Walther Kastner, o. Univ.-Prof. Dr. jur.

11.5.1902 – 31.3.1994
geb. in Gmunden, Österreich gest. in Wien, Österreich

Professor für Handels- und Wechselrecht, Wirtschaftsanwalt, Wirtschafts- und Politikberater, Kunstsammler

Ehrungen

Ehrung Titel Datierung Fakultät
Ehrensenator*in sen.h.c. 1971/72 Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät

Walther Kastner wurde am 25. Mai 1972 zum "Ehrensenator" der Universität Wien ernannt als Mann "… QUI EGREGIUS MAGISTER ET INVESTIGATOR IURIS MERCATURAE ET CHARTARUM PRETIOSARUM NECNON EXEMPLARIS ATQUE INDEFESSUS SOCIUS SENATUS UNIVERSITARII ET COLLEGII PROFESSORUM ORDINIS IURIS CONSULTORUM EXEMPLO, CONSILIO, AUXILIO EXIMIE MERITUS EST DE OMNIBUS REBUS ET AD SCIENTIAM ET AD HUMANTATEM PERTINETIBUS QUAS FELICITER PHERAGI ALMAE MATRIS RUDOLPHINAE INTERERAT" (Wortlaut Diplom)

Ehrenzeichen Ehrenz. gold. 1972/73 Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät

Walther Kastner wurde am 28. Juni 1973 das Goldene Ehrenzeichen der Universität Wien verliehen, für seine Verdienste, die er sich "... über seine Amtspflichten hinaus, insbesondere auch durch seine Tätigkeit im "Verein der Freunde der Rechts- und staatswissen­schaftlichen Fakultät" um diese Fakultät und deren Einrichtungen erworben hat, ..."

Die Ehrung wird 2022/23 aufgrund von Walther Kastners Involvierung in den Nationalsozialismus als „problematisch“ eingestuft. Walther Kastner war nach eigenen Angaben illegal als Nationalsozialist bereits im Austrofaschismus aktiv und administrierte ab 1938/39 als Prokurist bzw. Direktor der Österreichischen Kontrollbank für Industrie und Handel die Enteignung und Verwertung („Arisierungen“) von über hundert großen Wirtschaftsbetrieben aus jüdischem Besitz. Nach der Erledigung des „Entjudungsauftrages“ holte ihn Minister Peter Krauland (ÖVP) 1946 in das Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung, das jene Vermögenswerte verwaltete, die in der NS-Zeit enteignet worden waren. Unter Missbrauch der Amtsgewalt wurden in diesem Ministerium Millionenwerte veruntreut, Staatsbesitz in Regierungsparteien und Interessensvertretungen umgeleitet, hingegen Restitutionsforderungen der ehemaligen jüdischen Eigentümer*innen meist abgewiesen. Die gegen Kastner eingeleiteten Verfahren nach § 6 des Kriegsverbrechergesetzes (StGBl. Nr. 32/1945) wegen missbräuchlicher Bereicherung vor dem Volksgerichtshof wurden mit Hilfe des Ministeriums niedergeschlagen – der ehemalige Verantwortliche für „Arisierungen“ war zum Verantwortlichen für Rückstellungen geworden.

Funktionen

Senator Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 1967/68
Senator Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 1968/69
Senator Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 1969/70
Senator Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 1970/71
Senator Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 1971/72
Senator Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 1972/73

Walther Kastner wurde 1902 in Gmunden/Oberösterreich in eine Beamtenfamilie geboren und wuchs in Linz auf, wo er auch die Reifeprüfung (Matura) am Linzer Realgymnasium ablegte. Sein darauffolgendes Studium der Kunstgeschichte, Germanistik und Psychologie an der Universität Wien brach er nach dem ersten Jahr ab und wechselte 1922 ins Erwerbsleben. Er arbeitete bei der Bank für Oberösterreich und Salzburg in Bad Ischl, wurde aber schon bald darauf wegen wirtschaftliches Schwierigkeiten 1925 wieder "abgebaut" (gekündigt). Er begann daraufhin erneut zu studieren, diesmal Rechts- und Staatswissenschaften an der Universität Innsbruck, und promoviert am 5. November 1927 zum Dr. jur.

Er absolvierte seine Gerichtspraxis am Bezirksgericht Schiffamtsgasse in Wien-Leopoldstadt und wechselte 1930 in den Staatsdienst in die Finanzprokuratur und wurde 1935 Prüfungskommissär im übergeordneten Finanzministerium. Er selbst gibt an, bereits im Austrofaschismus illegal aktiver Nationalsozialist gewesen zu sein (nach Aufnahmeanträgen von 1940 und 1942 wird er ab 1943 auch formal NSDAP-Mitglied) und wurde nach dem "Anschluss" Österreichs von Reichsstatthalter Arthur Seyß-Inquart im Juli 1938 in die Abteilung Rechtsetzung und Rechtsangleichung/Wirtschaftsrecht im Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten übernommen und wechselte im Oktober 1938 als Prokurist in die Österreichische Kontrollbank für Industrie und Handel. Ab 1939 deren Direktor, administrierte er dort die Enteignung und Verwertung ("Arisierungen") von über hundert großen österreichischen Wirtschaftsbetrieben. Nach der Erledigung des "Entjudungsauftrages" wurde die Kontrollbank liquidiert und Kastner wechselte 1942 als Vorstandsmitglied in die kriegswichtige Semperit-Gummiwerke-AG, wo er 1944, nach der Verhaftung des Vorstandsvorsitzenden Franz Messner (Deportation ins KZ Mauthausen und Ermordung), auch dessen Funktion bis zum Ende des NS-Regimes übernahm.

Ab Mai 1945 war Kastner als Nationalsozialist zu strafweisem Arbeitseinsatz verpflichtet. Doch der ÖVP Politiker Peter Krauland (1903-1985) holte ihn bereits 1946 als Jurist in das von ihm geleitete Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung, das jene Vermögenswerte verwaltete, die in der NS-Zeit enteignet worden waren. Unter Missbrauch der Amtsgewalt wurden von Minister Krauland Millionenwerte veruntreut, Staatsbesitz in die Regierungsparteien und Interessensvertretungen umgeleitet (Druckereien, Verlagshäuser und andere politisch interessante Unternehmen), hingegen Restitutionsforderungen der ehemaligen jüdischen Eigentümer*innen meist abgewiesen. Kastner setzte sich in diesem Ministerium mit den Verstaatlichungs- und den Rückstellungsgesetzen auseinander. Die gegen ihn vor dem Volksgerichtshof eingeleiteten Verfahren nach § 6 des Kriegsverbrechergesetzes (StGBl. Nr. 32/1945) wegen missbräuchlicher Bereicherung in zumindest zwei der über hundert von ihm über die Kontrollbank abgewickelten "Enteignungen" wurden mit Hilfe des Ministeriums niedergeschlagen und 1947 bzw. 1949 eingestellt.
Der ehemalige Verantwortliche für "Arisierungen" war zum Verantwortlichen für Rückstellungen geworden, sowohl in Bezug auf die juristischen Rahmenbedingungen (er konzipierte u. a. alleinverantwortlich das fünfte Rückstellungsgesetz, BGBl. 1949/164), als auch in Bezug auf konkrete Abwicklungen von Restitutionen (u. a. der Bunzl-Biach AG, deren "Arisierung" er während seiner Tätigkeit in der Kontrollbank administriert hatte).

Seit 1947 betrieb Kastner eine eigene Rechtsanwaltskanzlei für Wirtschaftsfragen und vertrat mit seinem Insiderwissen in Restitutionsangelegenheiten auch zahlreiche jüdische NS-Enteignete. Daneben war er auch Mitglied bzw. Präsident zahlreicher Aufsichtsräte (u.a. Österreichische Investitionskredit AG, Österreichische InvestmentGmbH), war Berater mehrere Finanzminister und auch in vielen anderen Funktionen mit der Wirtschafts-, Banken- und Handelswelt vertraut und als Berater tätig. Er war auch Kunstsammler und unterstützte im wissenschaftlichen Feld auch die Anliegen der Universitäten wie auch der Österreichischen Akademie für Wissenschaften, die ihm dafür die Medaille "pro merito" verlieh und zum Ehrenmitglied ernannte.

Die Universität Wien berief ihn 1964 auf die neugegründete Professur für Handels- und Wechselrecht. Er verfasste zahllose Gutachten für die Universität Wien und die Juridischen Fakultät und führte als unbesoldeter Anwalt der Universität Verhandlungen und Interventionen bei Behörden und Privaten. Er half damals die Probleme rund um die Wünschek-Dreher-Schenkung im Wert von rd. 120 Millionen Schilling an die Medizinische Fakultät zu beseitigen, engagierte sich für eine Spende von einer halben Million Schilling der Donau-Allgemeine-Versicherungs AG an die Juridische Fakultät ein. Er gründete den "Verein der Freunde der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien" und bewog viele österreichische Wirtschaftsunternehmen zum Beitritt und zu großzügigen Spenden, motivierte Wirtschaftsunternehmen bei Berufungsverfahren fehlende staatliche Mittel zu kompensieren oder die Abwerbung angesehener Wissenschaftler ins Ausland durch ökonomische Anreize an der Universität Wien zu halten. In diesem Sinne wurde auch das 1966 gegründete und von ihm geleitete Institut für Handelsrecht der Universität Wien nicht nur mit staatlichen Mitteln sondern auch durch großzügige Spenden der Wirtschaft und Privater gut ausgestattet und zu einem Zentrum wissenschaftlicher Forschung und Ausbildung ausgebaut. Er wurde von 1966/67 durchgehend bis zu seiner Emeritierung immer wieder zum Senator der Juridischen Fakultät gewählt, um im Senat die Fakultätsinteressen zu vertreten. Daneben veröffentlichte Kastner zahlreiche wissenschaftliche Bücher und Beiträge und galt als der führende österreichische Fachmann des Gesellschaftsrechts.

Im Jänner 1972 beschloss das Professorenkollegium der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät, für Walther Kastner die Verleihung der Würde eines Ehrensenator der Universität Wien zu beantragen mit dem Hinweis darauf, dass er fakultär und gesamtuniversitär "stets mit Nachdruck die Belange der Universität in den Kreisen der Wirtschaft vertreten und ist gerade für den nunmehr engen und außerordentlich fruchtbaren Kontakt zwischen Wirtschaft und Hochschule verantwortlich. Ihm ist auch die Gründung des Vereins der Freunde der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät zu danken, als dessen Vorstand er seit 7 Jahren tätig ist. Im Rahmen dieses Vereins fördert er aufs tatkräftigste die Forschungsvorhaben der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät". Weiters wurden seine wissenschaftlichen Verdienste im Bereich des Gesellschafts- und Wertpapierrechtes ins Treffen geführt, womit er "das Ansehen der Wiener Universität und der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät im In- und Ausland entscheidend gefördert hat", sowie, dass er bereits vor der Berufung "in entscheidenden Schlüsselpositionen des Finanzministeriums tätig war und wesentlich zum Wiederaufbau der österreichischen Wirtschaft nach dem Kriege beigetragen hat" – so die Begründung des Antrags.

Der akademische Senat stimmt dem Antrag am 27. Jänner 1972 zu, ein Monat später auch das Wissenschaftsministerium und die Universität verlieh Walther Kastner, als einem Mann, "QUI EGREGIUS MAGISTER ET INVESTIGATOR IURIS MERCATURAE ET CHARTARUM PRETIOSARUM NECNON EXEMPLARIS ATQUE INDEFESSUS SOCIUS SENATUS UNIVERSITARII ET COLLEGII PROFESSORUM ORDINIS IURIS CONSULTORUM EXEMPLO, CONSILIO, AUXILIO EXIMIE MERITUS EST DE OMNIBUS REBUS ET AD SCIENTIAM ET AD HUMANITATEM PERTINETIBUS QUAS FELICITER PHRAGI ALMAE MATRIS RUDOLPHINAE INTERERAT" am 25. Mai 1972 feierlich die Ehrensenatorwürde.

Wenige Monate später, Mitte April 1973, beschloss das Professorenkollegium der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät darüber hinaus Walther Kastner vor seiner Emeritierung im Herbst 1973 noch zusätzlich einen "hohen Universitätsorden" zu verleihen. Angeführt wurden dafür erneut seine Leitungsfunktion des fakultären Freundes-Vereins, dessen Leitung er im Zuge seiner Emeritierung zurücklegen würde. Dekan und Rektorat stimmten zu, ebenso die Ehrenzeichenkommission und der akademische Senat, der in einer ausserordentlichen Sitzung am 15. Mai 1973 die "Verleihung des Goldenen Ehrenzeichens der Universität Wien beschloss. Die Verleihung erfolgte dann im kleinen Kreis am 28. Juni 1973.

Er war seit 1975 Ehrenmitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, war 1982 mit dem Ehrendoktorat der Universität Graz und 1983 mit dem Ehrendoktorat der Wirtschaftsuniversität Wien ausgezeichnet worden. Bereits 1975 hatte der eifrige Kunstsammler seine umfangreiche und wertvolle Sammlung dem Oberösterreichischen Landesmuseum/Linzer Schlossmuseum übertragen - Teile aber auch der Galerie Oberes Belvedere und der Graphischen Sammlung Albertina in Wien überlassen - und war dafür 1975 auch mit dem Goldenen Ehrenzeichen des Landes Oberösterreich ausgezeichnet worden.

Schon 1972 war zu seinem 70. Geburtstag eine umfassende Festschrift erschienen, 1982 erschien zu seinem 80. Geburtstag ein Sammelband mit seinen Aufsätzen sowie eine Autobiographie, die die NS-Zeit beiläufig, aber unter Auslassung wichtiger Fakten thematisierte, 1992 erschien zum 90. Geburtstag eine weitere umfangreiche Festschrift.

Der Versuch der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät, ihm zu diesem Anlass seitens der Universität Wien auch noch mit dem Ehrendoktorat auszuzeichnen - es wäre sein drittes gewesen -, scheiterte dann aber. Seit der "Waldheimdebatte" 1986 und dem "Bedenkjahr 1988" hatte sich das österreichische Geschichtsbewusstsein verändert und im Zuge des UOG 1975 hatte sich auch die Universität verändert. Im Akademischen Senat gab es starke kritische Gegenstimmen aufgrund der nunmehr offen thematisierten NS-Vergangenheit Kastners und die studentische Kurie sprach sich geschlossen gegen diese Ehrung aus. Trotz des vorgelegten historischen Dossiers beschloss der Senat aber am 30. April 1992 in geheimer Abstimmung 15:9 die Verleihung (offenbar wogen Kastners zahlreichen Verdienste, u.a. auch um die Erwerbung und Transformierung des 100.000 m² großen Areals des Alten Allgemeinen Krankenhauses als künftiger Universitätscampus mehr). Angesichts ebenfalls kritischer Medienberichte über die Verleihung, von Protesten von Rektorenkollegen und angesichts erwarteter Proteste bei der bereits für wenige Tage später angesetzten feierlichen Verleihung nahm Walther Kastner die Ehrung nicht an.

Walther Kastner starb in Wien am 31. März 1994.

Die seit 1978 nach ihm benannte bedeutendste Auszeichnung im Bereich des Banken- und Gesellschaftsrechts, der vom Verband Österreichischer Banken und Bankiers für hervorragende wissenschaftliche Arbeiten vergebene Walther-Kastner-Preis wird seit 2013 nicht mehr nach Walther-Kastner genannt, sondern wird seither als Bankenverbandspreis verliehen.
Am 22. März 2023 wurde Walther Kastner posthum die 1983 erfolgte Ehendoktorats-Verleihung von der Wirtschaftsuniversität Wien im Zuge ihrer widerrufen aufgrund seiner Mitwirkung an den Verbrechen des nationalsozialistischen Unrechtsregimes und in Ermangelung einer Distanzierung hiervon nach 1945 (öffentlich bekanntgegeben im Zuge der 125-Jahr-Feier Veranstaltung der WU "Closed to Exclusion – Open to Inclusion" am 5. Juni 2023).

Archiv der Universität Wien, Senat S 229.1.3 (=RA GZ 71/3 ex 1971/72),  S 229.2.12 (=RA GZ 71/12 ex 1971/72), S 229.21.03 (=GZ 71 aus 1991/92)

Herbert Posch

Zuletzt aktualisiert am 04.10.2023 - 14:06

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