Die Universität in Zeiten der Pandemie
Am 16. März 2020 wurde an der Universität Wien als Maßnahme gegen die Verbreitung des Coronavirus (SARS-Cov-2) der „Notbetrieb“ eingeführt, was de facto einer Schließung gleichkommt. Die universitäre Lehre wurde auf „Home-Learning“ umgestellt, und die Bediensteten der Universität zu „Home-Office“ verpflichtet.
Während dies für heutige Studierende und Lehrende eine absolute Ausnahmesituation darstellt, waren im Mittelalter und Früher Neuzeit temporäre Schließungen der Hochschule wegen Seuchen regelmäßig auftretende Phänomene. Wie gingen die Universität und ihre Angehörigen damit um und inwieweit waren sie an der Seuchenbekämpfung und –prävention beteiligt?
Bis zum 18. Jahrhundert kam es in Wien immer wieder zum Ausbruch von als „Pest“ oder „Pestilenz“ bezeichneten Seuchen. Während man heute unter „Pest“ die von Yersinia pestis ausgelöste Lungen- bzw. Beulenpest versteht, wurden darunter in früheren Zeiten sämtliche sich rasch ausbreitenden Krankheiten mit hohen Sterblichkeitsraten subsummiert.
Seuchen wurden einerseits als Strafen Gottes für sündhaftes Verhalten angesehen, weshalb Bußmaßnahmen wie Prozessionen oder Geißlerumzüge gesetzt wurden. Als natürliche Ursachen wurden ungünstige astronomische Konstellationen, Miasmen (krankheitsverursachende Dünste, die durch Faulungsprozesse entstehen) oder die Ansteckung mit Krankheitskeimen durch persönlichen Kontakt vermutet. Leider wurden auch konkrete Schuldige gesucht, die man meist in Randgruppen zu finden glaubte. Vielfach kam es im Gefolge von Epidemien zu Judenpogromen.
Persönliche und behördlich verordnete gesundheitspolizeiliche Schritte blieben über die Jahrhunderte hinweg gleich: Wer konnte, verließ das Seuchengebiet. Darüber hinaus wurden die Grenzen gesperrt und Fremde und Randgruppen ausgewiesen. Die Kranken wurden isoliert; vielfach wurden Einrichtungen gesperrt, in denen besonders viele Menschen zusammenkamen. Darunter fielen beispielsweise Gast- und Badehäuser oder Schulen.
Einstellung des Universitätsbetriebs
Bereits in der Anfangszeit der Wiener Universität kam es im Jahr 1399 zum Aussetzen des Lehrbetriebs, da in der Stadt eine Seuche ausbrach und viele Universitätsangehörige fluchtartig die Stadt verließen. Die bis zum 18. Jahrhundert regelmäßig auftretenden Epidemien – es kam durchschnittlich alle 15 bis 20 Jahre zu einer Sperre der Hochschule – wirkten sich selbstverständlich auf die Neuimmatrikulationen aus: So wurde in der Matrikel der Rheinischen Nation für das Pestjahr 1521 angemerkt, dass niemand zur Inskription gekommen sei.
Offizielle Akte wie die Wahl von Amtsträgern fanden im kleineren Rahmen statt, Fakultätsversammlungen wurden z.T. außerhalb Wiens abgehalten. Auch das studentische Leben in den Bursen, das gemeinsames Leben und Lernen vorsah, war davon betroffen. So gestattete die Artistenfakultät 1429 den Konventoren (Bursen-Vorstehern), die Studenten bei Infektionsgefahr außerhalb der Burse zu verköstigen. Die Zulassung zur Graduierung wurde in oder nach Seuchenzeiten ebenfalls erleichtert: 1455 wurden bei der Präsentation für das Bakkalaureat auch mehrere Studenten zugelassen, die sich wegen der herrschenden Seuche nicht in Wien aufhielten. 1756 wurde dem Medizinstudenten Adam Chenot das Doktordiplom trotz fehlender Disputation ausgestellt, da er in Siebenbürgen bei der Bekämpfung einer Seuche tätig war.
Die Dauer einer seuchenbedingten Sperre wurde vom Rektor meist für zwei bis drei Monate verfügt – oft mit dem Vorbehalt, die Schließung im Bedarfsfall zu verlängern. Bis etwa 1500 entschied die Universität eigenständig über die Schließung, seit dem 16. Jahrhundert wurden die Sperren durch die für Wien zuständige Niederösterreichische Regierung verfügt, die Hochschule war nur mehr ausführendes Organ.
Ursachenforschung und Pesttraktate
Universitäre Quellen berichten meist nur kurz über Beschlüsse wie die Einstellung des Lehrbetriebs. Fallweise werden aber auch Diskussionen über mögliche Ursachen wiedergegeben: So sprach sich die Artistenfakultät 1453 für das Aussetzen der Vorlesungen aus, da die gerade ausgebrochene Krankheit ansteckend sei. Da viele Universitätsangehörige auf engem Raum zusammenleben, könne die Krankheit von einem zum anderen kriechen und sich dann auf andere Häuser ausbreiten.
1539 spekulierten die Mediziner darüber, ob die aktuelle Pest auf Ansteckung, schlechte Dünste oder astronomische Einflüsse zurückzuführen sei – in jedem Fall könne man anhand des medizinischen Kanons keine gesicherten Heilmittel beschreiben. Es wurde die Reinhaltung der Häuser und Straßen sowie die Reinigung der Luft durch Räucherwerk und Feuer mit wohlriechenden Hölzern empfohlen; außerdem sollten die Apotheken visitiert werden, um die Bereitstellung notwendiger Medikamente zu gewährleisten. Mit der Erwähnung der täglichen Sterberaten finden sich erste Ansätze von Seuchenstatistik in den Fakultätsakten.
Im 16. und 17. Jahrhundert verfassten etliche Wiener Mediziner Schriften über die Pestilenz und ihre Bekämpfung, teilweise auch in deutscher Sprache. Beispiele dafür sind das von Georg Tannstätter 1521 verfasste „Regiment für den Lauff der Pestilenz“ oder Martin Stainpeiss „Antidotale Praeservationis cum additionibus in epidemicum morbum“ (1510), das 1516 als „Anzeig wider die Pestilenz“ auch ins Deutsche übertragen wurde. Einer der bedeutendsten Pestärzte des 17. Jahrhunderts war Paul de Sorbait, welcher 1668/69 auch als Universitätsrektor fungierte.
Einbindung der Medizinischen Fakultät in die Gesundheitspolizei
Seit Beginn des 16. Jahrhunderts wurden die Mitglieder der Medizinischen Fakultät verstärkt in das Gesundheitswesen der Stadt Wien sowie Niederösterreichs eingebunden. So waren sie verpflichtet, städtische Arme unentgeltlich zu behandeln. Auf Landesebene war das Collegium sanitatis die oberste Instanz, das sich aus Angehörigen des Hofes, des Landes, der Stadt Wien sowie der Kirche und der Universität zusammensetzte. Aufgrund der ständig wiederkehrenden Seuchen wurde ein eigener Seuchenarzt, der Magister sanitatis, etabliert. Das Amt ist erstmals 1541 belegt, seit 1552 wurde er von der Niederösterreichischen Regierung mit jährlich 200 Gulden besoldet. Wegen der Beschwerlichkeit und des Ansteckungsrisikos war das Amt bei den Fakultätsmitgliedern nicht beliebt. Bereits der erste besoldete Amtsinhaber Franz Vesalius, Bruder des berühmten Anatomen Andreas Vesalius, starb an der Pest – ebenso wie zahlreiche seiner Nachfolger. Meist wurde das jüngste Fakultätsmitglied, teilweise sogar Studenten der Medizin, dazu bestimmt. Seit dem 18. Jahrhundert wandelte sich das Amt des Stadtphysikus von der reinen Seuchenbekämpfung hin zum Aufbau und Organisation des städtischen Gesundheitswesens.
Seuchen im 19. und 20. Jahrhundert
Nach der letzten Pestepidemie im Jahr 1713 kehrte für längere Zeit Ruhe ein. Im Sommer 1831 brach in Wien die bis dahin unbekannte Cholera aus, auf die die Behörden – ähnlich wie im übrigen Europa – erst sehr spät reagierten. Erst im November wurden erste Instruktionen für die Sanitätsbehörden und -einrichtungen erlassen. Neben den allgemein üblichen Maßnahmen gab es Empfehlungen für gesunde Ernährung und hygienische Lebensbedingungen; außerdem wurde für die Reinhaltung der Stadt und die Errichtung besserer Kanäle gesorgt. Eine allgemeine Sperre der Stadt wurde wegen der befürchteten Beeinträchtigung von Handel und Verkehr und des Verlusts von Erwerbsmöglichkeiten nicht durchgeführt, auch die Schulen wurden (vorläufig) nicht geschlossen. Allerdings sollten Menschenansammlungen, z. B. bei Beerdigungen, vermieden werden, und Gottesdienste nur im Freien stattfinden.
Die für Herbst 1831 geplante Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte, welche die erste große wissenschaftliche Tagung an der Universität Wien darstellte, musste um ein Jahr verschoben werden. An der Universität gab der Mediziner Anton Dominik Bastler in seiner außerordentlichen Vorlesung über Gesundheitspflege Verhaltensregeln zum Schutz vor der Cholera. Während das Gebäude des Stadtkonvikts (ein Teil der Alten Universität) als Choleraspital genutzt wurde, konnte der Rektor Michael Wagner eine ähnliche Nutzung des theresianischen Aulagebäudes durch eine Eingabe an den Kaiser verhindern. Eine Schließung der Lehranstalten durch vorzeitige Beendigung des laufenden Schuljahres erfolgte erst im Jänner 1832. In der Folge kam es noch mehrmals zu Ausbrüchen der Cholera, zuletzt während der Wiener Weltausstellung 1873.
Im Herbst 1898 kam es noch einmal zu einem Pestausbruch in Wien, nachdem sich ein Labordiener bei der Untersuchung von Bakterienstämmen und infizierten Tieren angesteckt hatte. Dank der raschen Maßnahmen konnte eine Epidemie vermieden werden, letztlich forderte diese "Laboratoriumspest" drei Opfer.
Zuletzt war Wien im Herbst und Winter 1918 von einer Pandemie bedroht. Eine Grippeepidemie, nach dem Land des ersten Auftretens als „Spanische Grippe“ bezeichnet, forderte unter den von den Entbehrungen des Krieges gezeichneten Menschen zahlreiche Opfer. Die behördlichen Maßnahmen beschränkten sich erneut auf Empfehlungen und – soweit möglich – die Isolierung der Kranken. Im Oktober 1918 wurden für rund zwei Wochen Kultureinrichtungen und Schulen geschlossen, aufgrund der durch den Krieg ohnehin angespannten wirtschaftlichen Lage Anfang November jedoch wieder geöffnet. Die Universität Wien hielt während dieser Zeit – im Unterschied zu andere Hochschulen in Europa – den normalen Betrieb aufrecht. Erst im Dezember 1918 verfügte der Akademische Senat das frühere Ende des Vorlesungsbetriebs – allerdings nicht wegen der Grippe, sondern wegen des Kohlemangels.
> Elisabeth Klecker, Anschlag zur Wiederaufnahme des Vorlesungsbetriebs nach der Pest, 1507 (Website der Sammlungen der Universität Wien, Objekt des Monats März 2022).
Zuletzt aktualisiert am 05.03.2024 - 21:31
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Paul de Sorbait
25.1.1624–29.4.1691 -
Georg Tannstetter
4.1482–26.3.1535