Die Universität Wien im Zeitalter der konfessionellen Auseinandersetzungen

1517–1700

Mit dem sogenannten „Thesenanschlag“ Martin Luthers 1517 begann das Zeitalter der Reformation. Die schon lange bestehende Unzufriedenheit über den Verfall und die Reformunwilligkeit der Kirche, die Auswüchse des Pfründenwesens und des Ablasshandels brach sich Bahn und führte zum Bruch mit der römischen Kirche. Luther wurde vom Papst mit dem Kirchenbann belegt (1520) und vom Reichstag in Worms geächtet (Wormser Edikt 1521). Dennoch fanden seine Lehren in weiten Bevölkerungskreisen, vor allem auch im Adel, sehr rasch Anhänger. Schon in den frühen 1520er Jahren verbreitete sich die Reformation in den Ländern der habsburgischen Herrschaft.

In ihren frühen Schriften polemisierten Luther und Philipp Melanchthon scharf gegen die noch immer der mittelalterlichen Scholastik anhängenden Universitäten, welche sie als Einrichtungen des Papsttums verdammten. Die Auswirkungen auf die Universitäten im Heiligen Römischen Reich waren unmittelbar und sehr rasch spürbar.

Die Universitäten als Teufelswerk

Martin Luther, der selbst die Studien der Artes und der Theologie absolviert hatte, formulierte in seiner Schrift „Vom Missbrauch der Messen“ (1521) über die Universitäten: Aus diesen Mordgruben gehen herfür die Heuschrecken, welche die ganze Welt an allen Orten, beide geistlich und weltlich, regieren, dass auch der Teufel von Anbeginn der Welt zur Unterdrückung des Glaubens und Evangelii in aller Welt nichts Kräftigeres hätte erdenken können, denn die hohen Schulen. Im selben Jahr polemisierte Philipp Melachthon noch heftiger: Niemals sei etwas Verderblicheres, Gottloseres erfunden worden, als die Universitäten; nicht die Päpste, der Teufel selbst sei ihr Urheber.

Diese Aussagen trugen den Reformatoren den Vorwurf der Bildungsfeindlichkeit ein, der jedoch ins Leere ging: Ihnen ging es sehr wohl um eine Bildung, die als Grundlage des rechten – evangelischen – Glaubens dienen konnte.

Dramatischer Niedergang der Universität Wien

Nicht nur an der Universität Wien, sondern auch an anderen Universitäten im Heiligen Römischen Reich kam es in den 1520er Jahren zu einem dramatischen Rückgang der Studentenzahlen. Nach Ansicht mancher Zeitgenossen war dies eine Folge der Lehren Martin Luthers. So machte der Universitätskanzler Paul von Oberstein 1525 die verderbliche Lutherische Sekte für den Niedergang der Universität verantwortlich. Zwei Jahre später vermerkte der Dekan der Medizinischen Fakultät Wilhelm Puelinger, er habe nur weniges in das Dekanatsbuch einzutragen, da die Universität beinahe völlig verlassen und ohne Studenten sei; es hieße, die Ursache des völligen Ruins sei ein gewisser Martin Luther, der die Universitäten wegen ihrer fortwährenden Verbreitung heidnischer Schriftsteller, wie Aristoteles etc., verdamme.

Obwohl die Reformation nicht als ausschließliche Ursache des existenzbedrohenden Rückgangs der Studentenzahlen gelten kann, erwies es sich bald, dass zum Teil neu gegründete Schulen und Universitäten in protestantischen Territorien selbst für Untertanen aus habsburgischen Ländern attraktiver waren als die stets – zumindest nominell – der römischen Kirche die Treue haltende Wiener Universität. Eine 1548 ergangene landesfürstliche Verfügung, die habsburgischen Untertanen nur ein Studium an den katholischen Universitäten Wien, Freiburg im Breisgau und Ingolstadt erlaubte, erwies sich als wenig wirksam und wurde 1556 auf Druck des ständischen Adels wieder aufgehoben.

Das Bildungswesen war zu dieser Zeit bereits Gegenstand und Instrument der konfessionellen Auseinandersetzungen geworden. Ferdinand I. und seine Berater am Hof leiteten an der Universität Wien einen Reformprozess ein, der die Alma Mater Rudolphina finanziell absichern sollte. Das Ergebnis war die Umformung zu einer frühneuzeitlichen Landesuniversität, welche nach den politischen und konfessionellen Zielen des frühabsolutistischen katholischen Territorialfürsten modernisiert und instrumentalisiert wurde. Sie sollte als „Pflanzstätte für die richtige Staatsführung“ Absolventen produzieren, die im Dienste des Landesfürsten und der römisch-katholischen Kirche eingesetzt werden konnten.

Dies erschien dem Herrscher wohl umso notwendiger, als auch der Lehrkörper der Universität, vor allem an den weltlichen Fakultäten, protestantisch „unterwandert“ war. Verschiedene Maßnahmen zielten darauf ab, reformatorisches Gedankengut aus der Universität zu verbannen: 1536 erging das Verbot der Zulassung von Absolventen der protestantischen Universität Wittenberg an der Universität Wien; gleichzeitig sollten die Leiter der Bursen ihre Studenten auf deren „Rechtgläubigkeit“ prüfen. Die gleiche Prüfung mussten ab 1547 auch die Professoren über sich ergehen lassen. 1554 wurde verfügt, dass in Wien keine Studenten promoviert werden dürfen, die zuvor an einer protestantischen Universität studiert hatten.

Mit der Berufung des Jesuitenordens nach Wien im Jahr 1551 wurde eine neue Phase der katholischen Reform des Bildungswesens eingeleitet. Während in protestantischen Territorien des Heiligen Römischen Reiches die Kontrolle über Schule und Universität primär als Aufgabe einer sich ausbildenden Staatlichkeit, die auch kirchliche Angelegenheiten umfasste, begriffen wurde, übertrug man in den katholischen Gebieten diese Aufgabe weitgehend der neuen, supraterritorial agierenden Gesellschaft Jesu. Dies war auch eine Folge der offensichtlichen Überlegenheit protestantischer Bildungseinrichtungen. Die Besucherfrequenz protestantischer Universitäten stieg nach dem dramatischen Rückgang der 1520er Jahre schon bald wieder stark an, während die Immatrikulationszahlen in Wien auch nach den landesfürstlichen Reformmaßnahmen im Vergleich dazu niedrig blieben. Von 1560 bis 1620 studierten fast ebenso viele Studenten aus habsburgischen Ländern in Wittenberg wie an der Universität Wien.

Dem Orden wurden philosophische und theologische Studien anvertraut, was zu jahrzehntelangem Konkurrenzkampf mit der Universität Wien führte, der erst mit der organisatorischen Vereinigung der Universität und des Jesuitenorden 1623 beendet wurde. Diese vom Herrscher verfügte Maßnahme bildete ein wesentliches Element im Rahmen der Forcierung der Gegenreformation in den habsburgischen Ländern. Der Orden bestimmte in der Folge den Unterricht an der theologischen und an der philosophischen Fakultät. Letztere hatte für die katholische Ausrichtung der Studentenschaft besondere Bedeutung, da alle, die ein Studium an einer der „höheren“ Fakultäten anstrebten, zuvor ein philosophisches Grundstudium absolvieren mussten. Die Universität, an der noch während der Herrschaft Maximilians II. (1564-1576) auch einige Protestanten unter den Professoren geduldet gewesen waren, wurde nun zu einer streng katholischen Bildungseinrichtung. Das Ziel der konfessionellen Indoktrinierung künftiger Eliten war damit durchgesetzt worden.

Erst die Toleranzgesetzgebung gegen Ende des 18. Jahrhunderts öffnete die Universität für evangelische (1778) und jüdische Studierende (1782). Nicht-katholische Professoren konnten überhaupt erst während und nach der Revolution von 1848 berufen werden; ihre Wahl zu den akademischen Funktionen eines Dekans oder Rektors blieb jedoch noch sehr lange eine Seltenheit und war Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen.

Druckversion