Hans Horst Meyer, o. Univ.-Prof. Dr. med.

17.3.1853 – 6.10.1939
geb. in Insterburg, Ostpreußen | Tschernjachowsk, Russland gest. in Wien, Österreich

Ehrungen

Ehrung Titel Datierung Fakultät
Ehrendoktorat Dr. med. h.c. 1936/37 Medizinische Fakultät
Denkmal Arkadenhof 1953 Philosophische Fakultät

Funktionen

Dekan*in Medizinische Fakultät 1906/07
Dekan*in Medizinische Fakultät 1912/13
Rektor Medizinische Fakultät 1917/18

Hans Horst Meyer, Sohn des Juristen und Geheimen Justizrates Heinrich Meyer, absolvierte das Gymnasium in seiner Heimatstadt Insterburg und das Friedrichkollegium in Königsberg. Anschließend studierte er ab 1871 zunächst Chemie und Botanik an der Universität Königsberg, ging aber nach einem Semester an die Universität Leipzig, um zum Medizinstudium zu wechseln, das er an den Universitäten Berlin und Königsberg fortsetzte. In Königsberg legte er das medizinische Staatsexamen ab, verfasste bei dem Pharmakologen Max Jaffé seine Dissertation über den Harnstoff im Stoffwechsel des Huhnes und promovierte 1877 zum Doktor der Medizin.

Nach kurzer Tätigkeit bei Karl Ludwig in Leipzig wurde Meyer Assistent von Oswald Schmiedeberg am Pharmakologischen Institut der Universität Straßburg. Dort wurde er 1881 mit einer Arbeit über die Wirkung des Phosphors auf den tierischen Organismus an der Universität Straßburg habilitiert. 1882 als außerordentlicher Professor für Pharmakologie, Diätetik und Geschichte der Medizin an die Universität Dorpat (heute Tartu/Estland) berufen, wechselte er bereits 1884 als Ordinarius für Pharmakologie nach Marburg an der Lahn. An der Universität Marburg leitete er bis 1904 das Pharmakologische Institut, das eng mit dem von Emil von Behring geleiteten Institut für experimentelle Therapie kooperierte, fungierte in den Studienjahren 1886/87 und 1893/94 als Dekan der Medizinischen Fakultät und 1899/1900 als Rektor.

1904 folgte Hans Horst Meyer schließlich derBerufung als Nachfolger August Emil Ritter Vogls von Fernheim als ordentlicher Professor für experimentelle Pharmakologie an die Universität Wien, wo er bis zu seiner Emeritierung 1924 wirkte. Aufgrund der von Meyer vertretenen Abgrenzung der Pharmakologie gegenüber der Pharmakognosie gilt er als Wegbereiter der experimentellen Pharmakologie als eigenständiges Fach in Österreich. Aus seiner Schule gingen zahlreiche berühmte Wissenschafter hervor, wie sein Assistent Otto Loewi (Nobelpreis 1936), sein Nachfolger Ernst Peter Pick, Alfred Fröhlich, Erich Knaffl-Lenz, Hans Molitor, Corneille Heymans (Nobelpreis 1938) und Carl Ferdinand Cori (Nobelpreis 1947).
In den Studienjahren 1906/07 und 1912/13 fungierte Meyer als Dekan der Medizinischen Fakultät und 1917/18 als Rektor der Universität Wien.

Hans Horst Meyer gilt als einer der wichtigsten Wegbereiter der experimentellen Pharmakologie, die sich besonders durch die Zusammenarbeit mit Physiologie, Pathologie und Klinik auszeichnete. Dem Interesse der damaligen Pharmakologie folgend, arzneiliche Wirkstoffe zunächst systematisch nach ihrer physiologischen Wirkung zu ordnen, befasste sich Meyer mit einem breiten Spektrum an Wirkstoffen, darunter verschiedene Metalle (Aluminium, Eisen, Calcium), Abführmittel (v. a. Ricinusöl), Alkaloide (u. a. Pilocarpin) sowie Drüsengifte.
Zu seinen wichtigsten frühen Entdeckungen gehört die 1879 gemeinsam mit Schmiedeberg in Straßburg gelungene Isolierung der mit Campherol gepaarten körpereigenen Glucuronsäure.
Zu Beginn seiner Zeit in Marburg gelang ihm 1885 mit Wladimir Steinfeld der Nachweis der ähnlichen physiologischen Wirkung von Quecksilber und Wismut, der dem Einsatz von Wismutverbindungen für die Therapie von Syphilis den Weg ebnete. 1894 folgte die Herstellung eines Gerbstoffpräparat („Tannigen Bayer“) zur Behandlung von Durchfall. In seiner Marburger Zeit gelangen ihm aber besonders zwei andere wichtige Errungenschaften, die bis heute von großer Bedeutung sind: Zunächst stellte er 1899 unabhängig von Charles Ernest Overton die Lipoid-Theorie der Narkose auf, derzufolge der Wirkungsgrad eines Anästhetikums vom so genannten Teilungsquotienten, d. h. dem Verhältnis der Wasser- zur Fettlöslichkeit abhängig ist (Meyer-Overton-Hypothese, Meyer-Overton-Korrelation). Durch Anregung von Emil von Behring widmete sich Meyer in Marburg auch intensiv der Tetanusforschung. Durch zahlreiche Tierexperimente konnte er nachweisen, dass sich das Tetanustoxin während der Inkubationszeit von der Eintrittsstelle durch die peripheren Nerven auf das Zentralnervensystem ausbreitet und im Rückenmark seine toxische Wirkung entfaltet. Dadurch konnte er zeigen, weshalb die Behandlung mit Antitoxin nur begrenzte Wirkung erzielte, und bewies letztlich die Wirksamkeit prophylaktischer Heilserumsimpfungen bei Wundverletzten.
In Wien stellte Meyer mit seinen Mitarbeitern um 1910 die entzündungshemmende Wirkung des Calciums durch Verminderung des Flüssigkeitsaustritts von Gefäß- und Lymphspalten fest und legte damit die Grundlage für die Kalktherapie.
Gemeinsam mit dem Heidelberger Pharmakologen Rudolf Gottlieb publizierte er 1910 das bald international berühmte Lehrbuch „Experimentelle Pharmakologie als Grundlage der Arzneibehandlung“, in dem er die Arzneimittel erstmals „organotrop“ – nach Organsystemen, Körperfunktionen und Krankheitsfaktoren – ordnete und damit ihre Anwendung für Ärzte leichter möglich machte.
In Wien fungierte Meyer neben seiner universitären Tätigkeit als Berater der Wiener Poliklinik und der von ihm mitbegründeten „Herzstation“ in Wien. Er hatte großen Einfluss auf die österreichische Arzneimittel-Gesetzgebung und wirkte etwa mit Ernst Peter Pick an der „Spezialitätenordnung“ von 1925 mit, die eine Prüfung neuer Arzneispezialitäten durch die von ihm geleitete Chemisch-pharmazeutische Untersuchungsanstalt vorschrieb.

Für seine wissenschaftlichen Verdienste wurde Hans Horst Meyer vielfach ausgezeichnet: So gehörte er der Akademie der Wissenschaften in Wien ab 1905 als korrespondierendes Mitglied, ab 1920 als wirkliches Mitglied an. Er war darüber hinaus Mitglied in zahlreichen in- und ausländischen Gesellschaften und Vereinigungen, u. a. 1913 Vorsitzender der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte. Die Universitäten Königsberg, Marburg, Riga, Dorpat, Athen und Wien ernannten ihn zum Ehrendoktor; zudem wurde er zum Hofrat und später zum Medizinalrat ernannt, war Träger des Ehrenzeichens für Wissenschaft und Kunst und ehrenhalber Bürger der Stadt Wien (1932).
Die anlässlich seines 70. Geburtstags 1923 für die Akademie der Wissenschaften in Wien gestiftete Meyer-Gedächtnismedaille wurde zuletzt 1933 verliehen. Die für 1938 geplante Verleihung an Meyers Sohn Kurt H. Meyer kam aufgrund des „Anschlusses“ an NS-Deutschland im März 1938 nicht mehr zustande. Sein anderer, in Berlin ansässiger Sohn Arthur Woldemar Meyer hatte seine Frau und sich selbst bereits 1933 erschossen, vermutlich da sie als jüdisch galten. Hans Horst Meyer selbst trat im Dezember 1938 aus der Wiener Akademie der Wissenschaften aus, um seinem Ausschluss aus rassistischen Gründen zuvorzukommen. Aus der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina in Halle an der Saale sowie aus der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin wurde er als sogenannter „Nichtarier“ ausgeschlossen. Wenig später verstarb er in Wien und wurde in Marburg bestattet.

Seine wertvolle Sammlung von Handschriften sowie Dokumente zu Meyers Leben befinden sich in der Duke University Rubenstein Library. 1953 wurde im Arkadenhof der Universität Wien ein Denkmal für Meyer enthüllt. Die Österreichische Pharmakologische Gesellschaft verleiht seit 2005 den Hans-Horst-Meyer-Preis.

Werke (Auswahl)

Beiträge zur Kenntnis des Stoffwechsels im Organismus des Huhnes (Dissertation), 1879.
gem. mit Oswald Schmiedeberg: Über Stoffwechselprodukte nach Campherfütterung (in: Zeitschrift für physiologische Chemie 3), 1879.
gem. mit Wladimir Steinfeld: Untersuchungen über die toxischen und therapeutischen Wirkungen des Wismuths (in: Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie 20), 1886.
gem. mit Fred Ranson: Untersuchungen über den Tetanus (in: Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie 49), 1903.
gem. mit Rudolf Gottlieb: Die experimentelle Pharmakologie als Grundlage der Arzneibehandlung. Ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte, 1910 (9. Auflage 1936).
Aufgaben und Ergebnisse pharmakologischer Forschung (Inaugurationsrede), 1917.
Über Kalktherapie (in: Österreichische Zeitschrift für Stomatologie 18), 1920.
Gesetzlichkeit des Lebens, 1924.
Pharmakologische Grundlagen des Reizkörpertherapie, 1925.
Die Narkose und ihre allgemeine Theorie (in: Handbuch der normalen und pathologischen Physiologie I), 1927.

Katharina Kniefacz

Zuletzt aktualisiert am 28.03.2024 - 20:53

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