Von Mineralogie, Geognosie, Geologie und Paläontologie

Zur Geschichte der Erdwissenschaften an der Universität Wien
19. Jhdt.–20. Jhdt.

Von der auf äußere Beschreibung der Mineralien beruhenden Mineralogie des ausgehenden 18. Jahrhunderts bis zur in historischen Dimensionen denkenden Geologie, die sich in Wien im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts voll ausgebildet hat, war ein weiter Weg an empirischen Erkenntnissen zurückzulegen. Mit der Mineralogie in engem Zusammenhang stand die Geognosie, die sich mit der Analyse des sichtbaren Erdäußeren begnügte, ohne in die historische Tiefe der Erdveränderungen vorzudringen. An der Universität Wien vollzog sich dieser gravierende Wechsel des Denkens innerhalb weniger Jahre und ist mit den Namen Franz Xaver Maximilian Zippe (1791-1863) und Eduard Suess (1831-1914) aufs engste verknüpft.

Während Zippe als treuer Epigone von Friedrich Mohs (1773-1839) an dessen naturhistorischer Methode, die ein aus der Botanik und Zoologie entlehntes Verfahren der Heranziehung äußerlich sichtbarer Eigenschaften für die Mineralogie war, festhielt, begründete Suess die moderne Geologie in Wien.

Neben der Geognosie und der Geologie entwickelte sich in Wien seit der Mitte des 19. Jahrhunderts auch die Paläontologie, die sich im frühen 20. Jahrhundert von einer Hilfswissenschaft der Geologie (Stratigraphie) zu einer selbständigen, biologischem Denken verpflichteten Wissenschaft entwickelte. Die Leistung, die Paläontologie aus dem stratigraphischen Korsett der Stratigraphie herausgelöst zu haben, verdankt sich dem Suess-Schüler Othenio Abel (1875-1946), der eine Paläobiologie schuf, in die er ökologische, ethologische sowie phylogenetische Ansätze aus der Biologie einbrachte.

Wurzeln im Bergbau

In den deutschsprachigen Ländern bildet der Bergbau Ausgangspunkt und Basis der Erdwissenschaften. Aus dieser empirischen Quelle resultierte bis zum Beginn des 18. Jahrhundert wohl eine Akkumulation geologischer Erkenntnisse, die jedoch noch nicht zur Etablierung eines wissenschaftlichen Systems führte. Diesen Systemcharakter erlangte die Geologie erst gegen Ende des Jahrhunderts, als eine stark wachsende Nachfrage nach Rohstoffen eine Erhöhung der Produktivität im Bergbau erforderte, was meistens eine Zusammenführung der bis dahin angehäuften geowissenschaftlichen Einzelerkenntnisse bedingte. Zudem gelang es im Zeitalter der Aufklärung, die Naturwissenschaften im Allgemeinen und die Erdwissenschaften im Besonderen aus der religiösen Bevormundung durch Theologie und Kirche zu befreien. Die Verfangenheit der Geognosie in religiösen Denkweisen hatte ihren sinnfälligsten Ausdruck in der Sintfluttheorie gefunden, die jede Beobachtung und Erkenntnis auf den biblischen Sintflutmythos zurückführte, wodurch jeder wissenschaftliche Fortgang über Jahrhunderte zum Stillstand gekommen war.

Einen weiteren und ganz entscheidenden Schritt hin zur Herausbildung der Geologie als Wissenschaft stellte die Bewertung der Frage nach dem Alter der Erde dar. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts wurde die Entstehung der Erde zumeist unter streng religiöser Motivation betrachtet, wobei die bereits erwähnte Sintfluttheorie als Erklärung für geologische und paläontologische Erscheinungen und Prozesse herangezogen wurde. Häufig wurden geologische Ereignisse in das Korsett der biblischen Exegese gezwungen, wonach sich die Entstehung der Erde aus dem Siebentagewerk der Schöpfung ergab, die Versteinerungen als untrügliches Zeichen der Sintflut interpretiert wurden und man für die Vergangenheit der Erde aus der in der Bibel beschriebenen Geschlechterfolge einen Zeitraum von 6.000 Jahren berechnete.

Bis in das 19. Jahrhundert wurde im deutschen Sprachraum die Gesamtheit erdwissenschaftlicher Erkenntnisse unter dem Begriff Mineralogie zusammengefasst. Da man vom fassbaren, konkreten stofflichen Objekt ausging, bildete das Mineral den Ausgangspunkt für die Gegenstandsbestimmung der Mineralogie im weitesten Sinne, in die nach und nach auch geologische Fragestellungen vorzugsweise des Vorkommens und der Verbreitung der Mineralien und vor allem der Geschichtlichkeit der Erdentwicklung einflossen. Die heutige moderne Geologie hat sich aus diesem Komplex erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts herausgelöst und entwickelt. So wurde dann zunächst für den gesamten Bereich der Begriff Geognosie verwendet als die Lehre von der Struktur und dem Bau der festen Erdrinde. Demgegenüber bezeichnete der Terminus Geologie die Bildungsgeschichte des Erdkörpers, also die Entwicklung der Erde in der zeitlich-historischen Dimension.

Von sytematischer Mineralogie zur Geologie

An der Universität Wien prallten die beiden Denkrichtungen in den Persönlichkeiten des konservativen Mineralogen Franz Xaver Maximilian Zippe (1771-1863) und des moderner geologischer Methodik verpflichteten Erdwissenschafters Eduard Suess (1831-1914) zusammen. Zippe, der im Wintersemester 1850/51 im Zuge der Thun-Hohensteinschen Reform den ersten Lehrstuhl für Mineralogie in Wien erhalten hatte, fühlte sich Zeit seines Lebens dem mineralogischen Klassifikationssystem von Friedrich Mohs (1771-1839) verpflichtet. Dieser, ein Schüler Abraham Gottlob Werners (1749-1817) und dessen Nachfolger an der berühmten Bergakademie in Freiberg in Sachsen, wurde 1812 zum Professor für Mineralogie an dem 1811 neu gegründeten Joanneum in Graz ernannt und trat 1818 die Nachfolge des im Jahr davor verstorbenen Werner in Freiberg an. 1826 wurde er als Professor für Mineralogie an die Universität Wien berufen und ordnete auf Veranlassung Kaiser Franz’ I. (II.) die mineralogische Sammlung des Hofmineralinkabinetts nach seinem System; zudem erhielt er die Erlaubnis, diese Kollektion für Unterrichtszwecke zu nutzen. Mohs war vor allem seit dem Erscheinen seines Werkes „Grundriß der Mineralogie“ (Dresden 1822-1824) die Autorität auf dem Gebiet der Mineralogie in Österreich schlechthin geworden. Ähnlich Werners empirisch-deskriptiver Methode schuf er eine systematische Betrachtung einzelner Mineralien auf der Grundlage der von ihm weiter entwickelten Kristallographie. Mohs’ Methode war ein aus der Botanik und Zoologie entlehntes Verfahren der Heranziehung äußerlich sichtbarer Merkmale für die Systematik, die er auf die Mineralogie übertrug. Als „Naturhistorische Eigenschaft“ definierte Mohs „jede Eigenschaft, die an irgend einem Minerale in seinem ursprünglichen Zustande erkannt und wahrgenommen werden kann, ohne dass durch deren Betrachtung und Untersuchung das Mineral diesen, seinen ursprünglichen Zustand verlässt, oder die wenigstens gestattet, dass es, wenn es ihn verlassen, wieder in denselben zurückkehrt“. Chemische Eigenschaften wurden hingegen völlig außer Acht gelassen, da es nach Mohs möglich sein musste, die Mineralogie als eigenständige Wissenschaft nur über Untersuchung der naturhistorischen Eigenschaften zu definieren.

Zippe wurde wohl durch seine Beschäftigung mit der Kristallographie, der er von Beginn an sein Hauptaugenmerk zuwandte, zu einem Adepten der Mohs’schen Methodik. Auch durch seine Lehrtätigkeit trug Zippe erheblich zur Verbreitung und Befestigung der Mohs’schen Ideen bei, wie dies Friederich Mohs zu Lebzeiten auch beabsichtigt hatte.

Das Festhalten Zippes an der Mineralogie Mohs’scher Prägung kam auch im Jahre 1862, als die Einführung des Geologieunterrichts an den österreichischen Gymnasien und Realschulen diskutiert wurde, zum Ausdruck. In mehreren Schriften geht Zippe dabei grundsätzlich auf sein Verhältnis zur Geologie ein, der er bloß spekulative Aussagen zubilligt und aus diesem Grund für den Schulunterricht als ungeeignet ansieht. Demgegenüber hält er die Geognosie, die ohne alle historischen Aspekte den Bau der heutigen Erdrinde beschreibt, als für den Unterricht wertvoll. Zippe lehnte also ganz entschieden den historischen Aspekt der modernen Geologie ab, bekannte sich zu einer rein deskriptiven Methode und hatte geistig die Historisierung der Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert noch kaum rezipiert. Diese äußerst konservative Betrachtungsweise, die den Zugang zu moderneren Sichtweisen an der Universität Wien sehr stark hemmte und verzögerte, musste naturgemäß den Widerstand von Zippes jüngeren Kollegen Eduard Suess und Carl Ferdinand Peters (1825-1881: ab 1864 erster Ordinarius für Mineralogie und Geologie an der Karl-Franzens-Universität Graz) provozieren, die im Rahmen der Schulfrage gegen Zippes allzu starres Festhalten an der naturhistorischen Methode sowie seine Ablehnung der Geologie als Unterrichtsfach polemisierten.

Franz Xaver Maximilian Zippe verstarb am 22. Februar 1863. Nach dem Tod dieses treuen Adepten des Mohs’schen Mineralsystems, das in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts nicht mehr dem internationalen Standard der Geowissenschaften entsprach, trat mit Eduard Suess nunmehr ein wesentlich modernerer Forscher in den Mittelpunkt der Wiener erdwissenschaftlichen Forschung, die unter seiner Führung weit über die österreichischen Grenzen hinweg Bedeutung erlangen sollte.

Zur Entwicklung der Paläontologie

Bis in das 19. Jahrhundert hinein waren die führenden Naturforscher, darunter auch der große Carl von Linné (1707-1778), von dem von Platon und Aristoteles aufgestellten Dogma der unveränderlichen Art überzeugt. Die paläontologischen Funde zeigten in den verschiedenen Schichten allerdings unterschiedliche Faunen. Es ergab sich daraus die Frage, ob die Tatsache einst andersartiger Lebewesen von deren Umwandlung in die heutigen oder von deren Untergang zeuge. Dabei pflegte sich die Annahme vom Untergang unveränderlicher Arten mit der Vorstellung von Katastrophen zu verknüpfen, deren es bei der Annahme der Artveränderung nicht bedurfte.

So führte Georges Cuvier (1769-1832) den Wechsel von Meeres- und Landfaunen im Tertiär des Pariser Beckens auf wiederholte, die Faunenpopulationen vernichtende Flutkatastrophen zurück. Der französische Paläontologe Alcide d’Orbigny (1802-1857), ebenso Katastrophist wie Cuvier, brachte wie dieser den Wechsel der Faunen in den Zwischenschichten mit katastrophalen geologischen Ereignissen in Zusammenhang. Ganz ähnliche Theorien vertrat der schweizerische Ichthyologe Jean Louis Rodolphe Agassiz (1807-1873).

Einen mehr aktualistischen Ansatz vertrat der Heidelberger Zoologe und Paläontologe Heinrich Georg  Bronn (1800-1862), der zwar auch noch von der Unveränderlichkeit der Arten ausging, jedoch längere Zeitabschnitte für den Wechsel annahm.

Jean-Baptiste Lamarck (1744-1828), ebenso wie Cuvier am Museum d’ Histoire Naturelle in Paris tätig, war Spezialist für rezente und fossile Wirbeltiere. Als einer der frühesten Aktualisten sah er beim Artenwechsel keine Notwendigkeit für Katastrophen. Als Ursache für den Artenwandel sieht er die Vererbung erworbener Eigenschaften. Nach Lamarck erwerben Einzelindividuen somit gewisse Fähigkeiten, die sie als Entwicklungstendenz an ihre Nachkommenschaft weitergeben. Dieser evolutionistischen Auffassung schloss sich auch der bedeutende französische Paläontologe Etienne Geoffroy Saint-Hilaire (1772-1842) an, welcher der Katastrophentheorie Cuviers ebenfalls äußerst ablehnend gegenüberstand.

Neben den beiden Denkrichtungen der Katastrophisten und der Aktualisten trat zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine dritte: die der Empiristen, die durch präzise Beobachtung und Erforschung der Gesteinsschichten auf deren Alter schließen wollten. Eine epochale Entdeckung glückte dabei einem der frühesten Vertreter dieser Richtung, dem englischen Straßenbau- und Kanalingenieur William Smith (1769-1839). Er erkannte, dass bestimmte Fossilien immer nur in bestimmten Schichten vorkommen; damit begründete er das Leitfossilprinzip. Diese Erkenntnis, der in Deutschland Ernst Friedrich von Schlotheim (1764-1832) die Bahn brach, hatte auch auf Eduard Suess’ paläontologische und geologische Forschungen den größten Einfluss. Dieser stratigraphische Ansatz der Paläontologie war bis ins frühe 20. Jahrhundert vorherrschend. Durch die Möglichkeit dieser relativen Altersbestimmung von Gesteinsschichten galt die Paläontologie lange Zeit primär als Hilfswissenschaft der Geologie. In Österreich hat erst Othenio Abel (1875-1946), ein Schüler von Eduard Suess, einen Paradigmenwechsel eingeleitet, indem er mit der Schaffung der Paläobiologie als eigenes Lehr- und Wissenschaftsfach die Paläontologie gleichsam „biologisierte“ und auf diese Weise von der Geologie emanzipierte.

Abschließend sei noch kurz die Deszendenztheorie von Charles Darwin (1809-1882) skizziert, die er 1859 in seinem epochalen Werk „The Origin of Species by Means of Natural Selection“ (London 1859) niedergelegt hatte. Darwin versuchte eine Erklärung für die Ursachen des Umwandlungsprozesses von Lebewesen zu geben. Er erklärte die Diversität durch zufällige Mutationen und eine Selektion, die aus dem „Vorrat“ an Mutationen die für die jeweils aktuelle Umweltsituation günstigste Variante auswählt. Die Mutationen erfolgen dabei völlig zufällig. Darwins Theorie, obwohl von Charles Lyell (1797-1875) in der 10. Auflage seiner “Principles of Geology“ begrüßt, setzte sich im 19. und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts weder in der europäischen noch in der amerikanischen Paläontologie durch. Vielmehr griff man auf die von Lamarck formulierte Anpassung durch aktiven Gebrauch zurück. Der Brüsseler Paläontologe Louis Dollo (1857 - 1931) und dessen Schüler Othenio Abel vertraten diese Ideen des Neolamarckismus bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. Erst seit den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts setzte sich der Neodarwinismus, „der als Synthetische Theorie der Evolution in der Rezentbiologie und Genetik zu alleiniger Herrschaft gelangt war“, auch im Bereich der Paläontologie allgemein durch.