Frequenzeinbruch und Regionalisierung ab dem 16. Jahrhundert
Die Krise der Universitäten im 16. Jahrhundert hatte für die Alma Mater Rudolphina gravierende Auswirkungen. 1517, im Jahr des "Thesenanschlags" durch Martin Luther in Wittenberg, wurden in der Rektorsmatrikel 667 neue Studenten eingetragen; dies war eine der höchsten Immatrikulationszahlen seit Beginn der Matrikelführung 1377. Zehn Jahre später, 1527, betrug die Zahl der Neueintretenden ein Zehntel dieses Wertes: nur 70 neue Studenten wurden verzeichnet. 1532 kam der Tiefpunkt dieser absteigenden Entwicklung, als lediglich zwölf Namen in die Matrikel eingetragen werden konnten.
Die Immatrikulationszahlen erholten sich danach etwas, erreichten jedoch erst um die Mitte des 16. Jahrhunderts niedrige dreistellige Werte. Es dauerte dann weitere 200 Jahre, bis 1753/54 mit 760 Immatrikulationen ein neuer Spitzenwert auftrat.
Die geringen Studentenzahlen hatten nicht nur sehr nachteilige Auswirkungen auf die universitären Finanzen, die zu einem großen Teil von Studiengebühren abhängig waren, sondern gingen auch mit einem Phänomen einher, das als Regionalisierung des Einzugsbereiches beschrieben werden kann. Ein großer Teil des mittelalterlichen Rekrutierungsraumes der Universität brach fast völlig weg. Die meisten der Studenten stammten von nun an aus Österreich, wobei Wien als Herkunftsort die größte Rolle spielte.
Frequenzeinbruch
Nicht alle Ursachen für den dramatischen Rückgang an Studenten seit den 1520er Jahren waren „hausgemacht“. Die Ausbreitung der Reformation hatte an fast allen Universitäten des Heiligen Römischen Reiches ähnliche Konsequenzen. Dazu kam ein Wandel der studentischen und akademischen Lebensformen, die unter dem Schlagwort „Säkularisierung“ zusammengefasst werden können. Im 15. Jahrhundert entstanden zudem viele neue Hochschulen, die der Universität Wien zunehmend Konkurrenz machten. Lokale Phänomene, wie die militärische Expansion des Osmanenreiches, Epidemien und eine ungünstige wirtschaftliche Entwicklung taten ihr Übriges.
Um Wien als Studienort am Leben zu erhalten, wurden unter Ferdinand I. Reformen eingeleitet, welche die Universität zu einer frühabsolutistischen, habsburgischen Landesuniversität umgestalteten, deren Absolventen römisch-katholisch sein sollten. Für Protestanten wurde Wien als Studienort damit nicht nur unattraktiv, sie waren auch unerwünscht. Umgekehrt war es österreichischen Untertanen zeitweise verboten, an nicht-katholischen Universitäten außerhalb des habsburgischen Herrschaftsbereiches zu studieren. Diese blieben dennoch attraktiv: Von 1560 bis 1620 studierten fast ebenso viele Österreicher im protestantischen Wittenberg wie an der Universität Wien.
Der Verlauf an Immatrikulationen zeigt, dass die Ferdinandeischen Reformen Mitte des 16. Jahrhunderts kurzfristig die Attraktivität der Wiener Universität erhöhten. Doch schon bald sanken die jährlichen Werte auf unter 200, was wohl auch der örtlichen Konkurrenz durch das 1551 errichtete Jesuitenkolleg geschuldet war. Vergleicht man diesen Trend mit dem Universitätsbesuch im Reich (samt protestantischen Hochschulen), so fällt auf, dass die Universität Wien in dieser Zeit deutlich hinter die europäische Entwicklung zurückfällt. An anderen Orten stiegen nämlich die Studentenzahlen ab den 1530er Jahren bis zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges deutlich und kontinuierlich. Erst als 1629 das Jesuitenkolleg in die Universität Wien inkorporiert wurde, stieg die Frequenz wieder, wenn auch das mittelalterliche Niveau nicht erreicht wurde. Dies geschah erst nach Einleitung der Unterrichtsreformen unter Maria Theresia ab Mitte der 1750er Jahre.
Regionalisierung
Der Einbruch der Immatrikulationsfrequenz nach 1520 ist durch eine Kontraktion des Einzugsbereichs der Universität Wien gekennzeichnet. Bis in das zweite Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts zählte sie zu den meist frequentierten Hochschulen im Heiligen Römischen Reich. Unter ihren Studenten waren jene aus Süd- und Südwestdeutschland am stärksten vertreten, knapp gefolgt von Österreichern. Dies änderte sich zugleich mit dem Frequenzeinbruch. Studenten aus den habsburgischen Erblanden stellten von nun an deutlich die Mehrheit in einer stark reduzierten Studentenschaft.
Besonders augenscheinlich wird der Prozess der Regionalisierung, wenn man die Zahl an Studenten betrachtet, die aus Wien selbst stammten. Ihr Anteil betrug im Mittelalter nur ca. 1,7 Prozent der Universitätsbesucher. Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts stieg dieser Wert auf 36 Prozent; weitere 21,5 Prozent kamen aus Österreich ob und unter der Enns. Im frühen 18. Jahrhundert stieg der Anteil der Wiener unter den Studenten auf beinahe 50 Prozent.
Daran ist erkennbar, dass die Konzentration des Einzugsbereichs auf Wien und das Umland sich auch nach Wiederanstieg der Immatrikulationszahlen fortsetzte. Diese Entwicklung ist auch das Ergebnis politischen Handelns. Zur Sicherung der konfessionellen Konformität ihrer Untertanen versuchten die Territorialherren, das Studium auf die eigenen Universitäten zu beschränken. Dazu kamen merkantilistische Motive: Das Geld für ein Studium sollte in der Heimat, und nicht in der Fremde ausgegeben werden. Noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das Studium im Ausland durch Verbote weitgehend eingeschränkt. Zu dieser Zeit fürchtete die Obrigkeit, dass die Jugend des Landes mit den „subversiven“ Ideen des Liberalismus und Nationalismus infiziert werden könnte.
Zuletzt aktualisiert am 05.03.2024 - 20:54
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