Carl Freiherr von Rokitansky, o. Univ.-Prof. Dr. med.

19.2.1804 – 23.7.1878
geb. in Königgrätz, Böhmen | Hradec Králové, Tschechische Republik gest. in Wien, Österreich

„Carl von Rokitansky ist der Begründer der auf systematischen morphologischen Erkenntnissen beruhenden modernen Medizin, eine zentrale Persönlichkeit, um welche die zu ihrer Zeit weltweit führende Wiener Medizinische Schule entstanden ist.“
Dontscho Kerjaschki, Professor für Pathologie an der Medizinischen Universität Wien

Ehrungen

Ehrung Titel Datierung Fakultät
Ehrentafel-Fakultät 1893 Medizinische Fakultät

Die Ehrentafeln der Fakultäten in den Seitenaulen des Hauptgebäudes der Universität Wien wurden am 24. Mai 1893 enthüllt. Zu diesem Zeitpunkt umfasste die Ehrentafel der Medizinischen Fakultät eine Liste von 33 Namen von berühmten Schülern der Universität Wien, darunter jenen von Carl von Rokitansky. Die Liste war für die Fakultät von Prof. August Emil Vogl bzw. im Auftrag des Senats von Universitätsarchivar Karl Schrauf zusammengestellt worden.

Denkmal Arkadenhof 1898 Medizinische Fakultät

Funktionen

Dekan*in Medizinische Fakultät 1849/50
Rektor Medizinische Fakultät 1852/53
Dekan*in Medizinische Fakultät 1856/57
Dekan*in Medizinische Fakultät 1859/60
Dekan*in Medizinische Fakultät 1862/63

Carl Joseph Wenzel Prokop Rokitansky, Sohn des Kreiskommissärs von Leitmeritz (Litoměřice, Tschechische Repubik) Prokop Rokitansky und dessen Ehefrau Theresia, besuchte das Gymnasium in Königgrätz. Ab 1818 absolvierte er die philosophischen Jahrgänge an der Universität Prag, u.a. bei dem Mathematiker und Philosophen Bernard Bolzano. 1822 nahm er ebendort das Medizinstudium auf, wo der Prosektor des Anatomischen Instituts, Jan Purkyně, zu seinen Lehrern zählte. Ab 1824 setzte Rokitansky seine Studien an der Universität Wien fort. Noch während der Absolvierung der Abschlussprüfungen 1827 wurde er unbesoldeter Praktikant in der pathologisch-anatomischen Prosektur des Allgemeinen Krankenhauses (AKH), wo er seine ersten Autopsien durchführte. Gemeinsam mit seinem Vorgesetzten und Lehrer Johann Wagner obduzierte Rokitansky 1827 die Leiche Ludwig van Beethovens. Mit der Dissertation „De variolide vaccinica“ wurde er am 6. März 1828 an der Universität Wien zum Doktor der Medizin promoviert.

Carl Rokitansky führte ab 1829 gerichtsmedizinische Sektionen durch und stieg 1830 zum Assistenten Wagners auf. Nach dessen Tod 1833 übernahm er zunächst als Supplent dessen Lehraufgaben sowie die Leitung der Prosektur und des Pathologisch-Anatomischen Museums. Im Folgejahr wurde Rokitansky zum außerordentlichen Professor, zum Prosektor des AKH sowie zum Kustos des Pathologisch-Anatomischen Museums ernannt. Damit verbunden war die Ernennung zum zuständigen Pathologen für alle gerichtsmedizinischen Obduktionen. 1844 erfolgte Rokitanskys Berufung zum ordentlichen Professor für Pathologische Anatomie an der Universität Wien – das erste Ordinariat dieses Faches im deutschen Sprachraum, das er bis zu seiner Pensionierung 1875 innehatte. Zugleich wurde seine Disziplin zum verpflichtenden Lehrfach erklärt. Rokitansky wohnte mit seiner Familie in einer Dienstwohnung im Stöcklgebäude des Allgemeinen Krankenhauses.

Mit seiner Forschung und Lehre trug Carl Rokitansky wesentlich zu einem Paradigmenwechsel in der Medizin bei, die sich von der spekulativ-naturphilosophischen, auf die Beobachtung der Symptomatik fokussierten Orientierung, hin zu einer modernen, naturwissenschaftlich fundierten Ausrichtung wandelte. In den über 40 Jahren seines Wirkens führte er über 60.000 Autopsien durch und suchte systematisch nach naturwissenschaftlichen Erklärungen für Erkrankungen. Er untersuchte die krankheitsbedingten Organveränderungen, ordnete die gesammelten Befunde nach Gesetzmäßigkeiten und schuf somit erstmals eine systematische Klassifizierung von Krankheiten. Seine pathologischen Befunde betrachtete er in Zusammenhang mit den klinischen Beobachtungen der behandelnden Ärzte und erkannte die Symptome als äußere Zeichen innerer Organerkrankungen. Seine vergleichenden Forschungen rekonstruierten Krankheitsverläufe als Prozesse und wurden somit für die klinische Diagnose und Therapie am lebenden Patienten verwertbar. Rokitansky legte damit die Grundlagen der Pathologischen Anatomie als erklärende Wissenschaft. Vor allem die enge Zusammenarbeit mit dem Internisten Joseph Skoda erwies sich bei der Verwertung der pathologischen Erkenntnisse Rokitanskys im klinischen Bereich als besonders fruchtbar. 1842 unternahmen die beiden eine Studienreise nach Deutschland, England und Frankreich, um die Errungenschaften der dortigen Medizin kennenzulernen. Gefördert von Ludwig Freiherr von Türkheim, dem Vizedirektor der medizinisch-chirurgischen Studien, konnte Rokitansky ein Mikroskop für sein Labor erwerben, das wichtiges Werkzeug seiner weiteren Forschungen wurde. Rokitansky und Skoda begründeten mit diesen neuen Methoden der Diagnostik und Nosologie den international herausragenden Ruf der Zweiten Wiener Medizinischen Schule. Zu Rokitanskys Schülern zählten Eduard Albert, Viktor Ritter von Ebner-Rofenstein, Johann Kundrat, Heinrich Obersteiner und Karl Wedl; Emil Zuckerkandl war ab 1873 Rokitanskys Assistent an der Pathologischen-Anatomischen Anstalt.

In seinen wissenschaftlichen Publikationen befasste sich Carl Rokitansky mit der Erforschung verschiedener Krankheiten, u.a. Tuberkulose, Pneumonie, Darmverschluss, Magengeschwüren sowie Herz- und Gefäßerkrankungen. Noch heute tragen zahlreiche von ihm beschriebene Krankheitsbilder seinen Namen, darunter das Budd-Chiari-Syndrom, das Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser-Syndrom, der Rokitansky-Aschoff-Sinus oder die Rokitansky-Trias.
Zwischen 1842 und 1846 veröffentlichte Rokitansky schließlich sein dreibändiges Hauptwerk „Handbuch der pathologischen Anatomie“, das zum verpflichtenden Lehrbuch für alle Medizinstudenten der österreichisch-ungarischen Monarchie wurde und auch breite internationale Verbreitung fand. Die im Zuge der Autopsien gewonnenen Forschungsergebnisse wertete er nach neuen systematischen Grundsätzen aus und vermittelte sie mithilfe einer neuartigen Terminologie und eigenhändigen Zeichnungen von Präparaten. In dem 1846 erschienenen 1. Band seines Handbuchs präsentierte er seine „Krasentheorie“ (Blutmischungslehre), die die Ursache für pathologisch nicht genau lokalisierbare Erkrankungen in Anomalien der Zusammensetzung des Blutes (Blutplasma, Proteine und Fibrin) zu erklären versuchte. Aufgrund vehementer Kritik u.a. des deutschen Pathologen Rudolf Virchow, der diese Theorie als spekulativ angriff, entfernte Rokitansky diese theoretischen Ausführungen in der zweiten Auflage seines Lehrbuchs.
Rokitansky engagierte sich in der Folge für die Einrichtung eines Instituts für Medizinische Chemie sowie eines Instituts für allgemeine und experimentelle Pathologie (1868 unter Leitung von Salomon Stricker) ein. Die von ihm maßgeblich geförderte Pathologie gab zudem einer Reihe weiterer klinischer Disziplinen neue Impulse, wie der Physiologie und der Gynäkologie. Als einer der wenigen Mediziner in Wien unterstützte Rokitansky Ignaz Semmelweis, der 1847 mithilfe von Rokitanskys systematischen Obduktionsergebnissen zu der Überzeugung kam, dass das Kindbettfieber eine Infektion ist, die durch die Sektionsärzte übertragen wurde. Ausgehend von seinen Forschungen zur Anatomie des Gehirns befasste sich Rokitansky auch mit Fragen der psychiatrischen Diagnose. Auf seine Initiative wurde 1870 die erste Klinik für Psychiatrie in Österreich eingerichtet und Theodor Meynert zu deren Leiter bestellt.

Als dezidierter Befürworter der Lehr- und Lernfreiheit bot Rokitansky den politisch engagierten Medizinern der sogenannten „Doktorenrevolution“ von 1848 in seiner Sezierbaracke einen nicht staatlich überwachten Raum für politische Zusammenkünfte. Wie Stephan Endlicher, Ferdinand Hebra, Josef Hyrtl, Joseph Skoda trat auch Rokitansky dem Mediziner-Corps der Akademischen Legion bei.

An der Universität Wien fungierte Carl Rokitansky nach der Thun-Hohensteinʼschen Hochschulreform viermal – in den Studienjahren 1849/50, 1856/57, 1859/60 und 1862/63 – als Dekan der Medizinischen Fakultät. Nachdem Lehrenden die Übernahme universitärer Ämter wieder gestattet war, wurde er als erster Medizinprofessor zum Rektor der Universität Wien für das Studienjahr 1852/53 gewählt.

1858 regte Rokitansky die Errichtung eines Neubaus für sein Institut an, das zum Anzugspunkt für Mediziner aus aller Welt geworden war und seine einzigartige pathologische Präparatesammlung – die größte der Welt – beherbergte. 1862 wurde das neue Gebäude des Pathologisch-Anatomischen Instituts und Museums im Allgemeinen Krankenhaus eröffnet. In seiner aufsehenerregenden Eröffnungsrede forderte Rokitansky die „Freiheit der Naturforschung“ von politischer Einflussnahme.

1863 wurde der liberale Rokitansky von Staatsminister Anton von Schmerling zum Hofrat und medizinischen Studienreferenten im Unterrichtsministerium ernannt. Seine Professur behielt er parallel bei. Er hatte durch diese Position großen Einfluss in allen Fragen der Studiengestaltung und Berufungspolitik im medizinischen Bereich sowie darüber hinaus.
In zwei 1863 veröffentlichten Broschüren „Zeitfragen, betreffend die Universität mit besonderer Berücksichtigung der Medizin“ und „Die Conformität der Universitäten“ befasste er sich mit Fragen der Universitätsorganisation, der Berufungspolitik, der Lehr- und Lernfreiheit und dem Verhältnis von Universität und Staat. U.a. forderte er den Ausschluss der Doktorenkollegien aus der Universitätsorganisation. Er sprach sich für eine Vereinheitlichung der Universitäten des Landes bezüglich Organisation, Studien- und Prüfungsordnung sowie Ausstattung aus. Sein Plädoyer für Universitäten, die alle Fakultäten umfassen, bewirkte 1863 die Umwandlung der Chirurgenschule in Graz und 1869 der Medizinischen Schule (zuvor Teil des Lyzeums) in Innsbruck zu Medizinischen Fakultäten und damit die Wiederherstellung der Volluniversitäten. Seit 1870 fungierte Rokitansky zudem als Präsident des neueingerichteten Obersten Sanitätsrats.

1867 zum lebenslänglichen Mitglied des Herrenhauses des Reichsrats ernannt, schloss sich Rokitansky hier der liberalen Verfassungspartei an. Auch als Politiker trat er stets für die Unabhängigkeit der Forschung und Lehre von Staat und Kirche sowie für Fortschritt ein. So plädierte er für den Zugang für Studenten aus den östlichen Kronländern zur Universität Wien sowie für die Aufhebung des Konkordats.

Carl Rokitanskys Leistungen und Verdienste wurden sowohl von staatlicher als auch von wissenschaftlicher Seite vielfach gewürdigt: So wurde er 1848 zum wirklichen Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Wien gewählt, wo er ab 1866 als Vizepräsident und von 1869 bis zu seinem Tod 1878 als Präsident fungierte. Er gehörte zahlreichen ausländischen Gelehrtengesellschaften an, darunter der American Academy of Arts and Sciences (seit 1850), der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina (seit 1856), der Académie des Sciences in Paris (1870, später Ehrenmitglied) sowie zahlreichen weiteren Fachvereinigungen in Europa und den USA. Die Universitäten Prag (1848), Jena (1861) und Moskau ernannten ihn zum Ehrendoktor. Zudem fungierte Rokitansky seit 1850 als Präsident der Gesellschaft der Ärzte in Wien sowie seit 1870 als Präsident der neugegründeten Anthropologischen Gesellschaft. Er wurde 1858 zum Regierungsrat und 1863 zum Hofrat ernannt. Neben zahlreichen ausländischen Orden erhielt er 1853 das Ritterkreuz und 1871 das Komturkreuz des Franz Joseph-Ordens. Anlässlich seines 70. Geburtstags wurde ihm 1874 von Kaiser Franz Josef das Komturkreuz des Leopoldordens verliehen und er in den Adelsstand erhoben (Freiherr von Rokitansky). Die Stadt Wien ernannte ihn im selben Jahr zum Ehrenbürger.
Bereits zu Lebzeiten war 1860 eine Marmorbüste Rokitanskys im Pathologisch-Anatomischen Institut enthüllt und 1864 die Rokitanskygasse in Wien-Hernals (17. Bezirk) nach ihm benannt worden. Nach seinem Tod 1878 – er liegt in einem ehrenhalber gewidmeten Grab auf dem Hernalser Friedhof – ehrte die Universität Wien Carl Rokitansky 1892/93 mit der Eintragung seines Namens auf der Ehrentafel der Medizinischen Fakultät und 1898 mit der Enthüllung eines von Emmerich Alexius Swoboda gestalteten Denkmals im Arkadenhof. Auch in der Akademie der Wissenschaften, im Josephinum, an der ehemaligen Allgemeinen Poliklinik in Wien 9 sowie an der Frauenklinik im AKH erinnern Büsten bzw. Gedenktafeln an ihn.
Seit 2002 verleiht die Österreichische Gesellschaft für Klinische Pathologie und Molekularpathologie den Carl von Rokitansky-Preis.

Werke (Auswahl)

De varioloide vaccinica (Dissertation), 1828.
Handbuch der pathologischen Anatomie (3 Bände: Band 1 | Band 2 | Band 3), 1842–1846 (3. Auflage 1855–1861).
Die Conformität der Universitäten, mit Rücksicht auf gegenwärtige österreichische Zustände, 1863.
Zeitfragen, betreffend die Universität, mit besonderer Beziehung auf die Medicin, 1863.
Der selbständige Werth des Wissens (Vortrag), 1867 (2. Auflage 1869).
Die Solidarität alles Thierlebens (Vortrag), 1869.
Die Defecte der Scheidewände des Herzens, 1875.
Selbstbiographie und Antrittsrede (hg. von Erna Lesky), 1960.

Katharina Kniefacz

Zuletzt aktualisiert am 16.02.2024 - 21:53

Druckversion