Mittel zur Stärkung wehrtüchtigen Grundverhaltens aufgewertet. Die Deutsche Hochschulsportordnung sah im 2. Studiensemester die Ausbildung im Kleinkaliberschießen für alle Studierenden vor.

Der Schießkeller der Universität Wien wurde während des Zweiten Weltkrieges offenbar weiter genutzt. Auch Frauen absolvierten während des Nationalsozialismus in der Universität Wien Schießübungen. So beispielsweise im Herbst 1939 Elfriede Hartmann, die im Zuge der vorgeschriebenen Leibesübungen am Hochschulinstitut Handball und Schießen besuchte, um im Jänner 1940 an der Universität Wien Chemie und Physik zu inskribieren. Da sie nach den NS-Rassegesetzen als „Mischling I. Grades“ galt, musste sie ihr Studium jedoch bereits wenig später abbrechen. Hartmann engagierte sich verstärkt im Widerstand gegen den Nationalsozialismus und wurde nach der Verurteilung wegen „Hochverrat“ 1943 im Wiener Landesgericht im Alter von 22 Jahren enthauptet.

Nachkriegszeit und Zweite Republik

Zu Kriegsende 1945 wurde der Juristentrakt des Hauptgebäudes der Universität Wien bis ins Kellergeschoß zerstört, darunter auch die Turnanstalt inklusive Inventar. Nach erfolgtem Wiederaufbau und Modernisierung wurde die nun wieder eigenständige Wiener Universitätsturnanstalt als erste Österreichs wiedereröffnet. Die Schießstätte im Kellergeschoß wurde spätestens ab den 1950er-Jahren wieder für Kurse und Wettkämpfe im Schießsport genutzt.

Aufgrund steigender TeilnehmerInnenzahlen musste die Universitätsturnanstalt bald Gebäudeflächen außerhalb des Hauptgebäudes anmieten, bis Anfang der 1970er-Jahre die Auslagerung des Universitätssports in einen Neubau auf der Schmelz im 15. Bezirk beschlossen wurde. Etwa zeitgleich wurde die bestehende Schießstätte im Hauptgebäude zuletzt renoviert und mit vier vollautomatischen Bahnen ausgerüstet. Mithilfe der vier vollautomatischen Schießbahnen konnte die Zielscheibe an die Position von 25 bzw. 50 Meter gefahren werden, auf die mit Kleinkalibern oder Pistolen, liegend oder stehend geschossen wurde. Mit der Neueröffnung begann im Sommersemester 1972 die Abhaltung eines Kurses für Kleinkaliberschießen, Pistolenschießen seit dem Wintersemester 1981/82. Beide werden seither jedes Semester bis heute veranstaltet. Auch Wettkämpfe für Studierende und AkademikerInnen fanden regelmäßig jedes Semester statt.

Die Einrichtung der Schießstätte des USI (Universitätssportinstitut) wurde seit den 1970er-Jahren nicht mehr erneuert, abgesehen von versperrbaren Schränken zur sicheren Verwahrung von Waffen und Munition, auf die nur die KursleiterInnen Zugriff hatten.

Auszug 2008 und Umbau 2016

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts entsprach die Schießstätte im Hauptgebäude der Universität Wien nicht mehr den Anforderungen: Die Bahnen und Schießfänge waren renovierungsbedürftig, Warnhinweise, die Schießbahnen nicht zu betreten, waren nur teilweise vorhanden, es gab keine Notleuchten, Fluchtwegsmarkierungen oder -pläne. Getrennte Umkleidebereiche und Sanitäranlagen für Frauen und Männer waren nicht vorhanden und ein barrierefreier Zugang ebenso wenig möglich. 2008 fanden die letzten Kurse in Kleinkaliberschießen und Pistolenschießen im Schießkeller des Hauptgebäudes statt. Als letzte Einrichtung des USI übersiedelte die Schießstätte in diesem Jahr endgültig in das Universitätssportzentrum (USZ) auf der Schmelz, deren Gebäude wesentlich modernere Anlagen für größere TeilnehmerInnenzahlen boten.

Im Zuge der im Herbst 2016 beginnenden Umbauarbeiten am Hauptgebäude der Universität Wien wurde auch die ehemalige Schießstätte für neue Nutzungszwecke adaptiert. Die seit 2008 nicht mehr genutzte Einrichtung des Schießstandes, der Schießbahnen sowie der Nebenräume wurde demontiert, Nebenräume und Gänge abgerissen, das Gewölbe brandschutztauglich in zwei Räume unterteilt und für die Nutzung als Haustechnikraum sowie Lagerräume umgebaut. Vor Baubeginn beauftragte die Universität Wien die iC Consulenten ZT GmbH mit der Erstellung einer Bestandserhebung und Aufbereitung der Historie in Zusammenarbeit mit den Autorinnen dieses Textes.

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