Viktor Christian, o. Univ.-Prof. Dr. phil.

30.3.1885 – 28.5.1963
geb. in Wien, Österreich gest. in Walchsee, Österreich

Funktionen

Dekan*in Philosophische Fakultät 1938/39–1942/43
Rektor Philosophische Fakultät 1944/45

Viktor Christian wurde 1922 an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien im Fach "Semitisch mit besonderer Berücksichtigung der Keilinschriften" habilitiert. 1924 wurde er zum außerordentlichen Professor und 1930 zum ordentlichen Professor für "Altsemitische Philologie und orientalische Archäologie" ernannt. Bei seinen Forschungen ging Christian von dem rassistischen Grundsatz aus, dass geistige Fähigkeiten auf die Erbanlagen zurückzuführen wären und legte wesentliche Grundlagen für eine antisemitische Judenforschung an der Universität Wien. Er gehörte dem Anfang der 1920-er Jahre gegründeten antisemitischen Professorennetzwerk "Bärenhöhle" an, das unter anderem dafür sorgte, Habilitationen und Berufungen jüdischer oder linker WissenschafterInnen an der Universität Wien zu verhindern.

Involvierung in den Nationalsozialismus

Viktor Christian trat bereits vor dem "Anschluss" 1938 der NSDAP bei. Während des Austrofaschismus wurde er als Anhänger des Nationalsozialismus vorübergehend in den Ruhestand versetzt, jedoch bereits 1936 wieder als Universitätsprofessor reaktiviert.

Nach dem "Anschluss" wurde Christian 1938 Direktor des Orientalischen Instituts und Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften sowie 1939 Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Wien. Er trat der SS bei und übernahm zusätzlich die Funktion eines Abteilungsleiters bei der SS-Organisation "Ahnenerbe", über die das Orientalische Institut mehrere Tausend Bücher aus "arisierten" Bibliotheken erhielt (u.a. Bibliotheken von Rabbinern und vertriebenen jüdischen Gemeinden aus dem Burgenland, Bücher aus der von Adolf Eichmann geleiteten "Zentralstelle für jüdische Auswanderung"). Für Christian stellten diese "ein vorzügliches Werkzeug zur Erforschung der geistigen Grundlagen des Judentums" dar - also Material für antijüdische Forschungen, die wissenschaftliche Grundlagen für die antisemitische Politik des Nationalsozialismus liefern sollten. 
Obwohl der aus rassistischen Gründen verfolgte Albanologe Norbert Jokl seine Privatbibliothek und seinen Nachlass dem Staat Albanien vererbt hatte, sorgte Viktor Christian gemeinsam mit Paul Heigl, Direktor der Nationalbibliothek, für die Beschlagnahmung und "Arisierung" der wertvollen Bestände.
​Den NS-Raub der Bücherbestände stellte Christian später als Bewahrungsaktionen dar:

"...es wurden durch diese Maßnahmen wertvollste kulturelle Güter vor dem Untergang gerettet."
​Viktor Christian, 1948 (zit. nach Rupnow, 2010)

Angeregt durch den Ur- und Frühgeschichtler Richard Pittioni initiierte Viktor Christian 1941 zudem Exhumierungen jüdischer Gräber auf dem Friedhof in Wien-Währing, um „jüdisches Skelettmaterial“ für anthropologische Forschungen zur "Rassengeschichte" und "Vererbungswissenschaft" zu gewinnen.

"Aus dem irritierenden, aber nur scheinbaren Gegensatz – der rassistischen Ausgrenzung als „jüdisch“ definierter Menschen bis hin zur systematischen Ermordung auf der einen Seite und der Erforschung ihrer Geschichte und Kultur auf der anderen Seite – resultiert auch Schuberts Charakterisierung Christians als „philosemitischer Nazi“.[...] Bei aller Ambivalenz kann nicht übersehen werden, dass die Erforschung jüdischer Geschichte und Kultur im „Dritten Reich“ in Wien antisemitisch grundiert und komplementär zur antijüdischen Politik gestaltet war."
Rupnow, 2010

Ab 1943 fungierte Viktor Christian als Prorektor der Universität Wien. Nach dem Ende der Amtszeit seines Vorgängers Eduard Pernkopf übernahm Christian im April 1945 das Rektorat, übte dieses jedoch nur für wenige Tage aus - bereits am 10. April wurde das Universitätsviertel durch die Rote Armee besetzt.

"Entnazifizierung"

Im Zuge der "Entnazifizierung" der Professorenschaft der Universität Wien wurde Viktor Christian nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aufgrund seiner "illegalen" Mitgliedschaft in der NSDAP sowie seiner SS-Mitgliedschaft am 6. Juni 1945 entlassen und nach dem "Nationalsozialistengesetz" 1947 als "belastet" eingestuft. Im Rahmen der Amnestiegesetzgebung wurde er 1950 rehabilitiert und in den regulären Ruhestand mit Pensionsbezügen versetzt.

1955 wurde Viktor Christian zum Ehrenmitglied der Anthropologischen Gesellschaft ernannt. Seine Schüler Kurt Schubert und Johannes Botterweck gaben 1956 eine Festschrift zu Ehren Viktor Christians 70. Geburtstag heraus. 50 Jahre nach seiner Promotion an der Universität Wien erfolgte 1960 die feierliche Erneuerung des Doktordiploms an der Universität Wien (Goldenes Doktordiplom). Der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gehörte Christian seit 1938 ununterbrochen bis 1963 an.

Katharina Kniefacz

Zuletzt aktualisiert am 13.03.2024 - 21:20

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