„Der Muse reichtʼs“

Denkmal für die Würdigung der Leistungen von Wissenschafterinnen der Universität Wien, 2009, Kunstprojekt von Iris Andraschek im Arkadenhof der Universität Wien
2009–21. Jhdt.

Die Unsichtbarkeit von Frauen in der Wissenschaft spiegelte sich auch in der Erinnerungspraxis der Universität Wien wider. Mit dem Projekt "Der Muse reicht's" der Künstlerin Iris Andraschek weist die Universität Wien seit 2009 auf die bislang nicht erfolgte Ehrung der Leistung von Wissenschafterinnen hin und stellt eine überdimensionale weibliche Schattensilhouette der männlichen Hegemonie im Wissenschaftsbetrieb gegenüber.

Versäumnis als Ausgangspunkt

Mit 154 Denkmälern würdigt die Universität Wien herausragende Persönlichkeiten im Arkadenhof – darunter befindet sich jedoch nur eine einzige Ehrentafel für eine Frau, jene für Marie von Ebner-Eschenbach. Seit mehreren Jahren wurde dieser Umstand kritisch reflektiert –, sowohl Wissenschafterinnen und Wissenschafter als auch Studierende haben immer wieder Initiativen gestartet und darauf aufmerksam gemacht.

Diese symbolische Repräsentation spiegelt den gegenwärtigen Stand der Frauenförderung und Gleichstellung an der Universität Wien nicht adäquat wieder: Zwar wird die Gleichstellung auch für das 21. Jahrhundert wichtige Agenden der Universität darstellen, doch konnten besonders seit Anfang der 1990er Jahre im Sinne des Gender-Mainstreaming wesentliche Fortschritte erzielt werden. Diese positive Entwicklung einer klaren Zielsetzung hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit im Wissenschaftsbereich sollte nun auch auf einer symbolischen Ebene – in der  Ehrungspolitik der Universität Wien – sichtbar werden.

Den Umstand, dass Frauen in der universitären Ehrungspolitik kaum vertreten sind, machte die Universität Wien gemeinsam mit der Bundesimmobiliengesellschaft 2009 zum Gegenstand eines geladenen Kunstwettbewerbs, den Iris Andraschek mit ihrer Arbeit "Der Muse reicht's" für sich entscheiden konnte.

Positionierung im Arkadenhof der Universität Wien

Iris Andraschek bringt dieses Versäumnis über eine Schattenintarsie zum Ausdruck. Frauen und Männer haben nicht nur gleiche Rechte, sie tragen gleichberechtigt zu Forschung und Lehre bei. Die Tatsache, dass die Zulassung von Frauen zu einem Universitätsstudium zu Beginn des 20. Jahrhunderts weibliche Universitätskarrieren überhaupt erst ermöglicht hat und es Professorinnen an der 1365 gegründeten Universität erst seit etwas mehr als 50 Jahren gibt, wird auf diesem Weg auch als grundsätzliches gesellschaftliches Phänomen thematisiert.

Die Künstlerin hat auf den patriarchalisch-humanistischen hortus conclusus des Arkadenhofs der Universität Wien einen Schatten fallen lassen, der sich nun ungeachtet der Lichtverhältnisse Tag und Nacht dort behauptet. Sie konzipierte die schräg über einen Teil des Hofs gelegte riesenhafte Schattensilhouette einer weiblichen Figur, die breitbeinig dastehend in kämpferischer Haltung ihre geballte Faust hochreckt: Ein unübersehbares, zugleich ambivalentes Zeichen der Präsenz von Frauen in der Wissenschaft und ein Signal für die öffentliche Anerkennung, die keiner von ihnen an diesem Ort bisher zugestanden wurde.

Iris Andraschek nahm die im Arkadenhof zentrale Statue der Nymphe Kastalia sowohl raumstrukturell als auch thematisch zum Ausgangs- und Angelpunkt ihrer Arbeit: Kastalia hütete im Apollotempel in Delphi die kastalische Quelle, die den Musen geheiligt war und deren Wasser zu Dichtung und Weisheit inspirierte. Aus der allegorischen Hüterin einer als männlich verstandenen Wissenschaft wird bei Andraschek eine mehrdeutige, auch bedrohliche Figur, die sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft weist. Die Widersprüchlichkeit der Schattenfigur symbolisiert auf provokante Art die An- und Abwesenheit der Frauen in diesem Kontext: das flüchtige Gebilde des Schattens verfestigt sich in „ewig“ haltbarem Granit, das sprichwörtlich ephemere, vom Licht abhängige Schattenphänomen ist in Stein erstarrt.

Werkbeschreibung

Die Schattenintarsie aus anthrazitfarbigem Granit „Nero Assoluto“ ist in den bestehenden Steinboden eingelegt. Sie ist circa 28 Meter lang und 9 Meter breit. Den Umriss des Schattens entwickelte Andraschek aus einer Fotoserie, in der Mitarbeiterinnen und Studentinnen der Universität Wien Haltung zu ihrer Nichtvertretung im Arkadenhof einnahmen und als lebende Denkmäler posierten. Zusätzlich bezogen sie in Interviews Stellung zu den Versäumnissen bei den Ehrungen von Frauen an der Universität. Anhand dieser Fotos und in Anlehnung an historische und zeitgenössische Darstellungen revolutionärer Frauenfiguren komponierte die Künstlerin dann die Schattenriss. Diese Figur wurde im Innenhof von der Basis des Kastaliabrunnens ausgehend vorgezeichnet, danach aus den vorhandenen Kalksteinplatten ausgeschnitten und mit fugengenau zugeschnittenen Granitplatten in Drainagemörtel verlegt. Dabei hält die Schattenfigur die vorhandene Verlegestruktur des Kalksteins ein, das Fugenbild läuft weiter. Ergänzt wird die Arbeit durch zwei mit Inschriften versehene Sockel: Die beiden Granitquader (135 × 132 × 38 cm) befinden sich an der Freitreppe zum Arkadenhof.

Inschrift Sockel 1

Sockel 1 trägt Titel, Entstehungsjahr, Name der Künstlerin und folgende Inschrift:

ERINNERUNG AN DIE NICHT STATTGEFUNDENEN
EHRUNGEN VON WISSENSCHAFTERINNEN
UND AN DAS VERSÄUMNIS, DEREN LEISTUNGEN
AN DER UNIVERSITÄT WIEN ZU WÜRDIGEN.

Der Text stammt von Iris Andraschek und verweist explizit auf die Versäumnisse der Vergangenheit, die Leistungen von Wissenschafterinnen der Universität Wien gleich jenen ihrer männlichen Kollegen zu würdigen.

Inschrift Sockel 2

So wie die Künstlerin Frauen der Universität bei der Generierung des Schattens mit einbezog, ist auch die Inschrift des 2. Sockels aus einem Diskussionsprozess entstanden. Die Abteilung Frauenförderung und Gleichstellung, das Rektorat und das Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien haben Interessierte über Internet und/oder die Beteiligung an einem Workshop im Jänner 2010 eingeladen, Textvorschläge für den Sockel einzubringen. Die Künstlerin hat aus allen eingegangenen Vorschlägen und auf Basis der Diskussion folgenden Text ausgewählt:

AUS DEM SCHATTEN TRETEN DIE, DIE KEINEN NAMEN HABEN.

Denkmal im Diskurs

Zentrales Anliegen Iris Andrascheks war, die Wissenschafterinnen in das Projekt einzubinden, sowohl bei der Generierung des Schattens, aber auch als Ideengeberinnen für die Sockelinschrift. Diese Interaktion hat die Idee reifen lassen, das Thema in Ergänzung zur künstlerischen Reflexion auch wissenschaftlich aufzugreifen. Organisiert vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien in Kooperation mit der Abteilung Frauenförderung und Gleichstellung der Universität Wien, dem Forum "Zeitgeschichte der Universität Wien" und der Gesellschaft für Zeitgeschichte fand von 17. bis 19. Juni an der Universität Wien die Tagung "Geschlecht und Wissenschaft: Politiken der Partizipation und Repräsentation" statt. Dort diskutierten internationale ExpertInnen der Gedächtnis- und Repräsentationsforschung, der Gender- und Wissenschaftsgeschichtsforschung sowie der Frauenförderung und Gleichstellungspolitik Aspekte vergangener, gegenwärtiger und künftiger Positionierung von Frauen im Wissenschaftsbetrieb.

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