Erika Weinzierl, o. Univ.-Prof. Dr. phil.

6.6.1925 – 28.10.2014
geb. in Wien, Österreich gest. in Wien, Österreich

Professorin für Zeitgeschichte 1979-1995

Ehrungen

Ehrung Titel Datierung Fakultät
Raumbenennung Erika-Weinzierl-Saal 2016 Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät

Erika Weinzierl war eine weit über die akademischen Grenzen hinaus bekannte Zeithistorikerin, die mit großem Engagement für eine kritische Auseinandersetzung mit der jüngsten Geschichte Österreichs, insbesondere mit Antisemitismus und Nationalsozialismus, eingetreten ist und mehrere Generationen von HistorikerInnen nachhaltig geprägt hat. Ethisches aktives Handeln zur Durchsetzung von Menschenrechten und eine offene historische Auseinandersetzung mit Menschenrechtsverletzungen ziehen sich wie ein roter Faden durch das Werk Weinzierls.

Am 6. Juni 1925 in Wien als Erika Fischer geboren, legte sie 1943 am Humanistischen Gymnasium im 5. Bezirk die Reifeprüfung ab, um sofort vom NS-Regime zum Arbeitsdienst verpflichtet zu werden, wobei sie in einem Rüstungsbetrieb in Wien, als Straßenbahnschaffnerin und im Waldviertel auf einem Bauernhof arbeitete. 1945 nach der Befreiung Österreichs, die Erika Weinzierl im Unterschied zu vielen ihrer Landsleute als Befreiung empfunden hatte, begann sie mit dem Studium der Geschichte und Kunstgeschichte – in einem antifaschistischen und österreich-patriotischen Umfeld (sowohl bezüglich ihrer Kollegen wie dem späteren Ordinarius für Judaistik Kurt Schubert oder ihrer akademischen Lehrer). 1948 promovierte sie in Geschichte und hatte auch den 44. Lehrgang am Institut für österreichische Geschichtsforschung abgeschlossen, um dann als Archivarin am Haus-, Hof- und Staatsarchiv in den Bundesdienst einzutreten.

1948 heiratete Erika Fischer den Physiker und späteren Ordinarius am Institut für Physik Peter Weinzierl. 1950 und 1954 wurden ihre beiden Söhne Michael und Ulrich geboren.

Nach ihrer Habilitation für Österreichische Geschichte 1961 ging sie 1964 als Vorständin des kirchlichen Instituts für Zeitgeschichte nach Salzburg. Sie lehrte zusätzlich an der Universität Salzburg, wo sie 1969 zur ordentlichen Professorin für Österreichische Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der Zeitgeschichte ernannt wurde.

1977 gründete sie das Ludwig-Boltzmann-Institut für Geschichte der Gesellschaftswissenschaften (seit 1991 als Institut für Geschichte und Gesellschaft tätig, das sie gemeinsam mit Siegfried Mattl und Oliver Rathkolb leitete), und wurde als Nachfolgerin von Ludwig Jedlicka an das Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien berufen, wo sie zwischen 1979 bis 1995 auch viele Jahre als Institutsvorständin tätig war. Sie war auch als Emerita weiterhin höchst aktiv in die Zeitgeschichtsforschung und in Vermittlungsaktivitäten eingebunden.

Erika Weinzierl reagierte wie keine Zeithistorikerin und kein Zeithistoriker vor ihr in wissenschaftlichen Arbeiten, in der Lehre und StudentInnenausbildung sowie bei öffentlichen Auftritten in den Medien und bei Vorträgen immer offen auf gesellschaftspolitische Trends und Strömungen und hatte eine Präsenz in der österreichischen Öffentlichkeit, die untypisch für akademische HistorikerInnen ist.

Bereits 1963 publizierte sie in der renommierten Religions- und Kulturzeitschrift „Wort und Wahrheit“ Monsignore Otto Mauers einen ersten, zweiteiligen Aufsatz, der das vom wissenschaftlichen Diskurs ausgesparte „heiße“ Thema „Österreichs Katholiken und der Nationalsozialismus 1938–1945“ in das Zentrum einer historischen Arbeit stellte. Gemeinsam mit Schwester Hedwig Wahle, Otto Mauer und Kurt Schubert erarbeitete sie die „Judenerklärung“ der Wiener Diözesansynode 1970, die – bahnbrechend für die katholische Kirche Österreichs – den Antisemitismus entschieden verurteilte.

Noch deutlicher als in ihren Werken reflektierte Erika Weinzierl in der Lehre gesellschaftspolitische Entwicklungen – sei dies im Zusammenhang mit der Öffnung der katholischen Kirche in den 1960er-Jahren (auch hinsichtlich der Sozialdemokratie) bis hin zu den Nachbeben der 1968-Studenten-„Revolution“ in Salzburg, wobei sie – obwohl persönlich damals heftig attackiert – immer gesprächs- und diskursbereit blieb. Aktiv als Publizistin schaltete sie sich in den Demokratiereformdiskurs um den Chefredakteur der Salzburger Nachrichten, Karl Heinz Ritschel, ein, um die verkrusteten Strukturen von Parteiproporz und Großer Koalition aufzubrechen.

Der Wissenschaftshistoriker und Philosoph Friedrich Stadler verwies zu Recht auf ihre Rolle im Zusammenhang mit der Emanzipation von Frauen:
„Sie hat gerade deshalb immer wieder auf die Marginalisierung und Diskriminierung von Frauen im Laufe der Geschichte aufmerksam gemacht und hat als eine der ersten mit ihrem Buch ‚Emanzipation? Österreichische Frauen im 20. Jahrhundert‘ (1975) auf die verschüttete Historiografie sowie auf die prekäre – noch immer vorhandene – Ungleichheit hingewiesen. Nicht zuletzt dokumentiert die Herausgabe eines Buches über die antinazistische Irene Harand zugleich den vergessenen weiblichen Widerstand. Der nach ihr benannte, im Jahre 2002 gestiftete ‚Erika Weinzierl Preis für Frauen und geschlechterspezifische Arbeiten‘ an der Universität Salzburg wird ein bleibendes Signal für die künftige Forschung und Wissenschaftspolitik darstellen.“

Als engagierte Demokratin und Österreicherin war sie eine kritische Analytikerin der autoritären und faschistischen Vergangenheit Deutschlands und Österreichs sowie totalitärer Regime während des Kalten Krieges (so als aktive Unterstützerin tschechischer und slowakischer Oppositioneller bis 1989). Nie scheute sie die Auseinandersetzung mit prominenten Politikern wie Bruno Kreisky, den sie wegen seiner Haltung in der Wiesenthal-Peter-Auseinandersetzung ebenso kritisierte wie Jörg Haider wegen dessen wiederholter Verharmlosung von Nationalsozialismus, Zweitem Weltkrieg und Holocaust.

Während sie Bruno Kreisky gerade wegen dieser Offenheit schätzte und mit anderen zur Gründung der Gesellschaft für Politische Aufklärung motivierte, blieben Jörg Haider und die FPÖ ihr gegenüber immer auf aggressiver Distanz, eine Haltung, die zunehmend auch viele – aber nicht alle! – FunktionärInnen der ÖVP, der Erika Weinzierl bis 1995 als ÖAAB-Mitglied angehörte, einnahmen.

Zahlreiche mehrfach aufgelegte Sammelwerke zur Geschichte der Zweiten und Ersten Republik tragen ihre Handschrift und sind auch international akklamiert und rezipiert worden.

Besonders prägend war Erika Weinzierl für hunderte HistorikerInnen während ihrer Universitätsstudien in Salzburg und Wien, die positiv von ihrem Engagement, Geschichte als sozialen Auftrag zu sehen, beeinflusst wurden.

Oliver Rathkolb

Zuletzt aktualisiert am 25.10.2023 - 18:15

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